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 „Alles für Deutschland“, die Erkennungslosung der Neonazis

Björn Höcke hat die Kampflosung „Alles für Deutschland“ wieder populär gemacht. Vergangene Woche hat das Landgericht Halle den ehemaligen Geschichtslehrer zu einer Geldstrafe verurteilt – Höcke muss die SA-Parole gekannt haben. Eine Chronologie von Andreas Kemper. 


Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke während seiner Rede bei einer Demonstration des AfD-Landesverbandes am 29. April 2023.
Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke während seiner Rede bei einer Demonstration des AfD-Landesverbandes am 29. April 2023. Foto: IMAGO / Funke Foto Services

Björn Höcke, Landesvorsitzender der AfD Thüringen, ist vom Oberlandesgericht Halle zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen mit je 130 Euro bestraft worden, weil er öffentlich und bewusst die SA-Kampflosung „Alles für Deutschland“ vor Publikum ausgesprochen hat. Das Gericht zog zwei von drei Argumentationen heran, die es plausibel machten, dass Höcke die SA-Parole kannte.

Geschichtslehrer Höcke

Zum einen ist er Geschichtslehrer und er hat in der Öffentlichkeit sehr viele typische NS-Begriffe benutzt. Hierzu zog die Staatsanwaltschaft Beispiele seiner NS-Rhetorik heran, die ich bereits 2016 herausgearbeitet hatte (seither finden sich viele weitere NS-Redewendungen in Höckes Reden und Texten). Zum anderen besteht eine Nähe zu zwei AfD-Funktionären, die bereits vor Höcke die SA-Kampflosung in die Öffentlichkeit trugen, aber noch nicht verurteilt wurden.

Kay-Uwe Ziegler hatte die SA-Kampflosung 2020 öffentlich verwendet und wurde gegen Ende des Jahres vom Landesvorstand der AfD Sachsen-Anhalt vorgeladen, um ihm deutlich zu machen, dass „Alles für Deutschland“ keine Kampflosung der AfD sei. Kurz darauf machte die AfD Sachsen-Anhalt „Alles für unsere Heimat“ zu Losung ihres Wahlkampfprogramms. Diese Losung griff Höcke wenige Monate später in Merseburg, Sachsen-Anhalt, auf und ergänzte sie um ein „Alles für Deutschland“. Das Oberlandesgericht hielt es für plausibel, dass Höcke aus diesen beiden Gründen die SA-Kampflosung gekannt haben müsse und verurteilte ihn entsprechend. Ein weiterer Prozess wegen der Verwendung der Parole in Gera steht aus.

Neonazi-Szene nutzt die Parole seit jeher


Es gibt aber noch ein drittes Argument, warum Höcke die SA-Kampfparole kennen müsste. „Alles für Deutschland“ war nicht nur eine SA-Kampflosung. Als SA-Kampflosung hat sie heute Bedeutung, weil die Neonazi-Szene mit dieser Parole an den Nationalsozialismus anknüpft. Dies macht sie nicht nur in der Öffentlichkeit, um eindeutigere Parolen wie „Heil Hitler“, „Sieg Heil“ oder „Deutschland erwache!“ zu vermeiden. Betrachtet man illegale Neonazi-Foren, wie beispielsweise das „Nationalsozialisten Forum im thiazi-net“, so verzeichnet „Heil Hitler“ mit 390 Erwähnungen zwar die meisten Treffer. An zweiter Stelle folgt mit 174 Nennungen „Alles für Deutschland“, und zwar mit deutlichem Abstand und oftmals in Kombination mit „Heil Hitler“.

„Alles für Deutschland“ als zweitwichtigste Parole

Alle anderen Nazi- und Neonazi-Kampflosungen weisen nur kleine, zweistellige Nennungen auf. Damit ist „Alles für Deutschland“ auch im neonazistischen Untergrund die zweitwichtigste Parole. Und im Gegensatz zu „Heil Hitler“ bietet „Alles für Deutschland“ die Möglichkeit, sich bei drohender Strafverfolgung als zu Unrecht verfolgt darzustellen. Da Höcke zumindest Kontakte in die Neonazi-Szene hatte, wenn nicht sogar Bestandteil der Neonazi-Szene war – auch das könnte vor Gericht geklärt werden –, liegt hier ein drittes Argument vor, das plausibel macht, dass Höcke die SA-Kampflosung gekannt haben muss.

