AfD Ostdeutschland Rechtsextremismus
Jetzt erst recht
Bei den Thüringer Landtagswahlen ist zum ersten Mal seit 1945 eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft geworden. Hier berichten Menschen aus dem ländlichen Raum, die nicht die AfD gewählt haben, was das starke Abschneiden der Rechtsextremen für sie ändert und wie sie ihre Zukunft in Thüringen sehen. Davon hängt viel ab.
Warum hat die AfD in Ostdeutschland so viel Zuspruch? Warum besonders viel in Thüringen? Darum soll es hier weniger gehen als darum, was diese Entwicklung für die anderen hier lebenden Menschen bedeutet. Die, die die AfD nicht gewählt haben. Denn sie bilden die Mehrheit in Thüringen, auch in den ländlichen Räumen.
Auf der Suche nach Erklärungen sei kurz auf das Buch „Ungleich vereint“ von Steffen Mau verwiesen. Der Berliner Soziologieprofessor verknüpft eine Vielzahl von Fakten und Zusammenhängen und schildert, wie sich Identitäten, Sozialstruktur und politische Kultur in Ostdeutschland aufgrund der Erfahrungen in den DDR-, Wende- und Transformationsjahren anders entwickelt haben als in westdeutschen Bundesländern. Einige der ostdeutschen Erfahrungen, aber auch die Tatsache, dass die Unterschiede von Politik und Mehrheitsgesellschaft nur ungenügend wahrgenommen und berücksichtigt werden, begünstigen laut Mau, dass im Osten die Anschlussfähigkeit an die Erzählungen der AfD höher ist als im Westen.
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Eine Studie des ifo-Instituts nahm auf der Suche nach Erklärungen schon nach der letzten Wahl die Bevölkerungsentwicklung Thüringens in den Fokus. Sie fasst die Erkenntnisse der Studie als „Thüringen-Paradox“ zusammen: Je mehr die Bevölkerung einer Region schrumpft, je größer der Bedarf an Zuwanderung also ist, desto stärker sind dort fremdenfeindliche Ansichten. Angesichts dieser strukturellen Herausforderungen hängt viel von der Frage ab, ob etwas und was sich durch das starke Abschneiden der AfD für die Menschen im ländlichen Raum ändert und wie sie ihre Zukunft in Thüringen sehen.
Allen Menschen, die hier zu Wort kommen, habe ich folgende Frage gestellt: „Hat sich etwas für Dich verändert dadurch, dass die AfD stärkste Partei in Thüringen geworden ist?“
Firas, Mitte 30, betreibt ein Restaurant in Thüringen
Er kommt ursprünglich aus einem arabischen Land und bleibt wegen seiner AfD-Nachbarn lieber anonym:
„Es ist anders, wenn ich in der Stadt unterwegs bin. Das Verhalten der Leute hat sich verändert. Sie sind abweisender zu mir als vorher. Hier wollen die Leute nicht mehr im Bus neben mir sitzen. Das ist in Westdeutschland anders.
Die AfD sagt, wir Ausländer sind schuld daran, wenn in Deutschland die Lebensmittel teuer werden oder deutsche Leute arm sind. Wir sind schuld an allem, besonders die Araber und Muslime. Die Leute denken, dass es besser wird, wenn wir weg sind. Aber das ist falsch. Es wird schlechter, denn unsere Arbeit wird gebraucht. Und wenn wir weg sind, sucht sich die AfD eine neue Gruppe, die schuld ist an allem.
Viele arabische Menschen wollen weggehen. Ich kenne zwei Ärzte und einen Kollegen, der eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker angefangen hat. Sie bewerben sich jetzt in Westdeutschland. Ich will nicht gehen. Ich habe hier ein Netzwerk gebaut und tolle Freunde. Wenn die Menschen offen sind, kann ich sehr direkt reden. Ich erkläre viel, vor allem über den Koran. Wir müssen reden und Vertrauen lernen. Ich mag Deutschland und will helfen und nicht weggehen, wenn es Probleme gibt. Aber ich habe Sorge, dass es zu spät ist. Und, dass mit mir irgendwann so etwas passiert wie mit den Juden bei den Nazis.“
Alex, Saatgut-Gärtnerin im Eichsfeld
„Noch ist in unserer Region die CDU die stärkste Kraft. Ansonsten gibt es im Dorf die Leute, die die AfD toll finden und die, die sie scheiße finden. Darüber wird aber nicht miteinander gesprochen. Wenn Gruppen zusammen stehen und reden, sind die, die anderer Meinung sind, einfach nur still und sagen nichts.
