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EU-Überwachungspläne und Rechtspopulismus – Was kann da schon schief gehen?

Die Sicherheitsbehörden in der EU arbeiten am Ausbau von Instrumenten zur noch tiefgreifenderen Internet-Überwachung. Was der Rechtspopulismus mit diesen Instrumenten anstellen kann und dass es zahlreiche bessere Alternativen gibt, wird ignoriert. Friedemann Ebelt über die wirklich sehr verkürzte Agenda von Europol.

Europol-Chefin Catherine De Bolle (links) und der Justizminister von Belgien Paul Van Tigchelt (rechts) bei einer Pressekonferenz Anfang April. Hinter ihnen ist eine große Plakatwand zu sehen, auf der in pixeligen Buchstaben steht: "Decoding the EU's most threatening criminal networks".
Die Direktorin von Europol, Catherine De Bolle, und der Justizminister von Belgien, Paul van Tigchelt, bei einer Pressekonferenz Anfang April. Foto: IMAGO / Photo News

Die europäischen Polizeichefs und die Europol-Chefin Catherine De Bolle fordern mit einer gemeinsamen Erklärung die Digitalindustrie und die Regierungen der EU-Länder auf, gegen verschlüsselte Kommunikation vorzugehen. Die schon länger bestehenden und die neu geschaffenen Ermittlungsinstrumente genügen ihnen nicht. Darum wollen sie, dass in die Geräte und Anwendungen, die Millionen von Menschen in der EU täglich nutzen, technische und rechtliche Türen eingebaut werden. Durch diese soll dann Polizei auf die sensiblen Daten der Nutzer*innen zugreifen können. Das ganze soll rechtssicher passieren. Aber es ist kein Geheimnis, dass Richter*innen unter Zeit- und dargestelltem Ermittlungsdruck Zugriffswünschen der Polizei in der Regel nachkommen.

Digitalpolitik nach Europol-Art

Ihre Forderung unterstreichen die Polizeichefs mit einer unbelegten Behauptung, die einer Drohung nicht unähnlich ist: Gebt uns Zugriffsmöglichkeiten auf alle Daten, sonst sind wir nicht in der Lage, für die öffentliche Sicherheit zu sorgen. Leider hat diese Rhetorik großes Potenzial, bei bestimmten Parteien, gerade im Wahlkampf und sogar bei Gerichten zu verfangen und zukünftige Debatten, Gesetze und Urteile indirekt zu beeinflussen. Aber, wie so oft: Das wirkliche Lagebild ist komplexer. Darum disqualifiziert sich auch jede vereinfachende Gegen-Parole.

Es wäre zu einfach, darauf zu verweisen, dass der europäische Datenschutzbeauftragte gegen den Datenhunger von Europol und von Regierungen vorgeht, in dem er die nachträgliche Legalisierung von großen Mengen illegal gespeicherter Ermittlungsdaten vor Gericht anfechtet. Es wäre auch zu einfach, spöttisch darauf hinzuweien, dass Europol Kompetenzschwächen dabei hat, persönliche Daten der eigenen Chef-Etage vertraulich zu behandeln, nur um anschließend mit Zwinker-Smiley garniert zu fragen: Sind Daten in den Händen von Europol gut aufbewahrt?

Etwas pauschal und recht schwer zu fassen ist die Frage, welchen politischen Weg die EU einschlägt, wenn sie sich auf Europol als maßgeblichen Berater für Digitalisierung verlässt. Engen Austausch gibt es mit den USA. Dort sind die Sicherheitsapparate in einigen Punkten mächtiger als in der EU – die Kriminalität aber nicht weniger. Wäre es auch zu einfach, über gezielte Maßnahmen nachzudenken, die ohne anlasslose Massenüberwachung auskommen, die die Privatsphäre unverdächtiger Menschen respektieren und die Ursachen von Kriminalität in den Fokus nehmen?

Sicherheitslücken, die Europol & Co. nicht sehen

Anlass für diese jüngste Erklärung im Kampf um das Recht auf verlässliche Verschlüsselung von Kommunikation, ist die schrittweise Einführung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für alle persönlichen Chats und Anrufe auf Messenger und Facebook. Damit zieht Meta, um Jahre verspätet, mit anderen Anbietern gleich, die die Kommunikation von Menschen selbstverständlich vertraulich behandeln. Polizeien mögen das nicht, viele Privatpersonen, Journalist*innen, Sicherheitsexpert*innen, Patient*innen und Seelsorge-Einrichtungen mögen das hingegen sehr.

