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Agrarpolitik: In drei Schritten zur Neuausrichtung

Höfesterben, Bodenspekulation, zerstörte Ökosysteme – die Herausforderungen der Agrarpolitik sind viel grundsätzlicher als der Streit um Agrardiesel. Christoph Bautz zeigt in drei Schritten einen Weg zu einer besseren Landwirtschaft.

Schluss mit Rumgegurke: Protest für eine bessere Agrarpolitik bei der Wir-haben-es-satt-Demo.
Schluss mit Rumgegurke: Protest für eine bessere Agrarpolitik bei der letztjährigen „Wir haben es satt“-Demo. Foto: IMAGO / IPON

Die Wucht der Bauernproteste zeigt: Der Konflikt um die Agrarpolitik ist viel grundsätzlicher als die Frage des Agrardiesels. Den kleinen Betrieben steht das Wasser bis zum Hals und viele Höfe sterben weg, Agrarbarone und Bodenspekulanten übernehmen. Dabei ist eine andere Landwirtschaft längst möglich. Doch dafür müssen wir bereit sein, als Gesellschaft Geld in die Hand zu nehmen: Laut Berechnung der Zukunftskommission Landwirtschaft braucht es rund 5 Milliarden Euro pro Jahr, um eine landwirtschaftliche Zeitenwende zu schaffen. Doch wieder einmal steht die Schuldenbremse im Weg und ein grüner Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, der nicht dafür in der Regierung kämpft. Gleichzeitig droht die europäische Agrarpolitik auf Jahre im derzeitigen Status zementiert zu werden. Aber alle drei Hindernisse können mit drei Schritten überwunden werden.

Das tödliche „Wachse oder weiche“-Prinzip

Tierwohl, lebendige Wiesen und Felder für heimische Vogel- oder Bienenarten, Klimaschutz und gesunde Lebensmittel. Viele Bäuerinnen und Bauern wollen das ermöglichen, doch die Realität sieht ganz anders aus. Agrarbarone und Bodenspekulanten übernehmen reihenweise die Höfe. Unternehmen mit über 100 Hektar Fläche machen nur 3 % aller EU-Agrarbetriebe aus, aber ihre Zahl ist in 10 Jahren um 16 % gestiegen. Sie nutzen 52 % der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Alles für den Weltmarkt, alles für den gigantischen Fleischexport. Wer nicht wächst, der muss weichen – so das Prinzip. 

Die Folgen sind fatal: Aus unserer gewachsenen Kulturlandschaft werden Agrarsteppen, aus bäuerlichen Betrieben werden Megaställe für die Fleischfabriken, aus lebendigen Feldern und Wiesen werden in Pestiziden getränkte Monokulturen und unser sauberes Trinkwasser wird durch die gigantische Mengen an Gülle verunreinigt. 

Es ist daher umso dreister, wenn sich jetzt ausgerechnet CDU und CSU an die Spitze der Bauernproteste stellen, die seit 2005 16 Jahre den Landwirtschaftsminister oder die Ministerin gestellt haben und für das ganze Desaster der Agrarpolitik verantwortlich sind. Die Aigners, Schmidts und Klöckners haben den Bäuer*innen vorgegaukelt, dass ihre Zukunft nur auf dem Weltmarkt besteht. Die Landwirt*innen haben danach gehandelt, viel investiert oder sich hoch verschuldet – angetrieben von den Funktionären des Bauernverbands. Das Ergebnis ist jetzt purer Frust, den die rechtsextreme AfD oder andere Gruppierungen einsammeln.

Erster Schritt: Die Schuldenbremse muss reformiert werden

Dabei gibt es auch eine ganz andere Form der Landwirtschaft. In der Tierwohl, Arten- und Klimaschutz, gesunde Lebensmittel und intakte Ökosysteme keine Ausnahme, sondern Standard sind. Die Zukunftskommission Landwirtschaft hat dazu bereits im August 2021 einen Bericht veröffentlicht. Hauptaussage: Für eine Neuausrichtung der Landwirtschaft braucht es pro Jahr 5 Milliarden Euro. 

5 Milliarden Euro klingt nach viel, aber Deutschland gibt allein für die Steuerbefreiung von Flugzeug-Kerosin oder den vergünstigten Diesel über 15 Milliarden im Jahr aus. Und rechnen wir das mit dem Verschwinden der Bienen und Feldvögel oder anderen Tier- und Pflanzenarten durch die intensive Landwirtschaft gegen, sind 5 Milliarden Euro geradezu lächerlich. Doch Finanzminister Christian Lindner? Hält stur an der Schuldenbremse fest. 