Am Abend vor der Landtagswahl gab es vor unserem Haus einen Vorfall. Ein Bauer aus dem Nachbarort hat direkt auf der Wiese vor unserem Haus am Pfosten eines Schwalbenhauses ein AfD-Plakat aufgehängt. Darauf stand ‚Der Osten machts‘. Der Mann hat außerdem mein Auto zugeparkt, uns fotografiert und gefilmt. ‚Ich würd gern mal rausfahren‘, hab ich gesagt. Er antwortete: ‚Das kannste ja mal versuchen.‘ Bis zu dieser Konfrontation haben wir uns normal gegrüßt. Ich hab dann bei der Polizei angerufen und um Rat gefragt. Die haben mich darin bestärkt, dagegen zu halten. Irgendwann ist der Bauer dann weggefahren.
Warum wählen so viele junge Menschen die AfD? Ich finde es selbst nicht gut, aber mich beruhigt ehrlich gesagt, dass wir so nah an Hessen und Niedersachsen wohnen. Unsere Kinder gehen da zur Schule. Die Atmosphäre ist dort anders.“
Hannes, junger Landwirt aus Nordthüringen
Er will den Hof seines Vaters übernehmen, bleibt lieber anonym:
„Irgendwer muss ja hier bleiben. Können ja nicht alle weggehen. Aus der Politik halte ich mich raus, ich will eher vor Ort was bewegen: jungen, motivierten Menschen einen Grund geben, hier zu sein, hierher zu kommen. Wenn wir uns nur bedauern und jammern, gehen die, die hier sind, auch noch weg. Neulich war ein Informatik-Student aus Berlin bei uns im Betrieb. Ich hab ihm viel gezeigt. Der war ganz baff, was da im Boden alles abgeht. Ich hoffe, dass sich aus solchen Begegnungen etwas entwickelt: Start-ups, Unternehmensgründungen oder so. Ich glaube, innovative regenerative Landwirtschaft kann Leute begeistern.“
Maja, 30 Jahre alt, Geschäftsführerin eines Landwirtschaftsbetriebs in Mittelthüringen
Auch sie heißt in Wirklichkeit anders.
„Wir sind vor einigen Jahren hierhergezogen, weil mir eine gute Stelle mit Führungsverantwortung in der Landwirtschaft angeboten wurde, obwohl ich schwanger zum Bewerbungsgespräch kam. Beruflich krieg ich mit, wie viele Menschen mit der AfD sympathisieren, zum Beispiel die Zulieferer, LKW-Fahrer. Da denk ich oft: ‚Jetzt muss ich mir das wieder anhören.‘ Aber da ist nicht die Zeit, um wirklich drüber zu sprechen. In meinem privaten Umfeld hab ich genug Leute, die nicht so sind.“
Ria, Ende 20, Obstbaumpflegerin aus Nordthüringen
Sie bleibt auch lieber anonym:
„Die Wahl war jetzt kein großer Knall, nach dem alles anders wurde. Das war eher ein schleichender Prozess. Mich frustriert gerade ein bisschen, dass in den Monaten vor der Wahl so viel Energie rausgeballert wurde, um der AfD etwas entgegen zu setzen. Und jetzt, wo man weiß: So sind die Verhältnisse, da ist die Energie weg. Aber damit muss man doch arbeiten. Man müsste sich doch jetzt zusammensetzen und überlegen, wie es weitergeht.
Freund*innen ziehen weg, weil sie von Rassismus betroffen sind und die offenen Anfeindungen auf der Straße nicht mehr aushalten. Ich kann es mir leisten, zu bleiben. Ich denke eher: ‚Jetzt erst recht.'“