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Düngegesetz: Bürokratieabbau sticht Wissenschaft und Gewässerschutz

Das Düngegesetz soll geändert werden. Doch darum wird heftig gerungen. Der Schutz der Gewässer, die Sicherung der Ernten und Bürokratieabbau müssen zusammen gebracht werden. Ein schnelles Ergebnis ist nicht in Sicht.

Ein Trecker fährt Gülle auf einem Feld.
Foto: IMAGO / Daniel Scharinger


Die EU-Nitratrichtlinie soll seit 1991 den Schutz des Grund- und Trinkwassers, von Flüssen, Seen und Meeren sicherstellen. Entscheidend ist, dass nicht mehr Nährstoffe in den Boden gelangen als Pflanzen aufnehmen können. Das regelt das Düngegesetz, das seit 2009 immer wieder angepasst wurde, um der Richtlinie gerecht zu werden. Im Ergebnis sind die landwirtschaftlichen Nährstoffeinträge seither leicht gesunken, doch die Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um die Gewässer zu schützen.

Anne Neuber ist Kulturwissenschaftlerin mit landwirtschaftlicher Ausbildung und engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) für eine zukunftsfähige Agrarpolitik. Sie ist Teil der Geschäftsführung bei der AbL Mitteldeutschland.

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Seit 2013 lief deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland, das Zwangsgelder in Millionenhöhe androhte. 2023 wurde das Verfahren eingestellt, da Deutschland versprach, zeitnah ein Wirkungsmonitoring der ergriffenen Maßnahmen einzuführen.

Bundesrat stimmt gegen Änderung des Düngegesetzes

Um das Monitoring umzusetzen, muss das Düngegesetz erneut geändert werden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) hat eine Neufassung vorgelegt, die der Bundestag im Juni 2024 verabschiedete. Doch am 5. Juli 2024 stimmte der Bundesrat dagegen. Nun ist unklar, wie es weitergeht.

Ein Vermittlungsausschuss muss einberufen werden, danach befassen sich Bundestag und Bundesrat erneut mit dem Gesetz. Schwer zu glauben, dass es noch vor der nächsten Bundestagswahl verabschiedet wird. Wenn der Bundesrat angesichts drohender Strafzahlungen an die EU und knapper Zeitpläne ein Gesetz kippt, müssen schwerwiegende Gründe vorliegen. Oder etwa nicht?

„Rote Gebiete“ sorgen für Frust

Stein des Anstoßes ist die sogenannte Stoffstrombilanz. Seit 2018 muss ein Teil der Landwirtschaftsbetriebe auf Basis von Belegen darstellen, wie viele Nährstoffe – also Dünge- und Futtermittel – eingekauft und wie viele Nährstoffe als Ernteerträge den Betrieb verlassen. Die Differenz zwischen Einkauf und Verkauf landet auf dem Acker, so die Überlegung. Mit der jetzigen Gesetzesnovelle soll die Stoffstrombilanz für alle Betriebe gelten, die größer als 15 Hektar sind. Damit soll eine Ungerechtigkeit aus der Welt geschafft werden, die seit 2021 zu viel Frust bei den Landwirt:innen führt: die „roten Gebiete“. In Regionen, in denen ein erhöhter Nitratgehalt im Grundwasser gemessen wurde, gelten spezielle Auflagen – zum Beispiel muss die Düngemenge um 20 Prozent reduziert werden. Es gibt auch längere Sperrzeiten für die Ausbringung von Mist und Kompost im Winter. Dabei wird keine Rücksicht auf die Düngepraxis des einzelnen Betriebs gelegt: Alle Betriebe in einem roten Gebiet werden pauschal in die Haftung genommen und müssen geringere Erträge in Kauf nehmen.

