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Kontrollverlust bei der Bahn

Wichtige Bahnstrecken werden monatelang gesperrt, Fahrpläne nur noch geschätzt und fast jeder zweite Fernzug hat Verspätung. Die Regierung hat das Problem erkannt, wirkliche Besserung ist aber nicht in Sicht.

Ein Zug fährt in einen unterirdischen Bahnhof ein. Am Bahnsteig warten Reisende.
Foto: pixabay / wal_172619

„Es läuft im Moment richtig gut.“ Mit diesen Worten zur Deutschen Bahn lässt sich Volker Wissing im Spiegel zitieren. Regelmäßige Kund*innen der Bahn dürften darüber nur gelacht haben. Oder geweint. Oder die Faust geballt. Doch wie kommt Wissing zu dieser durchaus zweifelhaften Einschätzung, wenn man gleichzeitig Berichte liest, nach denen bei der Bahn Fahrpläne wegen der vielen Störungen nicht mehr gerechnet, sondern nur noch geschätzt werden?

Teilweise nur jeder zweite Zug pünktlich

Die Pünktlichkeit im Fernverkehr kann er jedenfalls nicht gemeint haben. Dort lag die sogenannte betriebliche Pünktlichkeit im Juli bei 62 Prozent. Das heißt, dass nur 62 Prozent der Verbindungen pünktlich waren – und pünktlich bedeutet in dieser Statistik, dass die Züge durchaus bis zu sechs Minuten zu spät sein durften. Wer an einem großen Bahnhof umsteigen muss, wird sich über einen pünktlichen Zug mit sechs Minuten Verspätung vermutlich wenig gefreut haben. Im Juni war es noch schlimmer: Nur 52,9 Prozent der Züge waren pünktlich. Dieser Trend ist nicht neu. 2023 musste die Bahn 133 Millionen Euro für Entschädigung zahlen – so viel wie noch nie.

Spätestens seit der EM in Deutschland ist auch im Rest der Welt klar, dass Deutschland ein Problem mit seiner Bahn hat. Viele Fans haben sich über Verspätungen und Zugausfälle beschwert. Das niederländische Team verpasste sogar seine eigene Pressekonferenz, weil die Bahn nicht fuhr. Ursächlich war hier ein Zusammenstoß mit einem Tier – da kann die Bahn jetzt nicht so viel für. Dass so etwas aber 134 Minuten Verspätung verursacht und keine Alternativen vorhanden sind zeigt, wie sehr das System unter Stress steht.

Überall Streckenüberlastungen

Viele Strecken in Deutschland sind überlastet. Das führt dazu, dass vielerorts kleine Reparaturen nicht mehr ausreichen, sondern Strecken komplett gesperrt und saniert werden müssen. So ist aktuell die vielbefahrene Strecke Hamburg – Berlin ist für vier Monate gesperrt. Zur Unmut der Fahrgäste dauert die Umleitung 45 Minuten länger und es sind nur halb so viele Züge unterwegs. Im nächsten Jahr soll sie dann nochmal monatelang gesperrt werden.

Kommentar: CDU als Bahnstörer

CDU-Vorsitzender Friedrich Merz will die Angebote der Bahn reduzieren, damit die Bahn wieder pünktlicher wird. Das wäre nicht nur wie ein kleines Pflaster auf einer klaffenden Wunde – es ist auch ein Verleugnen der Fehler der eigenen Partei. Denn gerade die Politik von CDU/CSU hat über die letzten 15 Jahre maßgeblich dazu geführt, dass so ein hoher Investitionsstau entstanden ist und es diese Probleme gibt. Kurzfristig könnte das sogar funktionieren, aber grundsätzlich brauchen wir doch ein größeres attraktives Angebot, damit die dringend notwendige Mobilitätswende in Deutschland gelingt.

Überlastet ist auch die Strecke Hamburg – Hannover. Die soll ebenfalls saniert werden – allerdings erst 2029. Fünf Monate wird die Strecke dann gesperrt werden, zehn Wochen schon 2026. Allerdings wird es keinen Neubau geben, obwohl der dringend nötig wäre, um den bis 2070 angestrebten Deutschland-Takt möglich zu machen. Unter anderem scheitert das an SPD-Chef Lars Klingbeil, durch dessen Wahlkreis die neue Strecke verlaufen würde. Dabei soll die Strecke entlang der Autobahn führen und möglichst wenig in vorhandene Strukturen und die Landschaft eingreifen.

Auch die Strecke zwischen Köln und Aachen ist überlastet. Besonders Pendler*innen klagen über Verspätungen, weil schnelle Züge Langsame nicht überholen können. Ein drittes Gleis wäre notwendig, aber eine Sanierung ist erst 2029 geplant. Dann gibt es wohl ein neues Gleis. Weil es in Schlangenlinien gebaut werden muss, sind dann aber nur 80 km/h erlaubt.

Diese Beispiele zeigen deutlich: Die Bahn hat in den letzten Jahrzehnten zu wenig investiert. Erst unter der Ampel-Regierung werden große Bauprojekte überhaupt wieder forciert. Und daher rührt auch die Freude von Volker Wissing: Er freut sich über die vielen Sanierungen. Wir sollten uns darüber aber nicht zu früh freuen.

Jetzt mehr Geld – später weniger 

Die Regierung hat erkannt, dass die Bahn mehr Geld braucht, um dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur zu tätigen und gleichzeitig ein attraktives Angebot für die Menschen zu schaffen. Nach einem Medienbericht soll die Bahn darum im Jahr 2025 18,1 Milliarden Euro bekommen und damit deutlich mehr als im aktuellen Jahr und – wer hätte das für möglich gehalten – deutlich mehr als Deutschlands Autobahnen mit nur 9,1 Milliarden. 

Was nach einer Kehrtwende hin zur Bahn aussieht, ist aber leider keine. Das gesteigerte Budget ist einzig der Tatsache geschuldet, wie schlimm es um die Bahn steht. Das Geld, was sie jetzt mehr bekommt, gibt es dafür nämlich in den Jahren 2028 und 2029 weniger. Ob der Kraftakt jetzt ausreicht, um die Bahn dauerhaft zu einer attraktiven Alternative zu Auto und Flugzeug zu machen? Zweifelhaft.

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Autor*innen

Matthias Flieder ist studierter Geisteswissenschaftler und seit 2017 Campaigner bei Campact. Nachdem er zuvor für Greenpeace hauptsächlich für Klima- und Umweltschutz aktiv war, versucht er jetzt in allen Politikfeldern progressive Politik voranzubringen. Für den Campact-Blog schreibt er über die Freuden und Leiden des Fahrradfahrens und die deutsche Verkehrspolitik. Alle Beiträge

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