Und damit kommen wir zum ersten notwendigen Schritt: Eine Reform der Schuldenbremse. Es ist bizarr, wenn der Finanzminister sich vor den Protestzug der Bäuer*innen stellt und Verständnis für den Protest zeigt. Lindner ist es, der den Sparzwang quer durch die Ampel-Regierung verordnet hat – auch für die Landwirtschaft. In Zeiten, in denen eigentlich investiert werden müsste, damit wir neue Wege in der Landwirtschaft betreten können, kommt das Spardiktat aus seinem Hause und das Festhalten an der Schuldenbremse ist FDP-Räson.

Zweiter Schritt: Die Marktmacht der Lebensmittelhändler brechen

Aber es wäre zu einfach, die Schuld nur bei der CDU, CSU und FDP oder dem Bauernverband zu suchen. Seit über zwei Jahren haben wir einen grünen Landwirtschaftsminister, der zumindest neue Wege hätte beschreiten können. Hätte, wohl bemerkt. Denn bislang produziert Cem Özdemir vor allem viele schöne Medienbilder. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung hat das Landwirtschaftsministerium 50 Prozent seiner Vorhaben nicht erfüllt, der Ökolandbau verharrt bei rund 14 %. Die Zielmarke von 30 % bis 2030 ist so nicht erreichbar.

Gleichzeitig schnürrt die Marktmacht der Lebensmittelhändler wie Edeka, Aldi oder Lidl den Bäuer*innen die Luft ab. Mit ihrem Preisdiktat zwingen sie diese zu immer drastischeren Maßnahmen. Tierwohl oder Klimaschutz haben da kaum eine Chance. Özdemir könnte hier vergleichsweise einfach einschreiten und damit sind wir beim zweiten notwendigen Schritt: Er muss jetzt dafür sorgen, dass die Bäuer*innen faire Preise für ihre erzeugten Produkte erhalten. 

Damit Bäuer*innen nicht am Subventionstropf hängen, muss von den Gewinnmargen mehr bei ihnen und nicht bei den Discountern hängen bleiben. Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) der EU würde genau das ermöglichen, aber Özdemir muss sie umsetzen. Damit würden beispielsweise die Milchbäuer*innen kostendeckende Preise für ihre Produkte gegenüber den Lebensmittelhändlern verhandeln können.

Der dritte Schritt: Agrarpolitik in Brüssel neu ausrichten und wählen gehen

Ein weiterer wichtiger Schritt, und damit der letzte, liegt in Brüssel und nennt sich Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP). Sie macht fast 400 Milliarden Euro aus, die über sieben Jahre verteilt werden. Beim letzten Beschluss der GAP vor drei Jahren war es noch die damalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), die das alte System der intensiven und unfairen Landwirtschaft frisch zementierte. 

Der größte Teil des Geldes fließt weiterhin in Direktzahlungen pro Hektar Fläche an die Bäuer*innen – ohne Verbindlichkeiten hinsichtlich Tierwohl oder klima-ökologischen Vorgaben. Landwirtschaftsminister Özdemir kann und muss sich jetzt bei den Vorbereitungen für die neuen GAP-Verhandlungen für die notwendige Wende einsetzen, damit die Gelder bei denen landen, die sich dem Arten- und Klimaschutz, Tierwohl und fairen Löhnen verschrieben haben.

Gleichzeitig liegt es an uns Bürger*innen Europas, über die GAP mitzuentscheiden. Am 9. Juni wählen wir ein neues Europäisches Parlament. Gewinnen die Rechten und Rechtsextremen, droht die notwendige Zeitenwende in der Agrarpolitik auf Jahre blockiert zu sein – und danach sieht es derzeit aus. Würde Sonntag gewählt, wäre die rechtsextreme Fraktion im Parlament erstmals die drittstärkste Fraktion. Die Konservativen wissen um diese Umfragen und reichen den Rechten derzeit die Hand. Kommt es zur Zusammenarbeit, wäre der Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik auf lange Zeit blockiert. Es hängt also von uns ab, wie wir uns am 9. Juni entscheiden. Wir haben die Zukunft der Landwirtschaft sprichwörtlich in der Hand.

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Autor*innen

Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. Er gründete 2002 gemeinsam mit Felix Kolb die Bewegungsstiftung, die Kampagnen und Projekte sozialer Bewegungen fördert. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand. Zudem ist er Mitglied des Aufsichtsrats von WeMove, der europaweiten Schwesterorganisation von Campact, sowie der Bürgerbewegung Finanzwende. Alle Beiträge

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