Weniger Düngen – weniger Ertrag

Um das einzuordnen: 20 Prozent weniger Düngung bedeutet, auf Erträge zu verzichten oder Getreide mit einem geringeren Proteingehalt zu produzieren. Mit dem Wissen, dass die Verarbeitungsindustrie dann bei anderen Betrieben einkauft, die den für die industrielle Verarbeitung optimalen Eiweißgehalt liefern können, weil sie sich beim Düngen nicht einschränken müssen.

Ziel der Düngegesetzänderung ist es deshalb auch, auf der Grundlage einer für alle geltenden Stoffstrombilanz die Betriebe zu identifizieren, die massiv überdüngen – und dafür im Gegenzug Betriebe mit einem korrekten Düngemanagement langfristig von Dokumentationspflichten befreien.

Aussetzen der Stoffstrombilanz ist keine Lösung

Trotzdem haben sich alle Länderagrarminister:innen – auch die von SPD und Grünen – und die Mehrheit der Landwirtschaftsverbände für eine Aussetzung der Stoffstrombilanz ausgesprochen. Unklar bleibt, wie ohne die Bilanz ein Wirkungsmonitoring aufgebaut und das ungerechte System der roten Gebiete abgeschafft werden soll. Auch Wissenschaft und Umweltverbände sind sich darin einig, dass die Stoffstrombilanz sinnvoll ist. Doch die Begründung lautet: Bürokratieabbau. Die Politik will zeigen, dass sie die Botschaft der Bauernproteste des letzten Winters verstanden haben. Die Landwirtschaftsverbände wollen ihren Mitgliedern beweisen, dass sie nach den Demos weiter liefern und die Politik beeinflussen.

Es ist unbestritten, dass Bürokratieabbau dringend nötig ist. Die Düngevorschriften verlangen eine komplexe Dokumentation, die sich leider nicht mit anderen komplexen Dokumentationsvorgaben in der Landwirtschaft verknüpfen lässt. Alles muss doppelt und dreifach angegeben werden, was besonders kleine und mittelgroße Betriebe vor große Herausforderungen stellt und oft Nachtarbeit erfordert.

Trinkwasser ist der Verlierer

Statt aber wirklich an der Verschlankung von bürokratischen Abläufen zu arbeiten, wird nun die Abschaffung der Stoffstrombilanz als großer Erfolg verkauft. Sogar Bundesagrarminister Cem Özdemir schreibt sich ihn auf die Fahnen, obwohl sein Gesetzentwurf gerade krachend gescheitert ist.

Die großen Verlierer sind die Gewässer, deren Zustand sich weiter verschlechtern wird. Und die Gesellschaft, die unter kaputten Ökosystemen leidet und zukünftig mehr Geld für die Reinigung des Trinkwassers zahlen muss.

Wahrscheinlicher wird damit ein Szenario wie in den Niederlanden. Die dortige Regierung sah sich nach Jahren der Untätigkeit in Sachen Nitratbelastung zu drastischen Schritten gezwungen, die das Aus von 30 Prozent der Viehbetriebe zur Folge haben können, was verständlicherweise massive Proteste zur Folge hatte.

Liebe Agrarminister:innen, wir brauchen dringend Bürokratieabbau für die landwirtschaftlichen Betriebe, aber nicht entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse und auf Kosten des Trinkwassers und der Gesundheit der Ökosysteme. Denn das gefährdet am Ende wirklich unsere Ernährung.

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Autor*innen

Anne Neuber setzt sich dafür ein, dass Menschen in der Landwirtschaft mit Freude und Zukunftsperspektive ihre Arbeit machen können. Derzeit leider eher Utopie als Realität. Sie hat Kulturwissenschaften studiert, eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht, schneidet hochstämmige Obstbäume und engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) für eine zukunftsfähige Agrarpolitik. Sie sieht sich als Brückenbauerin zwischen Stadt und Land, Konvis und Ökos, Linken und Konservativen, Ostdeutschland und Berlin. Denn Spaltung bewirkt, dass immer die gewinnen, die wirklich nicht gewinnen sollten. Alle Beiträge

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