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Im Folgenden habe ich einige bekannt gewordene Äußerungen aus der Neonazi-Bewegung mit abschließender Kampflosung „Alles für Deutschland“ chronologisch dargestellt. Ab 2005 gab es einen Einschnitt; die Äußerungen wurden nach einem gerichtlich bestätigten Verbot seltener getätigt, beziehungsweise umcodiert in „Alles für unsere Heimat“, „Alles für unser Vaterland“, „Alles für unser geliebtes Deutschland“. Mit der Entstehung der AfD 2013 verbreiteten AfD-Funktionäre die SA-/Neonazi-Parole.

„Alles für Deutschland“ – eine Chronologie

1979: Neonazi Michael Kühnen, Gründer der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ beendet sein im Gefängnis geschriebenes Buch „Die Zweite Revolution“ mit den Worten:

„Wer uns bekämpft, wird zerschmettert;
wer über uns lacht, dem wird das Lachen schon bald vergehen!
Wer aber ehrlichen Herzens den Weg in eine bessere Zukunft
für unser Volk sucht, dem reichen wir die Hand!
ALLES FÜR DEUTSCHLAND!“ [1]

1983: Frankfurter Appell: Programmtisches Flugblatt der „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/ Nationaler Aktivisten“:

„Die Führer der beteiligten Kameradschaften rufen alle Aktivisten auf, sich uns anzuschließen und überall örtliche Kameradschaften und Stützpunkte zu bilden!
Durch Einheit zur nationalen Revolution!
Wir fordern:

  • Aufhebung des NS-Verbots
  • Ausländerrückführung
  • Lebens- und Umweltschutz
  • Kulturrevolution gegen den Amerikanismus
  • Kampf für ein unabhängiges, sozialistisches Großdeutschland

NATIONALE REVOLUTION!
Alles für Deutschland! [2]

1990: Gemeinsame Erklärung von Garry Lauck und Michael Kühnen zum Besuch der US-amerikanischen „NSDAP/AO“ in Berlin: „Wir sind wieder da! Alles für Deutschland!“ [3]

1991: Karl Polacek zur Datensammlung der später verbotenen FAP zur „Feindabwehr“ und „späterern Bestrafung“ von „Volksfeinden“: „Mit vorzüglichen Grüßen, Alles für Deutschland!“ [4]

1992: Nach der Belagerung der schließlich brennenden Sonnenblumenhäuser in Rostock-Lichtenhagen kommentiert die später verbotene Neonazi-Organisation FAP: „Entlarven wir diese Umerzieher […], indem wir […] weiter unermüdlich für unsere Sache, gegen das Joch der Fremdbestimmung und gegen die tödliche Überfremdung kämpfen. Alles für Deutschland! FAP voran!“ [5]

1992: Indiziertes Album der Nazi-Band „Volkszorn“: Alles für Doitschland [6]

2000: Winfried Petzold, Landesvorsitzender der NPD Sachsen: „Der zweifellos bevorstehende Endkampf bedarf gut geschulter politischer Soldaten, die aus voller Überzeugung bereit sind, im Notfall alles zu opfern, ja das Letzte zu geben. […] Festigen wir unsere Reihen, bauen wir die Bewegung zu einer Festung aus! […] Kameraden, alles für das ewige Leben unseres Volkes! Alles für Deutschland! Ihnen gilt unser Kampf! Ihnen gilt unser Einsatz!“ [7]

2001: Jürgen Gansel, Redakteur der NPD-Zeitschrift „Deutsche Stimme“ und Vorstandsmitglied des Nationaldemokratischen Hochschulbundes: „Dem nationalen Geist wird dann eines nicht allzu fernen Tages wie selbstverständlich die befreiende nationale Tat folgen. ALLES FÜR DEUTSCHLAND!“ [8]

2001: Werner Petzold, Vorsitzender der NPD Sachsen, zur Wehrmachtsausstellung: „Alles für Deutschland; alles für das Reich“ [9]