In diesem Kampf um Verschlüsselung wurden hinlänglich alle möglichen Argumente zwischen denen, die vertrauliche Verschlüsselung zum Standard machen wollen und denen, die wahlweise für Regierungen, Polizei oder Geheimdienste Datenzugänge einbauen wollen, ausgetauscht. Ausgespart werden dabei zwei Aspekte, die durch die anstehenden Wahlen in der EU, in der BRD und in den USA akut werden könnten. Das sind das absichtliche Auslassen von Alternativen und die unterschätzte Gefahr durch Rechtspopulisten.

Wenn das Wesentliche ausgelassen wird

Mit Verweis auf Kinderschutz fordern die Polizeichefs also einen Eingriff in das Rückenmark der gesamten digitalen Kommunikation. Schlüssig ist das nur, wenn das polizeiliche Lagebild einseitig interpretiert wird und wenn unzählige alternative Maßnahmen kategorisch ausgeschlossen werden. Wenn ignoriert wird, dass es in den EU-Ländern nur punktuell Kinder- und Jugenschutzkonzepte in Schulen, Sport- und Religionsgemeinden gibt; dass sich längst nicht alle Kinder an vertrauensvolle Stellen wenden und Hilfe erwarten können; dass die meisten Straftaten gegen Kinder im engen familiären Umfeld stattfinden und, dass bereits das Erkennen und Melden dieser Straftaten scheitert.

Dass sich Kriminelle recht einfach vor pauschaler Massenüberwachung verstecken können, aber viel schwerer vor einer sensibilisierten Gesellschaft. Dass Kinder- und Jugendschutzprogramme chronisch unterfinanziert sind. Dass technische Mittel wie die Login-Falle oder gezielte Speicherhandordnungen nützlich sein können oder dass Polizei erfolgreich ermitteln kann, wenn sie personell, finanziell und technisch ausreichend ausgestattet ist und sich langfristig gezielt auf Fälle konzentrieren kann. Die Forderung nach pauschaler Massenüberwachung setzt Ignoranz gegenüber einem riesigen Spektrum an alternativen Maßnahmen voraus. Es ist besorgniserregend, dass auch Gerichte in Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung, oder zur sogenannten Fingerabdruckpflicht, dazu neigen, diese milderen, aber ebenso wirksamen Mittel, kaum mit in ihre Abwägung einbeziehen.

Wird sich der Rechtspopulismus bedanken?

Das Thüringen-Projekt des Verfassungsblog fragt: „Was passiert, wenn eine autoritär-populistische Partei staatliche Machtmittel in die Hand bekommt?“. Der Frühjahrsempfang des digitalpolitischen Vereins D64 will „Digitalpolitik faschismussicher“ machen und die Neue Richtervereinigung diskutiert die Frage: „Wie können wir unsere Justiz vor autoritären Zugriffen schützen?“

Zeitgleich arbeiten Europol und Regierungen mit sehr viel Ehrgeiz und Energie an flächendeckenden, alle Menschen erfassenden digitalen Strukturen zur Überwachung von Kommunikation. Erwähnt sei beispielsweise neben der Vorratsdatenspeicherung und der sogenannten Chatkontrolle die kaum bekannte EU-Arbeitsgruppe für Zugang zu Kommunikationsdaten: EUGoingDark.

Datenschutz- und Grundrechte-Organisationen werfen der Innenpolitik seit Jahrzehnten vor, dass sie ein schlüsselfertiges Überwachungs-Internet erschafft, das irgendwann ausgenutzt werden könnte, um Demokratie und Rechtsstaat in Gänze abzuschaffen. Mit den anstehenden Wahlen droht diese Gefahr näher zu kommen. Ich frage mich, ob die europäischen Polizeichefs und die Europol-Chefin Catherine De Bolle an einer Diskussion zum Thema „Digitale Demokratieresilienz: Rechtspopulismus in Regierungen und Behörden“ teilnehmen würden – und was sie darüber in einer gemeinsamen Erklärung schreiben und was sie weglassen würden.

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Autor*innen

Friedemann Ebelt engagiert sich für digitale Grundrechte. Im Campact-Blog schreibt er darüber, wie Digitalisierung fair, frei und nachhaltig gelingen kann. Er hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und interessiert sich für alles, was zwischen Politik, Technik, und Gesellschaft passiert. Sein vorläufiges Fazit: Wir müssen uns besser digitalisieren! Alle Beiträge

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