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Frauen*: Von der Ampel im Stich gelassen

Frühe Schwangerschaftsabbrüche gehören nicht ins Strafgesetzbuch: Eine klare Empfehlung von Expert:innen und ein Arbeitsauftrag an die Ampelregierung. Doch die ziert sich und beschwört eine vermeintliche Spaltung der Gesellschaft herauf.

Übergabe des Berichts der Expert:innen-Kommission zum Thema Schwangerschaftsabbrüche. Auf einer Bühne stehen Liane Woerner, Kommissionsmitglied, Juristin; Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach; Friederike Wapler, Kommissionsmitglied; Marco Buschmann, Bundesjustizminister und Bundesfamilienministerin Lisa Paus.
Bedankten sich herzlich für die Arbeit der Expert:innen-Kommission – und dann folgte nichts. Die Ampel-Minister:innen Karl Lauterbach, Marco Buschmann und Lisa Paus bei der Übergabe des Abschlussberichts durch die Kommissionsmitglieder Liane Woerner und Friederike Wapler. Foto: IMAGO/epd

„Bloß nicht spalten“: So reagierten die regierenden Ampelparteien und die Opposition unisono auf die Empfehlungen der Expert:innen-Kommission zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen. Rund ein Jahr lang hatten Wissenschaftler:innen darüber beraten, wie Schwangerschaftsabbrüche, Eizellspende und Leihmutterschaft neu reguliert werden könnten. Nun legten die Expert:innen Empfehlungen vor. Doch statt sich mit diesen auseinanderzusetzen, verschleppt die Ampelkoalition das Thema – und lässt Frauen* im Stich.

Zunächst zur Sachlage: Nach einjährigen Beratungen legte die Kommission zur „reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ im April ihren Abschlussbericht vor. In diesem lotet sie auf mehreren hundert Seiten medizinische, rechtliche und ethische Aspekte von Schwangerschaftsabbrüchen aus. Im Kern schlägt die Kommission in der Abwägung von Selbstbestimmungsrecht der Frau und Lebensrecht des Embryos / Fötus eine Stufenlösung vor. Das Lebensrecht des Embryos / Fötus gewinnt mit fortschreitender Schwangerschaft gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht der Frau an Gewicht. Entsprechend sollten frühe Abtreibungen legalisiert und in die reguläre Gesundheitsversorgung aufgenommen werden, späte Abtreibungen sollten dagegen rechtswidrig bleiben.

Die Empfehlungen der Kommission

  • Frühe Schwangerschaftsabbrüche in den ersten Wochen sollten legalisiert, also außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden. 
  • Bei mittlerem Schwangerschaftsfortschritt hat der Gesetzgeber große Spielräume und kann Abbrüche entweder straffrei stellen oder strafrechtlich regeln. 
  • In der späten Schwangerschaft, wenn ein Fötus auch schon außerhalb des Uterus leben könnte, sollten Schwangerschaftsabbrüche strafrechtlich geregelt werden. 

Zu jedem Zeitpunkt sollen medizinisch notwendige Abtreibungen sowie kriminologisch indizierte möglich sein, da Frauen nach traumatischen Gewalterfahrungen wie Vergewaltigungen Schwangerschaften immer wieder über Monate verdrängen. 

Darüber hinaus fordert die Kommission, rechtliche Grauzonen besser zu regeln: Hinsichtlich der medizinischen Indikation fordert die Kommission eine gesetzliche Regelung der Abtreibung bei festgestellter Behinderung oder Lebensunfähigkeit des Fötus. Dieses Recht muss auch mit dem Antidiskriminierungsrecht in Einklang gebracht werden. Weiterhin soll ein Tatbestand ins Strafrecht aufgenommen werden, wenn Dritte dem Fötus im Uterus durch Gewalt schaden – dies könnte beispielsweise gewalttätige Männer betreffen, die ihre Frau während der Schwangerschaft misshandeln und damit den Fötus schädigen. Aktuell ist dieses Verhalten nicht strafbar.

