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Klimaschutz nach dem Zufallsprinzip

Ein neuer Klima-Bericht ist veröffentlicht. Was viele ahnten, bewahrheitet sich: Deutschlands Verkehrssektor ist eine klimapolitische Katastrophe. Einmal mehr zeigt sich, wie die Verkehrswende vom zuständigen Verkehrsminister verschlafen wurde. Anstatt Lösungen zu präsentieren, wird kurzerhand das gesamte Klimaschutzgesetz aufgeweicht. Das rettet zwar Wissing vor der Ausführung seiner Hausaufgaben, hilft aber kein bisschen dem Klima.

Eine Protestantin bei einer Klima-Demo mit einem Schild. Auf dem Schild steht: "Verkehrswende jetzt!"
Protestierende beim Klimastreik in Berlin am 1. März 2024. Foto: IMAGO / IPON

Der neue Bericht des Expert:innenrats für Klimafragen (ERK) zeigt, dass der bisherige Klimaschutz auf wackeligen Füßen steht. Ja, insgesamt gab es im Jahr 2023 einen starken Rückgang der Emissionen von rund 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dies ist der höchste prozentuale Rückgang binnen eines Jahres seit 1990, der vor allem durch den Energiesektor getragen wurde. Aber nicht gezielte Einsparungen, sondern ein milder Winter und der Rückgang der energieintensiven Produktion sorgten für das Einhalten der Klimaziele. Ohne den Rückgang der energieintensiven Industrie und die erneut milde Witterung hätten die Emissionen deutlich höher gelegen; das Einhalten der Klimaziele wäre nicht möglich gewesen.

Das gute Klimaergebnis ist somit nicht hausgemacht, sondern ein Ergebnis äußerer Umstände. Man könnte auch sagen, das Ergebnis ist durch Zufall entstanden – auch wenn der Krieg samt Energieschock ein bitterer Zufall ist. Und genau hier kommen wir zum Kern des Problems: Sobald die wirtschaftliche Lage sich wieder erholt, werden die Emissionen laut Bericht wohl wieder rasant ansteigen, wenn die Bundesregierung nicht umsteuert.

Und täglich grüßt die fehlende Mobilitätswende

Eine klare Option hätte sie dafür auf den Tisch, um das Erreichen der Klimaziele kurz- und langfristig abzusichern: endlich beim Verkehr handeln. „Beim Verkehr hat sich fast nichts getan, der Sektor überschritt mit 12,8 Megatonnen deutlich das Sektorziel zum dritten Mal in Folge“, heißt es von der stellvertretenden Vorsitzenden des Expertenrats für Klimafragen, Brigitte Knopf, als sie gestern den neuen Prüfbericht zu den Emissionsdaten 2023 vorlegt. Ein kurzer, aber hochexplosiver Satz. Denn damit fällt das Kartenhaus von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) zusammen. Dieser drohte in den letzten Tagen öffentlichkeitswirksam mit Fahrverboten an Wochenenden, weil die Reduktionsziele der Emissionen im Verkehrssektor nicht eingehalten werden.

Es grüßt täglich die fehlende Mobilitätswende. Wissing wusste um dieses Problem und spielte auf Zeit. Tempolimit? Abbau von fossilen Subventionen wie dem Dieselprivileg oder der Nichtbesteuerung von Flugkerosin? Nichts davon kam. Im Gegensatz zu den anderen Sektoren wie Energie oder Industrie, liefert Wissings Haus seit Jahren viele Floskeln, aber wenig Konkretes. Flugtaxen oder E-Fuels klingen ansprechend, sparen aber im Hier und Jetzt kein Gramm CO2 ein.

Doch Wissing kommt mit all dem durch – besonders seit gestern. Die Ampel-Fraktionen im Bundestag einigten sich darauf, das Klimaschutzgesetz abzuschwächen. Mit der alten Regelung wäre Volker Wissing verpflichtet gewesen, bis zum 15. Juli ein Sofortprogramm für seinen Verkehrssektor vorzulegen, da er die Klimaziele krachend verfehlt hat. Zum ersten Mal war das bereits 2022 notwendig, aber Wissings damaliger Vorschlag wurde nach Auffassung des Klimarates als völlig unzureichend bewertet. 

Jetzt geht er als Sieger vom Platz und hinterlässt ein klimapolitisches Trümmerfeld. Denn der Verkehrssektor wird auf absehbare Zeit nicht viel zum Klimaschutz beitragen. Im Gegenteil, die Emissionen werden sogar steigen. Straßen- und Güterverkehr werden wieder zunehmen, sobald die Wirtschaft sich erholt. Und ändert sich nichts an den Zulassungszahlen für E-Autos, werden die Verbrenner weiter dominieren. 

