AfD Rechtsextremismus
Höcke, Musk und der Faschismus
Björn Höcke darf als Faschist bezeichnet werden. Muss er das auch? Warum es wichtig ist, den Begriff „Faschismus“ präzise zu verwenden und welche Gefahren in der Verharmlosung oder falschen Zuordnung liegen.
Als ich 2015 in einer Studie schrieb, ob Höckes Ideologie noch konservativ oder schon faschistisch sei, konnte ich mich auf Roger Griffins Faschismusdefinition beziehen. Mit diesem Ansatz war es sehr einfach, Höckes Äußerungen als faschistisch zu identifizieren. Es war einfach nur eine Fleißarbeit, die darin bestand, alle zur Verfügung stehenden öffentlichen Texte von Höcke darauf hin zu untersuchen, ob sie die Kernmerkmale faschistischer Ideologien aufwiesen.
Faschismus als Faschismus benennen
Es war nicht ganz ungefährlich, denn es kann sehr teuer werden, Menschen zu Unrecht als faschistisch zu bezeichnen. Der Thüringer AfD-Politiker Stephan Brandner musste jetzt beispielsweise 50.000 Euro Strafe zahlen – plus Gerichtskosten, weil er die Spiegel-Journalistin und AfD-Expertin Ann-Kathrin Müller wiederholt als „Faschistin“ bezeichnet hat (das Urteil ist noch nicht rechtskräftig).
Das ist in meinen Augen auch richtig so. Wir sind es den Opfern des Faschismus gegenüber schuldig, mit dem Begriff „Faschismus“ und der Zuordnung sehr vorsichtig umzugehen. Man sollte genau wissen, warum man jemanden „faschistisch“ nennt. Andernfalls verharmlost man den Faschismus, verhöhnt die Opfer und Widerstandskämpfer und verleumdet Menschen, wenn man sie nur deshalb faschistisch nennt, weil man sie oder ihre Ansichten nicht mag.
Muss man Höckes Ideologie als „faschistisch“ benennen?
Umgekehrt wäre es aber auch unzulässig, Faschismus nicht als „Faschismus“ zu benennen. Die Frage ist nicht nur: „Darf man Höckes Ideologie als ‚faschistisch‘ benennen?“, sondern auch: „Muss man Höckes Ideologie als ‚faschistisch‘ benennen?“.
Den vergangenen und den potenziellen Opfern und Überlebenden des Faschismus sind wir es schuldig, Faschismus beim Namen zu nennen. Wer Höckes Ideologie nicht beim richtigen Namen benennt, sondern nur als rechts, rechtskonservativ, rechtspopulistisch oder rechtsextrem, sollte sich fragen, welchen Sinn der Schwur der Überlebenden von Buchenwald hatte: „Nie wieder Faschismus!“.
„Nie wieder Faschismus!“ heißt wachsam sein, heißt Faschismus in seiner Frühform, beispielsweise als faschistische Ideologie, zu erkennen und entsprechend zu benennen. Wie gesagt, bei Höcke ist dies einfach. Er äußert sich so idealtypisch faschistisch, dass man meinen sollte, er hätte Griffin gelesen.
Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Seine Recherchen zu Björn Höcke (alias Landolf Ladig) führten zur Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz.
Kernmerkmale im Wandel
Allerdings hat die vergleichende Faschismusanalyse, die die gemeinsamen Kernmerkmale der verschiedenen faschistischen Ideologien heraussucht und damit ein Analysewerkzeug zur Erkennung von Ideologien zur Verfügung stellt, ein Manko.
Dazu ein Gedankenexperiment. Stellen wir uns das Jahr 2100 vor und nehmen an, dass sich in den 2040er und 2050er Jahren autoritäre Gesellschaften durchsetzten, die im Jahr 2100 zurückblickend als „faschistisch“ identifiziert wurden. Wenn die Kernmerkmale des Faschismus aus den gemeinsamen Merkmalen aller (!) faschistischen Gesellschaften abgeleitet werden, könnten sich diese Merkmale mit jeder neuen faschistischen Gesellschaft verändern. Die Faschismusforschung im Jahre 2100 könnte zum Schluss kommen, dass es sowohl übergreifende als auch spezifische Kernelemente gäbe. Es wäre denkbar, dass sich der Faschismus des 20. Jahrhunderts von dem Faschismus des 21. Jahrhunderts unterscheidet. Damit wäre die vergleichende Faschismusanalyse für das 20. Jahrhundert nicht widerlegt und auch die Kernmerkmale wären nicht falsch identifiziert worden.
Postfordistische faschistische Gesellschaften
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass ein kommender Faschismus keine neuen Merkmale hätte, die es in den vergangenen Faschismen nicht gab. Björn Höcke mag zentrale Begriffe und Ideen des letzten Faschismus noch so oft übernehmen. Sollte er irgendwann Regierungsgewalt übernehmen, wäre die von ihm geformte Gesellschaft keine bloße Kopie des Nationalsozialismus oder anderer vergangener faschistischer Gesellschaften. Die Merkmale der vergangenen Faschismen waren geprägt durch die „fordistische“ Phase des Kapitalismus, durch eine bestimmte Art zu produzieren, zu konsumieren, zu leben: Die Fließbänder des Henry Ford waren tonangebend, die Massenproduktion im Nationalstaat, die Verkleinbürgerlichung der Arbeiter*innen in Arbeiter*innensiedlungen mit Massenkonsum.
Wenn wir davon ausgehen, dass auch in der sogenannten „postfordistischen“ Phase des Kapitalismus – trotz Individualisierung, Flexibilisierung, Globalisierung und Privatisierung – Faschismus möglich wäre, dann sollten wir damit rechnen, dass es auch postfordistische faschistische Gesellschaften werden. Die kapitalistische Vergesellschaftung mit der Mikroprozessoren- und Blockchain-Technologie des 21. Jahrhunderts ermöglicht einen anderen Faschismus, als die mit der Fließband- und Verbrennermotoren-Technologie des 20. Jahrhunderts.
Die größte Gefahr eines neuen Faschismus?
Sollte mich jemand fragen, wo ich die größte Gefahr eines neuen Faschismus sehe, würde ich nicht die identifizierten Faschisten wie Höcke als gefährlichste Personen benennen, sondern aktuell eher ein Netzwerk von US-amerikanischen Tech-Milliardären und Investoren, die Trump unterstützen. Vor einem Monat hatte ich dazu bereits den Artikel „Musk X – ein profaschistisches Projekt“ verfasst. Insbesondere die mit seinem Maskulismus verbundene Transfeindlichkeit von Elon Musk und seine Äußerung zu den rassistischen Ausschreitungen in Großbritannien, dass ein Bürgerkrieg „unausweichlich“ sei, klingen für mich gefährlich.
Dass ausgerechnet Elon Musk mit seiner technizistischen Hybris von der direkten Computer-Gehirn-Verbindung (Neuralink) bis zu Mars-Besiedelung (SpaceX) auf eine transfeindliche Maskulinität beharrt, deutet für mich darauf hin, dass Männlichkeitswahn auch in einem potenziellem postfordistischen Faschismus ein Kernelement werden könnte.