Klare Empfehlung: Legalisierung früher Schwangerschaftsabbrüche

Frühe Schwangerschaftsabbrüche gehören nicht ins Strafgesetzbuch: Über einen derartig klaren Auftrag der Kommission an den Gesetzgeber könnten sich die Ampel-Parteien freuen und flugs einen neuen Gesetzgebungsprozess starten. Doch weit gefehlt: Bei der Vorstellung des Berichts äußerten sich die drei Vertreter:innen der Ampelkoalition, Karl Lauterbach (SPD), Marco Buschmann (FDP) und Lisa Paus (B’90/Grüne) verhalten, dankten den Expert:innen höflich für ihre ehrenamtliche Arbeit – und ließen alle weiteren Schritte offen. Eine Umsetzung der Ergebnisse? Fehlanzeige.

„Bloß keine Spaltung“: Die Flucht vor der Debatte

Statt über die Inhalte der Kommissionsempfehlungen zu sprechen, wichen die Parteien – nicht nur der Ampel, sondern auch der Union – auf einen diskursiven Nebenschauplatz aus: die drohende Spaltung der Gesellschaft. Marco Buschmann (FDP) mahnte zur Vorsicht, um den „sozialen Frieden in unserem Land“ nicht zu gefährden, Karl Lauterbach (SPD) warnte vor einer „Debatte, die Deutschland spaltet“ und verwies auf die Notwendigkeit eines breiten gesellschaftlichen und parlamentarischen Konsenses. Aus der Bundestagsfraktion der Grünen ist kaum eine Reaktion zu hören, laut Berichten des Spiegels sollen sich die Parlamentarier:innen nicht äußern, bloß nichts politisch aufladen. Anfragen des Spiegels an Fachpolitiker:innen blieben unbeantwortet. Anders als bei vielen anderen Themen ist sich die Ampel hier einmal einig: Über die inhaltlichen Fragen möchte sie nicht sprechen.

Wer hätte das gedacht – damit liegt die Ampel-„Fortschrittskoalition“ sogar auf einer Linie mit der konservativen Union. Die CSU-Spitzenpolitikerin Dorothee Bär kommentierte im Deutschlandfunk, dass die aktuelle Regel Deutschland befriedet hätte und nun kein Streit provoziert werden dürfe. Dass die Union gegen eine Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist, überrascht nicht. Interessant ist vielmehr Bärs Argumentation: Sie argumentiert nicht inhaltlich gegen einen selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch, sondern nur mit einem möglichen Gesellschaftskonflikt. Das sollte ein Hinweis sein: Wenn sich selbst die CSU nicht mehr traut, das Leben des Fötus explizit über das Selbstbestimmungsrecht von Frauen* zu stellen, ist das ein sehr sicheres Zeichen dafür, dass eine Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen überfällig ist.

Deutschland progressiver als die Ampel

Und so ist es auch: Die taz berichtet, dass laut einer aktuellen Umfrage über 75 Prozent der Bevölkerung dafür sind, frühe Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren. Und diese Mehrheit ist stabil, auch über Parteigrenzen hinweg: Selbst in der CDU, die eine Legalisierung offiziell ablehnt, befürworten 77,5 Prozent der Wähler:innen eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches, bei Grünen und Linken sind es über 90 Prozent, bei der SPD 87 Prozent. Selbst unter Katholik:innen finden 65 Prozent die aktuelle Regelung falsch. Unter AfD-Wähler:innen sind es über 60 Prozent.

Die Bevölkerung ist sich also überraschend einig – für die Streichung des § 218 in seiner jetzigen Form aus dem Strafgesetzbuch. Auch auf der WeAct, der Petitionsplattform von Campact fordern über 100.000 Menschen die Reform. Wird sonst häufig bei progressiven Themen argumentiert, man könne Politik nicht gegen gesellschaftliche Mehrheiten durchsetzen, scheint hier das Gegenteil der Fall zu sein. Trotz einer klaren Mehrheit für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen  handelt die Politik nicht.

Wie auch die Ampel-Politik Frauen* im Stich lässt

Angesichts der klaren Mehrheitsverhältnisse ist es erklärungsbedürftig, warum sich die Ampelkoalition der Umsetzung der Kommissionsergebnisse verweigert. Einige meinen, dass in der laufenden Legislaturperiode zu wenig Zeit für das ethisch komplexe Thema bleibe. Wenn dem so ist, muss man sich fragen, warum die Ampel die Kommission erst so spät in der Legislaturperiode eingesetzt hat. Denn die Kommission hat ihre Arbeitszeit nicht überzogen, sondern zügig gearbeitet. In diesem Fall muss der Ampelkoalition schon bei der Einsetzung klar gewesen sein, dass sie etwaige Empfehlungen nicht mehr gesetzlich umsetzen kann. Es scheint, als hätte die Ampel das Thema sogar bewusst verschleppt.

