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Wider die Machtergreifung der AfD

Der Vormarsch in der Provinz ist für die AfD strategisch zentral. Was wäre, wenn die Rechtsextremisten tatsächlich in einem Bundesland mitregieren? Über Gefahren – und demokratische Gegenwehr.

Menschen ziehen vor der Europawahl durch die Innenstadt von Leipzig, um gegen Rechtsruck und Faschismus zu demonstrieren.
Menschen ziehen vor der Europawahl durch die Innenstadt von Leipzig, um gegen Rechtsruck und Faschismus zu demonstrieren. Foto: IMAGO / Christian Grube

Es war eine Sache von nicht einmal einer Viertelstunde. Am Freitagmittag vergangener Woche hatte das „Katapult“-Magazin, das von Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern aus gegen die Zeitungsmonopole im deutschen Osten anschreibt, zur Verteilung seiner ersten Sachsen-Sonderausgabe vor der Landtagswahl am 1. September eingeladen. Mit der klaren Botschaft an potenzielle AfD-Wähler:innen: „als Protestpartei ungeeignet“. Kaum hatte der Kleintransporter mit Herausgeber Benjamin Fredrich am Steuer auf dem Platz vor der Frauenkirche in Dresden Halt gemacht, waren 6800 Exemplare auch schon verteilt, in Bündeln zu je 40 Stück. Die sollen nun von Aktiven im Bundesland weitergereicht werden. Fredrich appelliert in dem Blatt, zur Wahl zu gehen – für das eigene Wohlbefinden, „für die Selbstbestimmung und für seine Liebsten“.

Tags darauf wiederholte sich die Szene ähnlich auf dem Augustusplatz in Leipzig. Nach dem Einsatz dort war die komplette Sachsen-Ausgabe vergriffen; bei zwei Terminen in den sächsischen Metropolen also. Weitere Termine in Freiberg, Chemnitz und Zwickau mussten verschoben werden, bis genug nachgedruckt ist. Parallel werden Sonderausgaben für Thüringen und Brandenburg verteilt von Altenburg bis Spremberg. Insgesamt sollen 300.000 Stück gedruckt werden. Es ist der Widerstand gegen die Machtergreifung einer in weiten Teilen rechtsextremen Partei; junge Leute und die „Omas gegen Rechts“ protestieren Seit‘ an Seit‘.

Politiker*innen aus Sachsen ziehen sich zurück

Und auch Widerstand gegen eine Stimmung, die kippt. Die Nachrichten aus Ostdeutschland sind nicht gut. Da ist der parteilose Landrat von Mittelsachsen, Dirk Neubauer, der sein Amt abgibt. „Ich gebe auf, weil da draußen mir zu viele den Mund halten“, verabschiedet sich der frühere SPD-Politiker mit einer Videobotschaft. Die aus Sachsen stammende Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) will 2025 nicht mehr fürs Parlament kandidieren: „Ich habe viel an Beleidigungen, Bedrohungen, aber leider auch viel Gleichgültigkeit erlebt. Das raubt Kraft.“ Vor einer Woche bedrohte in Dohna bei Dresden ein 69-jähriger Deutscher ein fünfköpfiges Wahlkampfteam der Linkspartei. Es gibt inzwischen landauf, landab so viele Angriffe auf Wahlhelfer:innen, dass diese – anders als der Angriff auf dem sächsischen SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke im Mai in Dresden – kaum noch öffentlich wahrgenommen werden.

Immer dreister geht die AfD vor. Der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun thematisierte, dass die Partei in Thüringen ihr Wahlprogramm mit einem Gedicht des NSDAP-Dichter Franz Langheinrich eröffnet:

Wenn man völkisch-nationalistische Ideologien wieder salonfähig machen will, wäre es zu plump Hitler direkt zu verehren. Stattdessen bewirbt man im politischen Kontext romantisch patriotische Dichter, die Hitler verehrten und entartete Kunst bekämpften.