2001: Holger Apfel, stellvertretender NPD-Vorsitzender: „Nichts und niemand wird uns abbringen im Kampf ums Reich. Unser Kampf ist erst dann zu Ende, wenn Deutschland wieder frei ist. Seien wir uns des hohen Blutzolls bewusst, den unsere Väter und Großväter im Kampf um Deutschland geleistet haben. Nehmen wir uns ein Vorbild. Kämpfen wir wie sie. Nichts für uns, aber alles für Deutschland.'“ [10]

2004: Christian Worch, Thomas Wulff und Thorsten Heise schließen sich gemeinsam als Führer neonazistischer Kameradschaften der NPD an und unterzeichnen die Erklärung mit der Parole: „Nichts für uns, Alles für Deutschland!“ [11]

2004: Am Wahlabend des Einzugs der NPD ins sächsiche Landesparlament demonstriert die später verbotene neonazistische Kameradschaft Berliner Alternative Süd-Ost unter dem Motto: „Alles für Deutschland, bei jeder Wahl national!“ [12]

2005: Sascha Krolzig, Kader der später verbotenen Kameradschaft Hamm, während einer Demo in Dortmund: „Alles für Deutschland!“ [13]

2005: Über dem Abbild einer Maschinenpistole auf der Website der später verbotenen Berliner „Kameradschaft Tor Berlin“ (KTB) findet sich der Spruch: „Damals wie heute – Alles für Deutschland“ [14]

2006: Bundesparteitag der NPD, Parteivorsitzender Udo Voigt beendet seine Rede mit: „Alles für Deutschland!“ [15]

2008: Die später verbotene „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene“ (HNG) hält eine Grußrede beim NPD-Parteitag und schließt diese mit „Alles für Deutschland“. [16]

2012: Der Neonazi Dieter Riefling („freie Kameradschaften“, ehm. FAP) skandiert während einer Demo in Münster die Parole „Alles für Deutschland“ und erhielt dafür ein halbes Jahr Haft auf zwei Jahre Bewährung. [17]

Illustration, die ein Clipboard mit einem Blatt Papier darauf und einem Stift daneben zeigt. Auf dem Blatt steht: "Argumente gegen die AfD: rechtsextrem, rassistisch, Desinformation, gegen Pressefreiheit, Gewalt, Frauenbild der 50er"
Quelle: Campact

Warum die AfD keine gute Alternative für Deutschland ist und wie Du das im Gespräch sicher vermitteln kannst, liest Du in diesem Beitrag.

2013: Marco Trauten, AfD-Vorsitzender Essen, postet auf Facebook: „Alles für Deutschland“. [18]

2017: Ulrich Oehme, AfD-Bundestagskandidat in Sachsen, verbreitet Plakate mit der Aufschrift „Alles für Deutschland“. [19]

2020: Kay-Uwe Ziegler, stellvertretender AfD-Landesvorsitzender Sachsen-Anhalt, beendete am 9. November eine Rede mit der Parole „Alles für Deutschland“. [20]

2021: Björn Höcke, AfD-Landesvorsitzender Thüringen, schließt eine Rede in Merseburg, Sachsen-Anhalt, mit der Parole „Alles für Deutschland“.

Eine Parole wird zum Selbstläufer

In Merseburg sprach Höcke seine SA-/ Neonazi-Parole noch offen aus. Bei einer Rede in Gera sprach er nur die ersten beiden Worte und dirigierte das letzte Wort, das von der Menge gerufen wurde. Am 1. Mai in Hamm brauchte er nur noch wortlos dirigieren: Das Publikum skandierte „Alles für Deutschland!“. In Greiz musste er nicht mal mehr dirigieren, er brauchte nur zu sagen, dass er Opfer einer Diktatur sei. Schon skandierte das Publikum „Alles für Deutschland!“. Die Thüringer Polizei konnte bislang zwei Tatverdächtige ermitteln.


