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Wird Windows 11 eine Elektroschrott-Welle auslösen?

Ab Oktober 2025 wird das führende Microsoft-Betriebssystem Windows 10 keine Sicherheitsupdates mehr bekommen. Das stellt Behörden, Unis und Schulen vor ein Problem – und wird zu mehr Elektroschrott führen, warnen Experten.

Hintergrund: Ein Computer-Bildschirm zeigt den Update-Bildschirm von Windows. Vordergrund: Ein Smartphone-Bildschirm zeigt die Info, dass der Support für Windows 10 im Oktober 2025 eingestellt wird.
Foto: IMAGO / ZUMA Wire

Soviel vorab: Ich habe noch nie (freiwillig) Microsoft Produkte benutzt, vermisse nichts und bin darum voreingenommen. Die einzige Ausnahme hatte ich als studentische Hilfskraft vor vielen Jahren. Insofern schaue ich in diesem Text von außen auf das Microsoft-Phänomen, dass eine ganze Menge über Digitalisierung und Nachhaltigkeit erzählt.

Microsoft will eine nachhaltige Welt – aber auch Wachstum

Wie jedes große Unternehmen sieht sich Microsoft der Nachhaltigkeit verpflichtet. Präsident Brad Smith und Nachhaltigkeits-Chefin Melanie Nakagawa erklären im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht (eigene Übersetzung, PDF): „Vor vier Jahren verpflichtete sich Microsoft, bis 2030 kohlenstoffnegativ und wasserpositiv zu werden, abfallfrei zu sein und mehr Land zu schützen, als wir nutzen.“

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Microsoft geht es um eine „globale, gemeinsame Anstrengung“ und darum, „die Menschheit bei der Erreichung unserer gemeinsamen Ziele zu unterstützen“, um eine „gesellschaftlichen Infrastruktur für eine nachhaltige Welt“. Diese „gemeinsame Anstrengung“, was auch immer damit gemeint sein soll, geht allerdings zur Zeit in die falsche Richtung. Die Belastung des Planeten durch kurze Lebenszyklen von Smartphones, durch steigenden Energie- und Wasserverbrauch von sogenannter künstlicher Intelligenz, durch digital angeschobenen Überkonsum und viele andere Entwicklungen nimmt zu und nicht ab. Microsoft scheitert, wie die anderen Big Tech-Unternehmen an der Erschaffung einer „Infrastruktur für eine nachhaltige Welt“. Ansätze gibt es nur in Nischen. Konzepte, wie eine wirklich digital nachhaltige Welt aussehen könnte, fehlen komplett. Falls ihr welche kennt: Schreibt mir gern, ich hoffe, ich liege hier falsch! Darum die These: Microsoft und Co. beschleunigen den digitalen Überkonsum. Ihre präsentierten Nachhaltigkeits-Zahlen stimmen nur auf den ersten Blick positiv, denn sie klammern unternehmensexterne Umweltkosten aus.

Mitte Oktober 2025 wird Microsoft die regulären Sicherheitsupdates für Windows 10 einstellen. Dabei ist Windows 10 mit einem Marktanteil von rund 78 Prozent das weltweit führende Betriebssystem. Wer Windows 11 nutzen möchte braucht dann Computer, die vergleichsweise hohe Anforderungen an die Hardware erfüllen. Das heißt, im Zweifel müssen alte Geräte ersetzt werden. Canalys, die weltweit führende Technologiemarkt-Analyse Firma (eigene Aussage) warnt, dass in Folge 240 Millionen PCs in den Elektroschrott wandern könnten, weil sie aus dem Nutzungs-Zyklus ausscheiden – während gleichzeitig das Wachstum des PC-Markts angeregt wird:

Die Entscheidung von Microsoft wird das E-Müll-Problem der Branche verschärfen und die Rolle der Betriebssystemhersteller bei der Ermöglichung von Kreislauf-IT-Modellen unterstreichen. (…) Die Verfügbarkeit von Windows 11 auf neueren PCs wird (…) zum Wachstum beitragen.