Anwalt Chan-jo Jun auf LinkedIn

Im Namen des thüringischen Umweltministers Bernhard Stengele (Grüne) erstattete Jun Anzeige. Diese sei „kein Selbstläufer, sondern verlangt von der Justiz, dass sie bei der Verschiebung der Grenzen des Sagbaren ihrerseits eine Grenze aufzeigt – oder das perfide Spiel gewähren lässt“.

Lesen für den Widerstand

Ein paar dazu passende Leseempfehlungen: Die österreichische Autorin Ingrid Brodnig gibt in ihrem neuen Buch „Wider die Verrohung“ Tipps, um auf Emotionalisierung und Fake News besser reagieren zu können. Sie schreibt, die Rhetorik von Politiker:innen könne das Schlechteste aus den Menschen herausholen, „Neid, Missgunst, Misstrauen und Schwarz-Weiß-Denken“. Sie spricht von einer „verrohten Diskussionskultur, in der vorrangig jene Aufmerksamkeit erhalten, die besonders derb auftreten“.

Am 21. August erscheint von Michael Kraske und Dirk Laabs „Angriff auf Deutschland – die schleichende Machtergreifung der AfD“. Geplant ist es als investigativer Augenöffner. Und die beiden Autoren appellieren: „Ein AfD-Verbot wäre nur der erste Schritt – die demokratischen Institutionen und Strukturen müssen insgesamt viel wirksamer als bisher gegen Angriffe geschützt werden.“ Die Zeit dafür werde indes knapp.

Was wäre, wenn?

Umso wichtiger sind die Aktivitäten aller, die gegenhalten. Der Jurist Maximilian Steinbeis vom Verfassungsblog hat sich vorgenommen, mit dem „Thüringen-Projekt“ „Strategien gegen die populistische Übernahme“ zu entwickeln. Er sagt, es gehe nicht um die „Wünsche“ von „besorgten Bürgern“ oder sonst irgendwem: „Es geht um eine Strategie, die darauf abzielt, ein autoritäres Regime zu errichten.“ Wer heute nach autoritärer Herrschaft strebe, brauche keinen Militärputsch und keinen Staatsstreich mehr zu riskieren. „Viel effektiver und weniger riskant ist es, die Institutionen der liberalen Demokratie selbst für dieses Ziel einzuspannen.“

Gemeinsam mit dem Verfassungsblog hat ein Autor:innen-Team diese Gefahr in einem Podcast im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung ausführlich beschrieben: „Thüringen 2024 – was wäre, wenn?“ Thematisiert wird unter anderem, wie Opposition, Medien, Zivilgesellschaft und Bildung schon jetzt unter Druck geraten und wie eine unabhängige Justiz demnächst in Gefahr kommen könnte.

Der Jurist Ulf Buermeyer sagt im Podcast, es wäre fahrlässig und naiv, blind darauf zu vertrauen, dass alle zukünftigen Justizminister:innen die Unabhängigkeit der Justiz hundertprozentig achten. Andreas Beer, Redakteur der Zeitung „Freies Wort“ in Sonneberg – der ersten Kreisstadt mit einem AfD-Landrat – berichtet von „Beleidigungen und Schmährufen“ gegen Journalist:innen bei der Berichterstattung über rechte Aufmärsche. Und die thüringische Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linke) sagt: „Wenn eine autoritär-populistische Partei eine Mehrheit im Parlament hat, ist natürlich fast alles möglich.“

Es beginne „oft im Kleinen“, sagt der Ostdeutschland-Reporter des Magazins „Stern“, Martin Debes, „nicht in der Hauptstadt, sondern in der Provinz“. Was alles möglich wird, wenn die AfD erst einmal an der Macht ist, muss als plausible Warnung auch dort ankommen. Bitte also weitersagen.

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Autor*innen

Matthias Meisner ist freier Journalist und Buchautor in Berlin und Tirana. Er schreibt über Menschenrechte, Geflüchtete und die Bedrohung der Demokratie. Zuletzt erschien 2023 im Herder-Verlag, gemeinsam herausgegeben mit Heike Kleffner, „Staatsgewalt – wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“. Infos unter www.meisnerwerk.de. Alle Beiträge

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