Es braucht Investitionen

Anstatt sich auf die wilden Träume von Wissing rund um E-Fuels und Flugtaxen einzulassen und sich beim Klimaschutz auf Zufälle auszuruhen, braucht es eine Investitionsstrategie. Die gab es sogar mal. Bis zum Karlsruher Urteil zur Schuldenbremse waren zumindest im Ansatz innerhalb des Klima- und Transformationsfonds (KTF) genügend Gelder vorhanden, um die Bahn aufzupäppeln, die Radinfrastruktur aufzubauen und die Batterieforschung anzukurbeln.

Seit dem Urteil wird der Rotstift angesetzt und die nächste Haushaltskürzung für 2025 steht bereits im Raum. Wissings Parteikollege und Finanzminister Christian Lindner will rund 30 Milliarden Euro einsparen. Während nach der Kürzungsrunde des KTF auf Rücklagen und andere Gelder zugegriffen werden konnte, droht die jetzige Haushaltskürzung zur Zerreißprobe für die Bundesregierung zu werden. 

Der Klimarat weiß um das Problem. Bereits im aktuellen Bericht werden Mittelkürzungen im KTF als hochproblematisch angesehen. Denn da fast die Hälfte der von der Bundesregierung genannten Klimamaßnahmen „fiskalischer Natur sind, verringert dies die Wahrscheinlichkeit, dass die angenommene Minderungswirkung tatsächlich eintritt.“

Während Wissing schlicht mit Verboten drohte, wird immer mehr klar: Will die Bundesregierung den Klimaschutz ansatzweise ernst nehmen, braucht es Investitionen. In die Bahn, in die E-Mobilität, in den ÖPNV und in die Radinfrastruktur. Passiert das nicht, werden aber Fahrverbote oder andere radikale Maßnahmen immer realistischer, will irgendeine zukünftige Regierung die Klimaziele noch einhalten. Oder aber, und das wäre der Supergau, wird der Klimaschutz einfach verschoben.

Sondervermögen Klimaschutz oder Reform der Schuldenbremse – die Regierung hat es in der Hand

Angesichts der dramatischen Haushaltskürzungen und der klimapolitischen Realität bleiben der Bundesregierung nur zwei Wege. Um die Schuldenbremse zu umgehen, könnte sie ein Sondervermögen für den Klimaschutz ins Leben rufen. Ein auf Kredit finanziertes Milliardenpaket, das die Bundesregierung ohne Probleme aufstellen könnte und sich im Regelwerk der Schuldenbremse bewegt. Hier könnten die fehlenden Gelder für den Bahnausbau und die Ankurbelung der E-Mobilität herkommen.

Ein anderer Weg wäre aber noch besser: Die Reform der Schuldenbremse. Multiple Krisen haben seit ihrer Einführung 2009 dazu geführt, dass die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse aus ihrer Zeit gefallen ist. Während 2009 die Finanzkrise wütete und Deutschland bzw. Europa durch die Schuldenlast zu erdrücken drohte, sorgt die Schuldenbremse jetzt für eine Verschärfung der Klimakrise, aber auch eine Verschlimmerung der wirtschaftlichen Lage.

Die Ökonom*innen sind sich durchgehend einig: Eine Reform ist unausweichlich, will die Bundesregierung die Infrastruktur und damit die Grundlage für die wirtschaftliche Erholung nicht gefährden. Neue Brücken, Digitalisierung oder neue Bahnstrecken brauchen frische Gelder. Es stimmt, dass für diese Reform die Union mit an Bord sein müsste, aber viele CDU-Ministerpräsidenten kündigten ihre Unterstützung auch an. Doch das Nein kommt bislang noch von CDU-Chef Friedrich Merz. Neben Christian Lindners kategorischem Nein zur Reform hat das fatale Folgen. Die Schuldenbremse wird damit zur Wohlstandsbremse, weil Gelder für die Infrastruktur, aber ganz direkt auch für den Klimaschutz fehlen. 

Verhindern könnte das ein Machtwort des Bundeskanzlers Olaf Scholz. Die Grünen haben bereits angedeutet, dass sie grundlegend für eine Reform sind und auch in der SPD sind die Stimmen klar auf Kurs Pro-Reform. Kanzler Scholz wäre also gut beraten, sein Erbe als Klimakanzler nicht mit der Abschwächung des Klimaschutzgesetzes zu verknüpfen, sondern als Kanzler der Investitionen und des Klimaschutzes in die Bücher einzugehen. Die Macht dazu hätte er.

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Autor*innen

Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. Er gründete 2002 gemeinsam mit Felix Kolb die Bewegungsstiftung, die Kampagnen und Projekte sozialer Bewegungen fördert. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand. Zudem ist er Mitglied des Aufsichtsrats von WeMove, der europaweiten Schwesterorganisation von Campact, sowie der Bürgerbewegung Finanzwende. Alle Beiträge

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