Tech-Analyse-Firma Canalys

Wie groß ist das Problem tatsächlich?

Auf die Schnelle ist es mir nicht gelungen, herauszufinden, wie groß das Problem tatsächlich ist. Auch nach 2025 gibt es Optionen, Computer, die die neuen Hardware-Anforderungen nicht erfüllen, mit Windows oder auch ohne Windows weiter zu nutzen. Microsoft hat angekündigt, bis 2028 Support für Windows 10 anzubieten – zu welchem Preis, steht allerdings noch nicht fest. Ist der Preis zu hoch, lohnt sich trotz der Verlängerungsoption finanziell der Geräteaustausch. Grundsätzlich lässt sich Windows 10 nach 2025 auch ohne Support nutzen – inklusive Risiken und Unsicherheiten.

Technisch versierte Nutzer*innen können Windows 11 auch auf Hardware nutzen, die die neuen Anforderungen nicht erfüllen, in dem sie die den Check der Anforderungen überbrücken (Danke für den Hinweis, @damiel_gc!), was allerdings den Support beeinträchtigen könnte. Schließlich ist es natürlich möglich, die betroffenen Geräte mit Linux weiter zu nutzen.

Privatpersonen dürften größere Spielräume haben als Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen. Punktuell habe ich aus Universitäten und Hochschulen gehört, dass Unsicherheit herrscht. Unklar ist, welche Geräte betroffen sein werden, welche Option die beste ist und wie gegebenfalls notwendige Neuanschaffungen finanziert werden können. Leider wird das Thema, soweit ich sehen konnte, noch nicht ausreichend öffentlich diskutiert. Vielleicht melden sich Admins dazu noch und klären auf. Schließlich geht es um Steuergelder, digitale Abhängigkeit, Nachhaltigkeitsziele – und die Marktmacht von Microsoft. Insofern wäre beispielsweise auch eine Position der Hochschulrektorenkonfrenz oder politische Diskussionen interessant, schließlich steht nachhaltige Digitalisierung auf der Agenda so ziemlich jeder Einrichtung.

Warum überhaupt Microsoft?

Menschen, die sich für dieses Thema interessieren, diskutieren es wie gewohnt intensiv und leidenschaftlich. Die Windows 11-Abwrack-Frage ist im Grunde ein weiteres Kapitel in der Konfliktgeschichte zwischen zwei Lagern: Den digital-idealistischen Menschen, die tendenziell gemeinwohlorientierte Digitalisierung wollen und bereit sind, Veränderungsschmerzen in Kauf zu nehmen und den konservativeren Menschen, die Markt- und Machtverhältnisse sowie Nutzungsgewohnheiten akzeptieren und den aktuellen Ist-Zustand nicht ändern wollen. Kurz gesagt geht es um freie, freiheitsgewährende Software versus proprietäre Software von Tech-Giganten.

Monopol, Datenhandel, Steueroptimierung, Zensur

An Microsoft gibt es viel Kritik, angefangen beim Datenschutz: Netzpolitik.org hat über das invasive Tracking und den Datenhandel einer Microsoft-Plattform berichtet, deren Datenverarbeitung die NGO noyb behördlich überprüft haben will. Der IT-Sicherheitsexperte Mike Kuketz hält den Einsatz von MS365 und „höchstwahrscheinlich auch weitere[n] Produkte[n]“ für „nicht datenschutzkonform“. Microsoft selbst sieht die eigene Kundschaft als Datenquelle und sagt in den Datenschutzbestimmungen: Das Unternehmen sammelt „Daten über Sie, durch unsere Interaktionen mit Ihnen sowie über unsere Produkte. Einige dieser Daten stellen Sie direkt bereit, andere erhalten wir durch das Sammeln von Informationen über Ihre Aktivitäten, Nutzung und Erfahrungen mit unseren Produkten.“

An anderer Stelle verweist Kuketz auf den Aspekt der Abhängigkeit, die dem politischen Programm von souveräner Digitalisierung widerspricht:

In der Praxis ist längst bekannt, dass die Abhängikeit der (EU-)Staaten bereits ein Ausmaß angenommen hat, die eine IT-Landschaft ohne Microsoft gar nicht mehr möglich macht.

