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Europawahl: Die EU muss sich vor massiver Einflussnahme schützen

Die europäische Demokratie steht im Fadenkreuz von Machtinteressen. Konzerne und ihre Verbände betreiben mit viel Geld, Personal und privilegierten Zugängen Lobbyarbeit in Brüssel. Dabei werden die Lobbyausgaben immer atemberaubender und die ungleiche Verteilung des Einflusses wächst.

Das Foto zeigt den Eingang des EU-Parlaments in Brüssel in einer Großaufnahme. Vor dem Eingang stehen einige Menschen in kleinen Gruppen. Das Foto wird am oberen Rand von unscharfen Blättern im Vordergrund eingerahmt.
Nicht nur Abgeordnete und Besucher:innen gehen hier aus und ein: Auch tausende Lobbyisten aus allen Bereichen besuchen regelmäßig das Europaparlament in Brüssel für Termine. Foto: IMAGO / NurPhoto

In einer Woche wird in der Europäischen Union das Europaparlament neu gewählt. Die Abgeordneten, die dann neue EU-Kommission und auch der Rat der EU werden es in der kommenden Wahlperiode wieder mit zehntausenden Lobbyist:innen zu tun bekommen. Diese werden wieder mit viel Geld versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Anlässlich der Europawahl blickt LobbyControl mit dem neuen EU-Lobbyreport 2024 auf den Zustand von Lobbyregulierung und Transparenz in der EU.

Ungleiche Machtverteilung

Brüssel ist ein Magnet für Lobbyarbeit: 30.000 Lobbyist:innen sind in dem kleinen EU-Viertel tagtäglich unterwegs, um die Institutionen zu beeinflussen. Weitere arbeiten daran aus den Mitgliedstaaten heraus. Die französische Linken-Abgeordnete Leïla Chaibi hat es so ausgedrückt: „Sie kommen … überallhin. In der Kantine? Sitzt du neben einem ‚Beauftragten für öffentliche Angelegenheiten‘. In der Cafeteria? Sitzt auch einer. Sie klopfen an deine Bürotür, einfach so (…). Wir sind umringt von Lobbyist:innen.“

Dieser Lobbyismus ist unverändert geprägt durch ein großes Machtgefälle. Konzerne und ihre Verbände sind mit ihrem Geld, ihrem Personal und privilegierten Zugängen gegenüber gemeinwohlorientierten Akteuren klar im Vorteil. Auch bei Lobbyterminen haben Unternehmen die Nase vorn: Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen traf sich in dieser Wahlperiode zu 78 Prozent mit Lobbyist:innen aus der Wirtschaft. Dagegen kamen nur etwa 17 Prozent ihrer Gesprächspartner:innen aus der Zivilgesellschaft.

Allein in den vergangenen zehn Jahren haben die 50 größten Konzerne ihre Lobbyausgaben um zwei Drittel gesteigert. 2023 gaben Unternehmen und Verbände ganze 1,3 Milliarden Euro für Lobbyarbeit aus. Die Agentur Fleishmanhillard, die für 120 Konzerne und Verbände – darunter Amazon, die Allianz und der Chemieverband CEFIC – ihre Lobbydienste zur Verfügung stellt, wendet dafür jährlich mindestens 11,4 Millionen Euro auf. Zum Vergleich: LobbyControl hat 2022 86.000 Euro für Lobbytätigkeiten mit EU-Bezug aufgewendet.

Klare Schranken für Lobbyeinfluss sind nötig

Die Lobbyregeln, die die EU dieser finanzstarken Unternehmenslobby entgegenstellt, sind sogar ganz gut, doch sie könnten noch strenger sein. Zwar wurde 2016 das Verbot von bezahlten Lobbytätigkeiten neben dem Mandat eingeführt. Doch es wurde bis heute nicht klar definiert, was darunter zu verstehen ist. So kann die CSU-Frau Angelika Niebler neben ihrer Abgeordnetentätigkeit problemlos für eine Großkanzlei arbeiten, die weltweit Konzerne vertritt.

In der zu Ende gehenden Wahlperiode waren Union, FDP und AfD im EU-Parlament daran beteiligt, schärfere Lobbyregeln zu verhindern. So hatten Sozialdemokrat:innen, Grüne und Linke eine Karenzzeit von bis zu zwei Jahren vorgeschlagen, in denen Abgeordnete nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament nicht in Lobbyjobs wechseln dürfen, um dort ihre Kontakte und ihr Wissen zu versilbern. Die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly hat daher klar gemacht, dass sie die Regeln, mit denen unangemessener Lobbyeinfluss eingedämmt werden soll, für unzureichend hält.

Lobbykontrollbehörde mit Biss

Das größte Problem aber ist die Durchsetzung der Regeln. Der Befund von LobbyControl ist eindeutig und im neuen EU-Lobbyreport 2024 ausführlich erklärt: Bestehende Regeln werden kaum angewendet.

Im EU-Parlament wurde zum Beispiel bisher nur einmal eine Sanktion für Verstöße gegen die Regeln für Transparenz und Integrität verhängt. Und entsprechend verhalten sich die Abgeordneten dann auch. Fast 40 Prozent der bisherigen Abgeordneten der beiden rechten Fraktionen ID und EKR haben kein einziges Lobby-Treffen angegeben – obwohl sie das eigentlich müssen. Das ist ein strukturelles Problem und es ist nicht auf die extreme Rechte begrenzt. Auch ein Fünftel der EVP-Abgeordneten gibt kein einziges Lobbytreffen an. Der Fraktionsvorsitzende, Manfred Weber (CSU), gab seit der letzten Wahl insgesamt ein einziges Treffen an. Doch die zuständige Parlamentsverwaltung unternimmt offensichtlich nichts dagegen. Konsequenzen für die Abgeordneten gibt es keine.

Das neu geschaffene „Ethikgremium“ wird an dieser Lage nichts verändern. Es darf ohne Aufforderung aus den Institutionen nicht ermitteln. Es wird zahnlos bleiben. Das ist umso mehr ein Problem. Denn wir sehen inzwischen immer öfter, wie Regierungen autoritärer Staaten versuchen, EU-Institutionen zu ihrem eigenen Vorteil zu beeinflussen und zu destabilisieren. Die EU-Institutionen müssen also aus vielfältigen Gründen in der kommenden Wahlperiode endlich handeln, um sich vor unausgewogenen und teils illegitimen Machtinteressen schützen. Dazu gehört die Schaffung einer unabhängigen Lobbykontrollbehörde, welche die bestehenden Regeln effektiv kontrollieren und durchsetzen kann.

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Autor*innen

Imke Dierßen ist Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitete viele Jahre bei Amnesty International als Referentin und Abteilungsleiterin. Dort hat sie gelernt, wie schwierig es für die Zivilgesellschaft sein kann, sich gegen einflussreiche Akteure aus Politik und Wirtschaft durchzusetzen. Seit 2015 ist sie politische Geschäftsführerin von LobbyControl. Für den Campact-Blog schreibt sie über Lobbyismus und politische Machtungleichgewichte. Alle Beiträge

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