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From Cottbus With Love

Hunderte Menschen stehen stundenlang im Regen, um gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie zu demonstrieren. Ich war einer von ihnen gestern in Cottbus. Meiner Mutter habe ich eine E-Mail geschrieben, warum ich da war. Und Du darfst mitlesen.

"Cottbus ist bunt" steht auf einem großen Transparent ins Regenbogenfarben, dass an der Stadthalle in Cottbus hängt.
Foto: IMAGO / Andreas Franke

Hallo Muddi.

Ich glaube, ich werde krank. Ich stand gestern stundenlang im Regen und im Wind in Cottbus vor der Stadthalle und zwischenzeitlich war mir echt richtig kalt. Aber das ist nicht so schlimm, weil es sich gelohnt hat: Gemeinsam mit Hunderten Menschen habe ich in Cottbus für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus demonstriert und durfte sogar eine Rede halten.

Ich hatte Dir schon davon erzählt: Bei Campact haben wir gemeinsam mit ganz vielen anderen Organisationen das Bündnis „Rechtsextremismus stoppen – Demokratie verteidigen“ auf die Beine gestellt. Seit Wochen bestimmt das meinen Arbeitsalltag. Ja klar, das ist manchmal echt anstrengend und die eine oder andere Überstunde gehört auch dazu, aber wenn ich dann auf so Demos wie in Cottbus bin, dann merke ich wieder, wofür ich das alles mache. 

Im ganzen Land haben wir über 220 Demos angeschoben.

Von Bergen auf Rügen, bis nach München, von Aachen bis nach Zittau. Eine neue Protestwelle rollt wieder durchs Land. Knapp 80.000 Menschen waren schon in den letzten zehn Tagen auf der Straße. Davon Hunderte gestern in Cottbus. 

Das Bündnis #unteilbar Südbrandenburg hatte schon damals im Januar eine große Demo in Cottbus auf die Beine gestellt. 5.000 Menschen kamen damals. Diesmal waren es weniger. Wusstest Du, dass Cottbus seit Jahren ein Hotspot rechtsextremer Gewalt ist? Da sieht es echt finster aus. Aber natürlich gibt es auch dort etliche, die sich den Faschisten Tag für Tag in den Weg stellen – auch bei Regenwetter. So wie gestern. Ich bin dankbar für jede einzelne Person, die gekommen ist. Das macht echt Mut!

Überhaupt glaube ich, dass es oft gar nicht so wichtig ist, wie viele Menschen auf den Demos sind. Gerade bei uns im Osten habe ich eher den Eindruck, dass es wichtig ist, dass überhaupt was passiert. Weil die Frage ist doch: Wie gehen wir in unserer Stadt, in unserem Ort, in unserem Viertel miteinander um? Und da geben zum Beispiel Demos Impulse in diese kleine Zelle der Gesellschaft, entfachen Diskurs, auch mal Streit – aber vor allem schaffen sie Öffentlichkeit. Eine Öffentlichkeit, mit der man sich auseinandersetzen muss, ob man nun will oder nicht. Und das hilft total, wenn man entweder denkt „Ich bin hier allein“ oder wenn man denkt „Alle denken so und so“ und dann merkt: stimmt ja gar nicht. 

Deswegen finde ich es gerade so cool, auch zu Demos zu fahren, wo eben keine Zehntausende auf der Straße sind. Sondern eher wenige gemeinsam für eine Sache streiten. Und vor allem in Orte, wo sich Faschisten einfach zu wohlfühlen und es notwendig ist, ein Gegenprogramm zu organisieren. 

Ich war gestern den ganzen Tag in Cottbus.

Es tut mir leid, dass ich deswegen am Wochenende so schlecht erreichbar war. Aber weißt Du, wenn ich nicht gerade in Cottbus im Regen stehe, sieht mein Arbeitsalltag gerade so aus: Eigentlich hänge ich den ganzen Tag am Telefon und telefoniere mit ganz vielen engagierten und mutigen Menschen im ganzen Land. Wie funktioniert das mit der Anmeldung, wo bekommen wir noch Bühnentechnik her, habt ihr noch ein Banner oder Plakate, die wir nutzen können? All diese Fragen beantworte ich und berate diese vielen Menschen, wie ihre Demo ein voller Erfolg wird. Ich organisiere Materialverschickungen ins ganze Land, organisiere Technik oder überweise finanzielle Unterstützung. Das macht richtig Spaß, aber nach einem Arbeitstag am Telefon bin ich auch leer gesprochen. Deswegen gehe ich nach der Arbeit gerade eher schlecht ans Telefon. 

Das Schönste an diesen ganzen Telefonaten ist es, wenn Leute aus dem Osten anrufen. Ich habe mittlerweile so viele Menschen kennengelernt! Aus Zittau, aus Görlitz, aus Plauen, aus Bad Freienwalde, aus Quedlinburg, aus Haldensleben, aus Erfurt – um nur ein paar wenige zu nennen. Mir gibt das echt Kraft, weil wenn ich mir die Umfragewerte der AfD bei uns so anschaue, dann wird mir echt übel. Und gerade jetzt in Wahlzeiten ist es ja mal wieder so, dass besonders die großen Leitmedien mit einem eher exotisierenden Blick auf den Osten schauen und sich fragen: Oh mein Gott, was werden die bekloppten Ossis diesmal wieder am Wahltag verzapfen. Dann am Telefon zu hören, wie unglaublich viele stabile und engagierte Menschen es gibt, macht total Spaß und gibt Hoffnung. Bei uns ist eben doch (noch) nicht alles verloren. 

Nach dem 9. Juni melde ich mich.

Dann mal wieder am Telefon und nicht nur per E-Mail, dann ist der Stress erstmal überstanden. Mal sehen, wie die Wahlergebnisse werden. Apropos Muddi: Nicht vergessen, am 9. Juni wählen zu gehen! Ich schicke Dir ein Foto aus der Wahlkabine. 

Jetzt hoffe ich mal, dass ich keine Erkältung bekomme und brühe mir einen Tee auf.

From Cottbus With Love
Dein Danny

PS: Die Stadthalle in Cottbus ist ja wirklich so ein schönes Gebäude, das glaubst Du nicht. Eindrucksvoller DDR-Bau, wunderschöne Lampen, tolle Ästhetik. Bei mir hat es auf jeden Fall Klick gemacht. Bei der nächsten Demo stehe ich nicht nur vor der Halle, sondern schau mir die auch mal von innen an. 


Bei der Europawahl am 9. Juni drohen rechtsextremen Parteien massive Gewinne. Auch in Deutschland liebäugeln immer mehr Menschen mit der Wahl der AfD. Laut aktuellen Umfragen könnte sie zweitstärkste Kraft werden – mit fatalen Folgen für Europa. 

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Autor*innen

Danny Schmidt ist seit 2019 Campaigner bei Campact. Als Teil des Kampagnen-Teams gegen Rechts setzt er sich vor allem gegen das Erstarken rechter Strukturen, Bewegungen und Parteien ein. Als Nachwendekind aus der ostdeutschen Provinz lässt ihn die Frage der ostdeutschen Identitäten nicht los – für den Campact-Blog schreibt Danny Schmidt für, über und aus Ostdeutschland. Alle Beiträge

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