IT-Sicherheitsexperte Mike Kuketz in seinem Blog

Dazu kommen Themen wie Kinderarbeit in Kobaltminen, die Ausnutzung von Steuerrregeln auf Kosten des globalen Südens oder Zensur der Microsoft-Suchmaschine Bing. Auf Grund der Marktmacht ist Microsoft in einer sehr starken Verhandlungs-Position gegenüber Politik und Kundschaft in Bezug auf Nutzungsbedienungen, technische Standards, Datenschutz und Co. Hinter der Marktmacht steckt finanzielles Gewicht, aber auch ein komplexes Vertragswerk das unter anderem Lizenz-Verträge des Bundes und der Länder umfasst. (Anfragen nach diesen Verträgen scheinen auf FragDenStaat.de eine beliebte Sache zu sein.) Entsprechend haben es Privatpersonen, Unternehmen und Kommunen schwer, sich außerhalb des Microsoft-Universums zu bewegen. Die Aufrechterhaltung dieses Universums ist unterdessen teuer. Der Bundestagsabgeordnete Victor Perli (Die Linke) hat Zahlen für 2023 bei der Bundesregierung abgefragt und kommentiert:

„Die Kosten für Softwarelizenzen in der Bundesverwaltung sind im Jahr 2023 erstmals über eine Milliarde Euro gestiegen. Von über 771 Mio. im Jahr 2022 auf über 1,2 Mrd. im Jahr 2023. Das ist eine Steigerung um 441 Mio. bzw ein Plus von rund 57 %. (…) ‚Der Bundeshaushalt ist zu einer Gelddruckmaschine für Software-Konzerne geworden. Nachdem insbesondere Microsoft in den letzten Jahren Kostentreiber war und seine Monopolstellung und das IT-Chaos beim Bund schamlos ausnutzen konnte, haben jetzt andere Unternehmen nachgezogen.'“ (Auch der Spiegel hat dazu berichtet.)

Was sagen Verwaltung, Universitäten und Hochschulen dazu?

Die Zahlen oben betreffen zunächst nur die IT des Bundes und dessen Ministerien und untergeordnete Einrichtungen. Microsoft-Produkte in Verwaltung und Universitäten kommen hinzu. Der kulturelle, technische und politische Microsoft-Lock-In ist so stark, dass existierende Alternativen nicht zum Zug kommen. Vorteile anderer Software-Lösungen gelangen nicht in den Wettbewerb. Das erzeugt Frust, der Menschen, denen diese Themen wichtig sind, in zwei Lager spaltet, die sich gegenseitig als Microsoft-Jünger und naive Idealisten abtun. Einer möglichst nachhaltigen Digitalisierung ist damit nicht geholfen.

Ich würde mich freuen, wenn Menschen aus der Verwaltung, Universitäten und Politik in den kommenden Monaten eine öffentliche Diskussion dazu führen würden, gern auf Mastodon, wo bereits einige Gedanken ausgetauscht wurden: Danke dafür an alle Beteiligten! Ich denke, nur so kann es, zumindest in kleinen Schritten, vorwärts gehen.

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Autor*innen

Friedemann Ebelt engagiert sich für digitale Grundrechte. Im Campact-Blog schreibt er darüber, wie Digitalisierung fair, frei und nachhaltig gelingen kann. Er hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und interessiert sich für alles, was zwischen Politik, Technik, und Gesellschaft passiert. Sein vorläufiges Fazit: Wir müssen uns besser digitalisieren! Alle Beiträge

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