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Wie passt das zusammen, Griechenland?

Griechenland stimmt für die Ehe für alle und diskutiert, ob Alexander der Große von Netflix schwul gemacht wurde. Ist das ein und dieselbe Gesellschaft? Sehr wohl.

Rede des Präsidenten der griechischen Partei Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis, vor dem Reiterstandbild von Alexander dem Großen in Thessaloniki.
Rede des Präsidenten der griechischen Partei Nea Dimokratia, Kyriakos Mitsotakis, vor dem Reiterstandbild von Alexander dem Großen in Thessaloniki. Foto: IMAGO / ANE Edition

Griechenland hat die Ehe für alle eingeführt. 176 von 300 Abgeordneten stimmten für das neue Gesetz. Künftig werden alle Griech*innen heiraten und Kinder adoptieren dürfen, unabhängig von ihrem Geschlechtseintrag. Der Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis (Nea Dimokratia) sprach von einem Tag der Freude. Griechenland ist damit das 16. EU-Land, das die Ehe für alle eingeführt hat.

Nur wenige Tage nach der Einführung der Ehe für alle debattiert dasselbe Griechenland über die neue Netflix-Dokumentation über Alexander den Großen. In der Doku-Serie „Alexander der Große. Wie er ein Gott wurde“, die der Streaming-Gigant produziert hat, hat der Herrscher nämlich – Trommelwirbel – Sex mit einem Mann. Damit scheinen manche ein Problem zu haben, auch Kulturministerin Lina Mendoni. Die Serie sei eine Fiktion extrem niedriger Qualität und voller historischer Ungenauigkeiten, so Mendoni. Dimitris Natsiou der Rechtsaußen-Partei Niki nutzte eine ähnliche Wortwahl wie Mendoni und ergänzte: Die Serie habe das Ziel, unterschwellig die Vorstellung zu vermitteln, dass Homosexualität in der Antike akzeptabel war, was jeder Grundlage entbehre.

Sibel Schick ist ist Kolumnistin, Autorin und Journalistin. Im Campact-Blog schreibt sie eine Kolumne, die intersektional feministisch ist. Lies hier ihre Beiträge:

Kritik ist ok – aber sie muss stichhaltig sein

Es ist völlig legitim und auch notwendig, eine historische Dokumentation inhaltlich zu kritisieren, beispielsweise wenn darin falsche Tatsachenbehauptungen verbreitet oder Meinungen zu Tatsachen erklärt werden. Bei der besagten Netflix-Dokumentation ist das allerdings nicht der Fall. Es ist etwas ganz anderes als eine legitime Kritik, die dort gezeigte Sexualität als unmoralisch zu diffamieren, vor allem, wenn dafür historische Fakten ausgeklammert werden und Geschichtsrevisionismus betrieben wird. Es ist nämlich Fakt, dass sexuelle Fluidität im antiken Griechenland die Norm war. Alexander der Große wurde also nicht von Netflix schwul gemacht, wie die Kreuzritter in den sozialen Medien aktuell lautstark behaupten, sondern so porträtiert, wie er sehr wahrscheinlich war. In einem modernen Land, das erst vor wenigen Tagen die Ehe für alle eingeführt hat, wirft die lächerliche und oberflächliche Debatte um die Serie die Frage auf: Wie passt das zusammen?

Die Antwort lautet: Es passt hervorragend zusammen. Gesellschaften sind nicht homogen, sie sind komplex und widersprüchlich. Die Demokratisierungskämpfe in Form von mehr Rechten und Freiheiten für marginalisierte Gruppen sind langwierige Prozesse. Neue Gesetze sind meist das Ergebnis jahrelanger außerparlamentarischer Kämpfe, manchmal stimmen die Parlamente nur knapp zu. In Griechenland war die Abstimmung über die Ehe für alle zwar nicht knapp – bloß 76 Abgeordnete stimmten dagegen, auch wenn jede*r eine*r zu viel ist. Allerdings war der gesellschaftliche Widerstand hart. So schreibt die britische Zeitung „The Guardian“ zu der Atmosphäre vor der Abstimmung: „Orthodoxe Bischöfe hatten damit gedroht, Gesetzgeber zu exkommunizieren, die für die Maßnahme stimmen, während der Vorsitzende der rechtsextremen Spartaner-Partei sagte, das Gesetz würde ‚die Tore zur Hölle und zur Perversion öffnen‘.“ Krasse Vorstellungen, wie aus einer Netflix-Produktion.

Gesetz allein reicht nicht

Diese düsteren Drohkulissen aus der Hölle lösen sich nicht über Nacht in der Luft auf, wenn ein neues Gesetz verabschiedet wird. Und wenn die Bischöfe damit anfangen, die Abgeordneten, die für das Gesetz gestimmt haben, tatsächlich zu exkommunizieren, zieht das Gesetz weite Kreise. Die Diskriminierung verschwindet also nicht mit einem neuen Recht, ebenso wenig wie Hass und Gewalt gegen marginalisierte Gruppen und ihre Allys. Kurzfristig kann die Gewalt sogar zunehmen, das kennen wir aus politischen Kämpfen. Neuen Gesetzen müssen daher rasch und unverzichtbar gewisse politische Maßnahmen folgen, die auf diskriminierende Strukturen einwirken und sie nachhaltig abschaffen.

Gesetze allein sind also nicht sehr wirksam. Aber sie sind ein wichtiger und notwendiger erster Schritt in Richtung Gleichberechtigung. Es ist also jetzt an der griechischen Politik, sich an die Arbeit zu machen und die Menschen, für die sie sich vor kurzem eingesetzt haben will, wirklich zu beschützen. Nur mit zusätzlichen Maßnahmen, die das Gesetz ergänzen, zeigt die Politik, dass sie es mit der Emanzipation ernst meint. Dass es hier nicht um Symbolpolitik geht, dass man Menschen und Freiheitskämpfe und sogar die Demokratie nicht gefährden will. Alles andere kann man auch gleich lassen.

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Autor*innen

Sibel Schick kam 1985 in Antalya, der Türkei, auf die Welt und lebt seit 2009 in Deutschland. Sie ist Kolumnistin, Autorin und Journalistin. Schick gibt den monatlichen Newsletter "Saure Zeiten" heraus, in dem sie auch Autor*innen, deren Perspektiven in der traditionellen Medienlandschaft zu kurz kommen, einen Kolumnenplatz bietet. Ihr neues Buch „Weißen Feminismus canceln. Warum unser Feminismus feministischer werden muss“ erscheint am 27. September 2023 bei S. Fischer. Ihr Leseheft "Deutschland schaff’ ich ab. Ein Kartoffelgericht" erschien 2019 bei Sukultur und ihr Buch "Hallo, hört mich jemand?" veröffentlichte sie 2020 bei Edition Assemblage. Im Campact-Blog beschäftigte sie sich ein Jahr lang mit dem Thema Rassismus und Allyship, seit August 2023 schreibt sie eine Kolumne, die intersektional feministisch ist. Alle Beiträge

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