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#ReclaimTikTok: Wie wir uns TikTok von der AfD zurückholen

Die AfD übernimmt langsam aber sicher TikTok, zumindest, was die Reichweite ihrer Inhalte angeht. Die Beiträge der Rechtsextremen dürfen die Plattform nicht dominieren – denn auch Kinder und Jugendliche sind dort unterwegs. Wie wir uns TikTok zurückholen? Das liest Du hier.

Eine junge Frau schaut auf ihr Smartphone. Sie hält sich eine Hand an die Stirn und schaut sehr ernst.
Über die Hälfte aller Jugendlichen in Deutschland ist auf TikTok unterwegs – und bekommt dort so manches zu sehen. Foto: IMAGO / HalfPoint Images

90 Minuten pro Tag. In dieser Zeit kann man ein Bundesligaspiel schauen, einmal mit dem Zug von Hannover nach Berlin fahren oder vermutlich etwa 60 Campact-Appelle und WeAct-Petitionen unterschreiben. 90 Minuten sind auch die Zeit, die Jugendliche im Schnitt pro Tag auf der Kurzvideo-Plattform TikTok verbringen.

Das Bild zeigt ein Handy, auf dem Bildschirm ist der AfD-Politiker Björn Höcke zu sehen.
Foto: Campact e.V.

TikTok: Sperrt die AfD!

Campact fordert in einem Appell an TikTok die Löschung der rechtsextremen AfD-Konten.

Fast die Hälfte der 14- bis 17-Jährigen kommt fast gar nicht mehr mit traditionellen journalistischen Angeboten in Kontakt. Sie beziehen ihre Informationen primär aus sozialen Medien. Davon macht TikTok einen wesentlichen Anteil aus – immerhin ist es in dieser Altersgruppe die meistgenutzte Plattform. TikTok ist so schnell gewachsen wie kein anderes soziales Netzwerk in Deutschland und wird mittlerweile von fast einem Drittel aller Deutschen genutzt.

Man kann diese Nutzung problematisieren. Man kann ein TikTok-Verbot fordern. Nur ist das noch nicht passiert und ob es jemals passieren wird, ist mehr als fraglich. Und selbst wenn es passieren sollte, müsste das Verbot erst noch umgesetzt werden. In dieser Zeit sind Jugendliche weiterhin im Durchschnitt 90 Minuten pro Tag auf TikTok. Sie sehen 90 Minuten lang Inhalte, schicken sie ihren Freund*innen, reposten, merken sich, was sie hören und sehen, erzählen es weiter. TikTok formt ihren Alltag und ihr Verhalten mit.

Das AfD-Problem

Keine Partei ist so stark auf TikTok wie die AfD. 75 Prozent der Reichweite, die Parteien auf der Plattform erzielen, geht auf ihr Konto. Sie haben zehntausende Accounts in ihrem Netzwerk. Viele davon sind Bots, ein guter Teil stammt aus Russland. Mit diesem Argument haben wir selbst oft versucht, die Macht der AfD auf TikTok zu widerlegen. Man kann entspannt sagen, dass es ja gar nicht so schlimm sei, es steckten am Ende ja gar nicht so viele „echte Menschen“ dahinter, wie es online scheint. Heute wissen wir: Das ist Schönrederei – oder Unkenntnis über soziale Medien.

Jugendliche werden von TikTok geprägt. 90 Minuten pro Tag haben TikTok-Inhalte einen direkten Draht in die Köpfe von Kindern und Jugendlichen. Darüber kann man als 90 Minuten Unterhaltungszeit nachdenken: Witze, Sport, Tanzen und Lipsync.

Willkommen im Campact-Blog

Schön, dass Du hier bist! Campact ist eine Kampagnen-Organisation, mit der über 3 Millionen Menschen für progressive Politik eintreten. Im Campact-Blog schreiben das Team und ausgezeichnete und versierte Gast-Autor*innen über Hintergründe und Einsichten zu progressiver Politik. 

Wir bei FridaysForFuture Berlin, aber auch viele andere politisch engagierte Jugendliche und junge Erwachsene, denken anders darüber. Wir denken darüber als 90 Minuten Macht, zu beeinflussen, wie Kinder und Jugendliche die Welt sehen. Wie sie Robert Habeck und Alice Weidel finden. Wie sie über Wärmepumpen denken und wie über Kernenergie. Was für sie die dringendsten Probleme in Deutschland sind und wie sie meinen, dass man sie lösen kann. Wer TikTok dominiert, der hat diese Macht, diese Deutungshoheit. Das hat eine Partei früh verstanden: die AfD.

Gerade geben immer mehr Erstwähler*innen und junge Menschen an, die AfD wählen zu wollen. Die Macht der Rechten im Netz hat die Bubble der Bots – mit Hilfe dieser – lange hinter sich gelassen und nimmt im großen Stil echten Einfluss auf echte Menschen. Ja, man kann versuchen, TikTok zu verbieten. Man kann sich irgendwie die Macht der Rechten erklären oder schönreden. Oder man kann etwas daran ändern.

