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Dresden: Wie Rechtsextreme die Erinnerung kapern

Was machen Rechte an Gedenktagen? Sie deuten Geschichte um und nutzen sie für ihre eigenen Zwecke. Welche falschen Fakten sie erzählen und wie wir uns wehren können.

Demonstrierende eines Gegenprotests zu einer Kundgebung am 13. Februar 1945. Sie tragen ein Transparent mit der Aufschrift: "Mit Opfermythen Schluss machen!"
Gegenprotest zu einer Kundgebung vor dem Kulturpalast am 13. Februar 2023 in Dresden. Foto: IMAGO / Sven Ellger

Dresden, 13. Februar 1945. Am Abend ertönt Fliegeralarm. Der jüdische Literaturwissenschaftler Victor Klemperer notiert in seinem Tagebuch:

Man hörte sehr bald das immer tiefere und lautere Summen nahender Geschwader, das Licht ging aus, ein Krachen in der Nähe. Pause des Atemholens, man kniete geduckt zwischen den Stühlen, aus einigen Gruppen Wimmern und Weinen – neues Herankommen, neuer Einschlag. Ich weiß nicht, wie oft sich das wiederholte.

Victor Klemperer

Für Klemperer war die alliierte Bombardierung die Rettung: Er hatte am Morgen des 13. Februar erfahren, dass die verbleibenden Dresdner Juden und Jüdinnen deportiert werden sollten. Im Chaos des Angriffes tauchten Klemperer und seine Frau unter und flohen aus Dresden. 

Victoria Gulde ist Campaignerin bei Campact und schreibt im Blog zu Gedenktagen und Erinnerungskultur.
Lies hier alle ihre Beiträge.

Die Bombardierung von Dresden war einer von zahlreichen Angriffen der Alliierten in den letzten Monaten des längst verlorenen Zweiten Weltkriegs. Für die Stadt war der Angriff verheerend: Große Teile des Innenstadtgebietes lagen in Trümmern, 25.000 Menschen wurden getötet. Noch bis 2005 stand mitten im Stadtzentrum die Ruine der Frauenkirche. Das Dresdner Wahrzeichen brannte am 13. und 14. Februar 1945 aus. Erst seit 2005 ist sie wieder aufgebaut. Doch nicht nur physisch hinterließ die Bombardierung Spuren: Sie machte Dresden auch zu einem Aufmarschplatz für Rechtsextreme, die die Geschichte am liebsten ganz anders in Erinnerung halten wollen.

Eine Nazi-Legende

Seit Jahren ist die sächsische Landeshauptstadt im Februar Schauplatz für die größten Neonazi-Aufmärsche Deutschlands. In einem „Trauermarsch“ gedenken tausende Rechtsextreme jedes Jahr der Opfer der Bombardierung. Doch für sie steht diese Erinnerung nicht für die tödliche Endphase eines brutalen Krieges, in dem die Nazi-Führung trotz der sicheren Niederlage Zehntausende den alliierten Angriffen auslieferte. Sie sprechen vom „Bomben-Holocaust“ – eine perfide Täter-Opfer-Umkehr, die die Bombardierung gegen Kriegsende mit der Ermordung von Millionen Juden durch die Nazis gleichsetzt. Dabei greifen sie die NS-Propagandalegende auf, die direkt nach der Bombennacht gestrickt wurde: Während der offizielle Polizeibericht 25.000 Tote meldete, hängte Göbbels Propagandaministerium eine Null an. So wollten die Nazis die Katastrophe für ihre Zwecke instrumentalisieren, indem sie die Alliierten an den Pranger stellten.

Diese Geschichtsfälschung wird von den „Trauermärschen“ immer noch weitergetragen. Aus ganz Europa reisen Rechtsextreme an, um die Nazi-Legende weiterzubeschwören. Dass es eine „offizielle“ Propagandalüge gibt, auf die sich Neonazis beziehen können, ist ein Grund dafür, dass diese „Trauermärsche“ noch heute als Magnet für die rechtsextreme Szene sind. Ein weiterer Grund: Auch in der DDR und der Nachwendezeit blieb diese Lesart teils unwidersprochen. Aus der DDR-Zeit stammt ein Gedenkstein in Dresden, der den „Opfern des angloamerikanischen Bombenterrors“ gedenkt – und zu dem heute Rechtsextreme pilgern. Und noch in den 1990ern versprach der damalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf: „Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus.“ Auf diesem Nährboden gedieh die rechte Vereinnahmung der Bombardierung prächtig. 

