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Verlogene Alternative für Migranten

Die AfD kämpft für „Remigration“ und meint die massenhafte Deportation von Menschen auch mit deutscher Staatsbürgerschaft. Und trotzdem punktet sie in der migrantischen Community, längst nicht nur bei Russlanddeutschen. Wie geht das?

Wahlplakat der AfD zum Europawahlkampf mit der Aufschrift "Sicherheit statt Multikulti".
Wahlplakat der AfD zum Europawahlkampf. Foto: IMAGO / Steinach

Es hört sich auf den ersten Blick widersprüchlich an: Doch zu den Erfolgen der AfD – auch jetzt bei der Europawahl – tragen mit nicht unerheblichem Anteil Menschen mit Migrationshintergrund bei. Und das, obwohl der Rechtsextremist Björn Höcke seit Jahren das Wort „Remigration“ in Reden anführt und die Partei Massenabschiebungen selbst von Bürger:innen mit deutschem Pass plant.

Als erstes Einfallstor für die Parteistrategie ist nach wie vor die Gruppe der Russlanddeutschen bekannt. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, wie die AfD über dieses Milieu Verbindungen nach Moskau knüpft. 2022 gründete sich in Chemnitz der Verein Vadar, „Vereinigung zur Abwehr der Diskriminierung und der Ausgrenzung von Russlanddeutschen sowie russischsprachigen Mitbürgern in Deutschland“. Vorsitzender: der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Oehme, der in den 90er Jahren als Versicherungsmakler in Russland und Belarus Geschäfte machte. Ein weiteres Beispiel: Eugen Schmidt, Beauftragter für Russlanddeutsche der AfD-Bundestagsfraktion, Abgeordneter aus Nordrhein-Westfalen. Er beschäftigte den Kreml-nahen Aktivisten Wladimir Sergijenko, der über Verbindungen zum russischen Geheimdienst FSB verfügt.

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AfD-freundliche Menschen mit Migrationsgeschichte

Das Spektrum der Menschen mit Migrationsgeschichte in der AfD wurde beharrlich erweitert – immer im Sinne einer Propaganda, laut der die AfD nicht ausländerfeindlich sei. „Viele in der AfD haben Migrationshintergrund“, sagte der hessische AfD-Fraktionschef Athanasios Robert Lambrou, der in Münster mit griechischer Staatsbürgerschaft zur Welt kam, im Mai in einem Werbe-Video. Vor einem Jahr gründete er den Verein „Mit Migrationshintergrund für Deutschland“.

Als vor wenigen Wochen vor dem Oberverwaltungsgericht Münster über die Verfassungsschutz-Einstufung der AfD als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ verhandelt wurde, fungierten neben Lambrou auch andere als Feigenblatt. Um dem Vorwurf eines völkischen Nationalismus entgegenzutreten, traten dort als AfD-Zeug:innen auch der Iraner Meysam Ehtemai und die in Nigeria aufgewachsene Catherine Schmiedel auf. „Der große Bluff“, schrieb t-online über Lambrous „Alibi-Verein“ und die Show der Partei vor Gericht in Münster.

Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Migranten

Gute Migranten sind in der Logik der AfD bloß jene, die in den Chor gegen die „Politik der Massenmigration“ einstimmen. Zeit Online berichtet über ein TikTok-Video des AfD-Spitzenkandidaten bei der Europawahl, Maximilian Krah, welches viral ging. „Türken in Deutschland sollten die AfD wählen“, lautete die Überschrift. Appelliert wurde, eine Partei zu wählen, „die dafür sorgt, dass man Vater und Mutter ehrt“. Suggestiv fragte Krah: Wem nehmen denn diejenigen, die jetzt reinkommen, Wohnungen und Arbeitsplätze weg? „Türken in Deutschland haben unendlich viele Gründe, sich von den linken Spinnern der Ampel und ihren Handlangern in der CDU verraten und verkauft zu fühlen.“ Krah warb für eine Allianz mit den Ländern, mit denen Deutschland über Jahrhunderte „Partnerschaft und Waffenbruderschaft“ gepflegt habe. Der Politikberater Johannes Hillje sagt: Strategie der AfD sei, alte gegen neue Migrant:innen auszuspielen; auch bei diesem Thema sei die Partei „völlig skrupellos“.

Ähnlich sieht es die Migrationsforscherin Naika Foroutan. In einer Analyse für „Zeit Online“ schrieb sie im März über die Gruppe derjenigen, die schon länger mit Migrationshintergrund in Deutschland leben: „Sie haben sich anstrengen müssen, deutscher als deutsch zu wirken, und dafür vieles über Bord geworfen, was sie mit der alten Heimat verband. Es wie ein Reflex, dass sie sich nun als ,gute Ausländer‘ der AfD anbieten.“ Grundsätzlich sei das Wählerprofil der türkeistämmigen Erdoğan-Wähler:innen „mit ihrem nationalistischen, antifeministischen, homophoben und antisemitischen Repertoire“ durchaus anschlussfähig an die AfD, meint Foroutan.

Im ZDF nannte die Soziologin drei Gründe, warum die Strategie der AfD mit ihrer Werbung um Menschen mit Migrationshintergrund aufgehen könnte. Erstens: Manche Migrant:innen stehen ohnehin rechts außen. Zweitens: Migrantische Wähler:innen könnten sich von den etablierten Parteien vernachlässigt fühlen. Und drittens: Auch Menschen mit Migrationshintergrund könnten sich einen Rassismus zu eigen machen. Nach dem Motto: Die AfD werde bloß „die Schlechten“ wegschicken, aber doch nicht diejenigen, die ihr die Stimme geben.

Hausaufgaben für etablierte Parteien

Frei von Widersprüchen ist das Agieren der Rechtsradikalen nicht. Aber nachhaltig schaden tut ihnen das eben auch nicht. Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, beobachtete im Krieg um Gaza zwei Richtungen: „Die eine Gruppe verhält sich pro-palästinensisch, weil es gegen denselben Feind geht, nämlich die Juden. Und zugleich gibt es eine Fraktion, die sich quasi als falsche Freunde bei den Juden anbiedert und sich mit der israelischen Regierung solidarisiert, weil man glaubt, denselben Feind zu haben, nämlich Muslime.“ Ressentiments pflegt die AfD so oder so.

Für die etablierten Parteien erwachsen aus der Strategie der rechtsradikalen Partei, immer neue Milieus zu erschließen, weitere Hausaufgaben. Zwar haben die Wahlforschungsinstitute keine Erhebungen, wie Menschen mit Migrationshintergrund am Sonntag abgestimmt haben. Doch auf der Hand liegt ein Verdacht: dass nämlich auch im migrantischen Milieu die Zustimmung für die AfD gewachsen ist, weil sich viele bei CDU, SPD und Grünen nicht (mehr) gut aufgehoben fühlen. Und zuweilen dort sogar eine Politik „AfD light“ gemacht wird. Es wäre ein weiteres Alarmsignal der Europawahl mit ihren ohnehin schockierenden Ergebnissen.

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Autor*innen

Matthias Meisner ist freier Journalist und Buchautor in Berlin. Er schreibt über Menschenrechte, Geflüchtete und die Bedrohung der Demokratie. Zuletzt erschien 2023 im Herder-Verlag, gemeinsam herausgegeben mit Heike Kleffner, „Staatsgewalt – wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“. Infos unter www.meisnerwerk.de. Alle Beiträge

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