Ebenfalls mit dem Thema Schwangerschaftsabbrüche hat sich Sibel Schick im Campact-Blog beschäftigt. Lies ihre Kolumne, in der sie erläutert, warum es sich bei dem häufig angeführten „Kinderschutz“ um ein Scheinargument handelt.

Für ungewollt schwangere Frauen* ist das fatal: Denn laut aktuellen Umfragen ist eine Beteiligung der Union an der nächsten Bundesregierung kaum vermeidbar. Und die nach rechts driftende Partei wird sich die reproduktive Selbstbestimmung sicher nicht auf die Fahnen schreiben – eine Reform von Schwangerschaftsabbrüchen wäre damit auch für die nächsten Jahre ausgeschlossen. 

Die aktuelle Bundesregierung steht deshalb besonders in der Pflicht, die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen zu schützen – vor allem gegenüber ihren Wählerinnen, die sie zu einem höheren Prozentsatz gewählt haben, als ihre männlichen Pendants. Stattdessen wird das Thema hinten angestellt – als „Frauenthema“, zu schwierig und nicht wichtig genug, um einen möglichen politischen Konflikt in Kauf zu nehmen. Ein Thema, das zwar nur Frauen* körperlich betreffen kann, diese dafür aber fundamental, politisch so herunter zu priorisieren, ist kaum progressiv sondern viel eher patriarchal. Von der Union erwarte ich es nicht anders, von der Ampel ist es ein Wortbruch gegenüber ihren Wählerinnen – sogar seitens der „liberalen“ FDP.

Schwangerschaftsabbrüche politisieren – aber zum Guten

Die patriarchalen Annahmen der Ampel-Strateg:innen darüber, was für die Wähler:innen wahlentscheidend ist, zeigen sich auch darin, dass die Koalition das Thema Schwangerschaftsabbruch vor der nächsten Bundestagswahl versanden lassen will. Marco Buschmann attestiert, dass die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche in den USA oder Polen die Gesellschaft polarisiert habe. Dabei vergisst er offenbar, zu wessen Gunsten: Sowohl der Wahlsieg des liberalen Demokraten Donald Tusk in Polen als auch das überraschend gute Abschneiden der US-Demokrat:innen bei den letzten Midterm-Wahlen sind zumindest teilweise auf die Politisierung der Menschen für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch zurückzuführen. Das Thema Schwangerschaftsabbrüche kann also durchaus polarisieren – aber zugunsten liberaler und linker Parteien. 

Dass selbst Bündnis 90/Die Grünen, die als „feministische“ und im Osten auch als bürgerrechtliche Partei gegründet wurden und sich bis heute so verstehen, sich nicht öffentlich für die Umsetzung ihres Wahlprogramms und die Streichung des § 218 einsetzen, ist bitter. Statt klar und demokratisch für die eigenen Positionen einzustehen und parlamentarische Mehrheiten für deren Umsetzung zu nutzen, überlassen die Parteien die gesellschaftliche Diskussion der Hörer:innensendung „Kontrovers“ im Deutschlandfunk. Ein Armutszeugnis für die Demokratie. 

Garantierte Freiheit für Frauen: Ein Beispiel an Frankreich nehmen

Nicht nur mit Blick auf die CDU in der Bundesregierung, insbesondere aus Sorge vor der AfD ist es notwendig, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch festzuschreiben. Denn der Angriff auf die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen* steht weltweit ganz oben auf der Agenda der Rechten. Um die Rechte von Frauen* auf ihre Selbstbestimmung wirksam zu schützen, sollten sich die Ampelparteien und fortschrittliche CDUler:innen gemeinsam einen Ruck geben – und sich ein Beispiel an Frankreich nehmen. In dem katholisch geprägten Land wurde gerade die „garantierte Freiheit für Frauen, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen“ in die Verfassung aufgenommen.

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Autor*innen

Inken Behrmann ist für Klimaschutz und Feminismus unterwegs. Nachdem sie als Campaignerin bei Campact und in der Klimabewegung Kampagnen für Klimaschutz organisiert hat, promoviert sie aktuell an der Universität Bremen. Für den Campact-Blog schreibt sie Texte gegen das Patriarchat. Alle Beiträge

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