Die Strategie der Rechten: Geschichte umdeuten

Die jährlichen Neonazi-Proteste in Dresden sind eine extreme Ausprägung einer Entwicklung, die an vielen Stellen zu beobachten ist: Versuche der extremen Rechten, die deutsche Nazi-Geschichte zu relativieren, umzudeuten und zu verfälschen haben Konjunktur. Nicht immer sind sie so plump und offensichtlich zu widerlegen, wie in Dresden. Geschichtsrevisionismus hat viele Formen. So nennt der ehemalige AfD-Chef Alexander Gauland den Nationalsozialismus einen „Vogelschiss“ der Geschichte und fordert: „Wir haben das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen.“ Bei einer Konferenz des rechtsextremen Compact-Magazins fordert ein ehemaliger Generalmajor einen „Freispruch für Deutschtland “ – er fabuliert, Deutschland sei nicht alleine am Zweiten Weltkrieg Schuld gewesen. 

Das rechte Compact-Magazin verbreitet Verschwörungstheorien und falsche Tatsachen – und war bis vor kurzem auch in vielen Bahnhofskiosken zu haben. Damit ist jetzt Schluss. Lies hier mehr dazu:

Relativieren, kleinreden, Täter zu Opfern machen. Diese Strategien lassen sich von der AfD bis hin zu Neonazis immer wieder erkennen. Das Ziel: Die Grenzen des Sagbaren zu verschieben – und damit die Geschichte umdeuten, rückwirkend. Zu dieser rechten Rhetorik gehört ein wichtiger Baustein: Die Entlastung der Deutschen von den Verbrechen der Nazis. Doch warum ist die verdrehte Erinnerung an die Nazizeit für die AfD und ihr Umfeld so wichtig? Eine Antwort: So kann sie ihren Anhänger*innen ein verlockendes Angebot machen. Denn wenn alles gar nicht so schlimm und die meisten Deutschen keine Täter waren, entbindet uns das von Verantwortung. Es passt zur Identitätskonstruktion der extremen Rechten, die auf Stolz und der Abwertung anderer aufbaut. Und sich über andere zu stellen, ist nunmal schwieriger, wenn die Nazizeit weiter ihre Schatten wirft und die Erinnerung an die Schuld der Deutschen am Leben bleibt.

Der Abwehrmechanismus der Rechten, wenn es um die Nazizeit geht, erreicht gerade jetzt ein neues Level: Als Reaktion auf die Massenproteste gegen Rechtsextremismus 2024 verglich der AfD-Landeschef Björn Höcke die Demos mit den Fackelzügen der Nazis. Damit erreicht rechte Geschichtsklitterung eine neue Phase – es geht nicht mehr nur darum, die eigene Identität durch Verklärung der Vergangenheit aufzuwerten. Sondern auch, Gegner*innen rechten Gedankengutes abzuwerten, indem man sie in die Nähe des Nationalsozialismus rückt. Eine absurde Gedankenschere: So schlimm war es nicht – und die echten Nazis sind doch die Antifaschist*innen.  

Verantwortung übernehmen: Geschichte am Leben halten

Nicht mehr viele Deutsche erinnern sich noch aktiv an die Nazi-Herrschaft – die letzten Zeitzeug*innen sterben. Das bringt zwei Entwicklungen mit sich: Rechten Geschichtsverdrehern fällt es leichter, das Geschehene umzudeuten, wenn niemand mehr widersprechen kann, der dabei war. Und: Es verschiebt den Fokus des Erinnerns von Schuld zu Verantwortung. Wenn viele der Täter*innen tot sind, geht es weniger darum, sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Erinnern stellt uns als Gesellschaft vor die Aufgabe, trotzdem Verantwortung für das Geschehene zu übernehmen – und zu verhindern, dass Vergleichbares erneut geschieht.

Damit haben die AfD und andere Rechte ein Problem. Denn ihre Pläne, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Sexualität oder politischen Gesinnung auszugrenzen, funktionieren am besten in einer Gesellschaft, die vergessen hat, wohin das führen kann. Darum müssen wir uns diese Verantwortung zu Herzen nehmen – und das Erinnern gegen Umdeutung und Verharmlosung schützen. Das ist gelebter Antifaschismus 2024. Dresden macht vor, wie das gehen kann. Den Neonazis stellen sich dort Jahr für Jahr Tausende Gegendemonstranten entgegen. Der Protest ist bunt, laut und reicht von Antifa-Gruppen über Rentner*innen und Student*innen in dicken Wollmützen. Denn rechten Geschichtskitsch muss man nicht hinnehmen – auch ohne Historiker*in zu sein und jederzeit alle Daten parat zu haben. Auf die Straße gehen, an Gedenkinitiativen spenden, wiedersprechen, wenn jemand den Holocaust relativiert oder die Wehrmacht verherrlicht: Wir alle können etwas gegen Geschichtsrevisionismus tun.

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Autor*innen

Victoria Gulde ist seit 2018 Campaignerin bei Campact. Als Teil des Kampagnen-Teams gegen Rechtsextremismus setzt sie sich gegen die Normalisierung rechten Gedankenguts ein. Sie hat Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Internationale Beziehungen studiert. Für den Campact-Blog schreibt sie über Gedenktage und die Bedeutung einer lebendigen Erinnerungskultur. Alle Beiträge

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