#ReclaimTikTok – Was ist das?

Das ist vermutlich die kürzeste und treffendste Definition von #ReclaimTikTok. Wir wollen genau das ändern. Wir wollen TikTok zu einer schönen Plattform machen, zu einer Plattform, auf der junge Menschen sehen, wie zivilgesellschaftliches Engagement aussehen kann; man ermutigt wird, sich einzubringen; wo über die Klimakrise und Gerechtigkeit und Demokratie gesprochen wird. Wo Wahlaufrufe zu den EU- und Kommunalwahlen diesen Juni viral gehen, dann können sie, wie das Beispiel in Polen zeigt, wesentlich dazu beitragen, dass Demokrat*innen gewinnen und Rechtsextreme verlieren.

Wie die AfD Emotionen nutzt, um Menschen für ihre Positionen zu begeistern, beschreibt auch Anselm Renn in seinem Blog-Beitrag:

Konkret geht das so: Wir haben uns TikTok-Accounts erstellt und produzieren selbst Videos. Wir nutzen den Hashtag #ReclaimTikTok. Wir sprechen über Klima, Wahlen und soziale Gerechtigkeit. Manche tanzen, andere reden in die Kamera, wieder andere posten Fotos oder kurze Videos, ohne ihr Gesicht zu zeigen und schreiben zwei prägnante Sätze dazu. Alles kann funktionieren. Man muss kein*e Influencer*in sein, um Beiträge bei TikTok hochzuladen. Es ist eigentlich sogar ziemlich einfach.

Damit haben wir vor ungefähr drei Wochen angefangen. Mittlerweile gibt es weit über 1000 Videos unter dem Hashtag, wir haben mehr als 15 Millionen Menschen mit unseren Inhalten erreicht. Von der Schülerin über die Bundestagsabgeordnete bis zum Rentner: Quer durch die Gesellschaft sind Menschen eingestiegen, selbst Videos zu filmen und sie mit dem Hashtag #ReclaimTikTok zu teilen. Das klingt alles schön, und ja, bisher ist es eine wirklich schöne Geschichte. Aber sie darf hier nicht enden. 1000 Videos reichen eben nicht. Die AfD produziert immer noch ein Vielfaches davon und erreicht damit viele junge Menschen. Sie hat zwei Jahre Vorsprung in ihrer Reichweite, ihrer Erfahrung und ihrem Netzwerk. Um dagegen anzukommen, braucht es vor allem eins: Dich.

Wir brauchen Dich und Deine Kreativität

Wir sind mittlerweile deutlich mehr als am Anfang. Nur eben noch nicht ansatzweise genug, um gegen die Flut von Rechtsextremen anzukommen, die die Plattform und ihre Nutzerinnen und Nutzer verseuchen. Ich gebe zu, es kostet etwas Überwindung, sich das erste Mal vor sein Handy zu stellen und ein Video aufzunehmen. Aber wie ich oben beschrieben habe, gibt es zig Formate, auf die man zurückgreifen kann, für die man weder sein Gesicht zeigen muss noch besondere technische Begabung braucht. Und wenn Du selbst das nicht möchtest, dann schicke diesen Artikel hier Deinen Kindern, Enkelkindern, Nichten und Neffen und erkläre denen, warum sie jetzt damit anfangen sollten, Videos zu produzieren. Die werden sich schön wundern, wie modern ihre (Groß-)Eltern, Tanten und Onkel doch sind.

Und für Dich gibt es dann trotzdem noch eine Möglichkeit, das Ganze zu unterstützen, ganz ohne vor die Kamera zu müssen. Erstelle Dir ein Konto, folge den Akteur*innen aus Deinem Umfeld und den Accounts, die unter #ReclaimTikTok posten – und schreibe Kommentare, was das Zeug hält. Der Algorithmus belohnt Interaktionen, das bedeutet, wenn ein Video oft geteilt, kommentiert, gespeichert und gelikt wird, stehen die Chancen gut, dass viele Menschen es sehen. Wir haben keine russischen Bots, die mit unseren Inhalten interagieren. Wir brauchen sie auch nicht. Wir haben mehr Menschen, die von unseren Werten und Anliegen überzeugt sind, von Klimaschutz, sozialer Gerechtigkeit und einer offenen Gesellschaft. Wir müssen nur zeigen, dass wir mehr sind. Du musst zeigen, dass wir mehr sind. Wir sehen uns auf TikTok: #ReclaimTikTok!

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Autor*innen

Fridays for Future ist Teil der internationalen Klimagerechtigkeitsbewegung. Seit 2018 mobilisieren sie Millionen für Klimagerechtigkeit und den Kampf gegen die Klimakrise auf die Straßen. Mit ihren Freitagsstreiks bauen die Aktivist*innen politischen Druck auf und kämpfen gegen Ungerechtigkeiten. Alle Beiträge

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