Quellen

[1] Michael Kühnen: Die Zweite Revolution, 1979, Schlusssatz

[2] Aus dem Frankfurter Appell, Januar 1983; zit. n. Dudek/Jaschke, Bd. 2, S. 343

[3] Toralf Staud: Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD, S. 47

[4] Die Zeit, Ausgabe 03 / 1991: Alle Feinde des Volkes im Kasten

[5] FAP-Publikation „Standarte“, Heft 2, 10/1992, S. 8

[6] Ingo Heiko Steimel; 2007: Musik und die rechtsextreme Subkultur

[7] Winfried Petzold: Sachsen Stimme, Jan-Apr. 2000, zit. n. Bundesministerien des Inneren: Verfassungsschutzbericht 2000, S. 58

[8] Jürgen Gansel: Neuer NHB-Vorstand, in: Deutsche Stimme, Nr. 2/2001, zit. n. Paul Wellsow: Jürgen Werner Gansel: Der „Chefideologe“ der NPD?, in: Die NPD im Sächsischen Landtag. Analysen und Hintergründe 2008, hrsg. v. d. Heinrich-Böll-Stiftung, S. 31

[9] Staatsministerium des Innern des Freistaats Sachsen/ Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen: Verfassungsschutzbericht 2002, S. 33

[10] Staatsministerium des Innern des Freistaats Sachsen/ Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen: Verfassungsschutzbericht 2002, S. 33

[11] Tweet von ostdivan am 24. April 2024

[12] Stefan Reimann: Kameradschaft Berliner Alternative Süd-Ost, S. 63, in: Hans Sigrist Saskia Herrmann, Andre König, Alexander Lenk, Kristina Oertel, Katrin Pape, Stefan Reimann, Daniel Schlupper, Alexander Seiler, Heidi Weiser, Anja Wilhelm: Verbotene Vereinigungen und ihre Auswirkungen auf das Versammlungswesen, herausgegeben von Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin: Beiträge aus dem Fachbereich 3 (Polizeivollzugsdienst), Heft 51 2006

[13] Daniel Schlupper: Kameradschaft Tor Berlin, S. 51, in: Hans Sigrist, Saskia Herrmann, Andre König, Alexander Lenk, Kristina Oertel, Katrin Pape, Stefan Reimann, Daniel Schlupper, Alexander Seiler, Heidi Weiser, Anja Wilhelm: Verbotene Vereinigungen und ihre Auswirkungen auf das Versammlungswesen, herausgegeben von Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin: Beiträge aus dem Fachbereich 3 (Polizeivollzugsdienst), Heft 51 2006

[14] Daniel Schlupper: Kameradschaft Tor Berlin, S. 51, in: Hans Sigrist, Saskia Herrmann, Andre König, Alexander Lenk, Kristina Oertel, Katrin Pape, Stefan Reimann, Daniel Schlupper, Alexander Seiler, Heidi Weiser, Anja Wilhelm: Verbotene Vereinigungen und ihre Auswirkungen auf das Versammlungswesen, herausgegeben von Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin: Beiträge aus dem Fachbereich 3 (Polizeivollzugsdienst), Heft 51 2006

[15] Andreas Speit: Rechtsextremisten in Deutschland. Wer sie sind, was sie tun; herausgegeben von Angelika Beer, o.J.

[16] Toralf Staud: NPD-Parteitag: Schwarz oder braun?, Zeit Online, 26. Mai 2008

[17] Endstation Rechts: Stammkunde vor Gericht: Neonazi-Kader Dieter Riefling wegen Volksverhetzung verurteilt, 25. April 2014

[18] Kathrin Haimerl: AfD soll mit Rechtsextremen paktieren, Süddeutsche Zeitung Online, 29. Juli 2014

[19] Bernd Rippert: AfD-Kandidat plakatiert mit verbotenem Nazi-Spruch, tag24, 12. September 2017

[20] Timo Lehmann: Anzeige gegen Landesvize: AfD-Politiker provoziert mit Nazi-Spruch, Der Spiegel Online, 21. November 2020

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Autor*innen

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Seine kritischen Analysen zu Klassismus/Neoliberalismus (klassismus.de), Rassenbiologie und organisiertem Antifeminismus (diskursatlas.de) führten bereits im Juli 2013 zu seinem Buch „Rechte Euro-Rebellion“ zur AfD als Sammelbecken dieser Strömungen. Es handelte sich hierbei um die mit Abstand erste kritische Buchpublikation zur AfD. Kemper warnte hier nicht nur vor der Entstehung einer rechten Partei, sondern konnte auch als erster die Anschubfinanzierung durch die Finck-Gruppe genau bestimmen. Nicht zuletzt seine profunden Recherchen zu Björn Höcke (alias Landolf Ladig) führten zur Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Aktuell ist Kemper Mitherausgeber des 'Dishwasher-Magazins' für Arbeiter*innenkinder und recherchiert zu totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten. Alle Beiträge

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