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Das Morden hat System

Der Anschlag von Halle am 9. Oktober 2019 war einer der schlimmsten antisemitischen Anschläge seit 1945. Das Urteil gegen den Täter ist mittlerweile rechtskräftig – das Ausmaß des rechten Terrors und seine weltweite Vernetzung wird aber 5 Jahre nach der Tat immer noch unterschätzt.

Die Synagoge in Halle.
Die Synagoge in Halle. Foto: IMAGO / Christian Schroedter

Am 9. Oktober 2019 versucht ein bewaffneter Mann, in die Synagoge in Halle einzudringen. Rund 50 Menschen sind zu diesem Zeitpunkt im Gotteshaus versammelt. Es ist Yom Kippur, der höchste jüdische Feiertag. Eine Holztür, rechtzeitig verriegelt von mutigen Menschen, stoppt den Täter, hält sogar seinen Sprengsätzen stand. Daraufhin erschießt er eine Frau, die 40-jährige Jana L., auf der Straße vor der Synagoge. Dann fährt der Täter mit seinem Auto gezielt zu einem nahegelegenen Döner-Imbiss, wirft einen Sprengsatz, schießt auf mehrere Menschen und tötet den 20-jährigen Kevin S.

Das alles filmt der 27-jährige Deutsche, der Teil einer rechtsradikalen Internetszene ist, mit einer Helmkamera. Er schaltet einen Livestream ins Netz – wie schon ein halbes Jahr zuvor der Rechtsterrorist, der im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen, darunter auch Kinder, beim Freitagsgebet in der Moschee ermordet hatte, und wie der Attentäter im US-amerikanischen El Paso, der im August 2019 in einem Supermarkt gezielt auf Hispanics geschossen und 23 Menschen getötet hatte. Wie die Täter von Christchurch und El Paso und wie schon der Rechtsterrorist, der 2011 auf der norwegischen Insel Utøya 77 Menschen, vor allem Jugendliche erschossen hatte, stellt auch der Täter von Halle vor seinem Anschlag ein Bekennerschreiben ins Netz. Sein Ziel sei, „so viele Anti-Weiße zu töten wie möglich, vorzugsweise Juden“ heißt es darin.

Täter von Halle war nicht allein

Das Oberlandesgericht verhängt in seinem Urteil die Höchststrafe: lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Internet-Komplizen des Täters aber lassen sich nicht ahnden. Dabei ist klar: Er hat nicht alleine gehandelt; sah sich als Teil einer mörderischen, rassistischen und antisemitischen, frauen- und queerfeindlichen, weltweiten „Bewegung“. Die Täter vernetzen sich über Internet-Foren, tauschen dort Verschwörungstheorien und Mordfantasien aus, radikalisieren einander, spornen sich zum Morden an.

Attentat von Christchurch als Vorbild

Vor Gericht gibt der Täter von Halle später selbst an, dass er fortsetzen wollte, was beim Anschlag in Christchurch begonnen wurde. Es gab weitere Anschläge im Jahr 2023, die weniger Aufmerksamkeit erlangten, aber derselben Logik folgten: Im April tötete ein 19-Jähriger einen Menschen in einer Synagoge in Poway, Kalifornien. Im August wollte ein Jugendlicher in Norwegen ein Blutbad in einer Moschee anrichten, konnte aber von einem Gläubigen überwältigt werden. Beide Täter hatten ihre Attentate vorher in der Art von Internet-Foren angekündigt, in denen auch die Livestream-Links von Christchurch und Halle veröffentlicht wurden.

Der Anschlag von Halle sorgt überall für Wut und Trauer. Es ist einer der schlimmsten antisemitischen Anschläge seit 1945 bis dahin. Doch auf den Rechtsextremismus, der sich weltweit im Netz und auch in Deutschland immer weiter ausbreitet, findet die Politik keine ausreichenden Antworten. 

Auf Halle folgte Hanau

Nach dem rassistischen Attentat in einem Münchner Einkaufszentrum 2016 hatte es Jahre gedauert, bis der rechtsextremistische Hintergrund des „Amoklaufs“ überhaupt bekannt wurde. Und während die Bestürzung über den Anschlag in Halle auch auf politischer Ebene groß war, sprachen viele wieder von einem „Einzeltäter“. Es vergingen nur vier Monate, bis der nächste Terroranschlag das Land erschütterte: Am 19. Februar 2020 ermordete ein Rechtsradikaler in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven.

In Halle wird es heute mehrere Gedenkveranstaltungen geben. Vormittags sind Kranzniederlegung an den Gedenktafeln vor der Synagoge und in der Ludwig-Wucherer-Straße geplant.

  • 12.00 Uhr: Stilles Gedenken im Hof der Synagoge
  • 12.03 Uhr: Glockengeläut zum Zeitpunkt der ersten tödlichen Schüsse. Busse und Straßenbahnen stehen still
  • 15.15 Uhr: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besucht den Anschlagsort und spricht mit Betroffenen in der Synagoge
  • 16.00 Uhr: Gedenkveranstaltung in der Synagoge
  • 17.00 Uhr: Gedenkveranstaltung in der Konzerthalle Ulrichskirche
  • 18.00 Uhr: Kundgebung vor dem „Tekiez“ (Ludwig-Wucherer-Straße 12)
  • 18.30 Uhr: Stilles Gedenken auf dem Marktplatz

Das Café Tekiez ist heute ein Solidaritäts- und Nachbarschaftsort. Vor fünf Jahren befand sich dort der „Kiez-Döner“, in dem der Mord an Kevin S. geschah. Heute, fünf Jahre nach der Tat, gibt es dort eine Kundgebung in Kooperation mit der Soligruppe 9. Oktober. Der Friedenskreis Halle lädt herzlich dazu ein mit dem Hinweis, gerne selbst Kerzen, kleine Lichter oder Laternen zum Gedenken mitzubringen.

„Wir müssen die Kontinuität des Überlebens deutlich machen, weil die Ideologien, die den Anschlag motivierten, immer noch unsere Gesellschaft hier in Deutschland prägen”, sagt Paige Harouse, die während des Anschlags in der Synagoge war. „Die Auswirkungen betreffen uns immer noch. Ich überlebte den Anschlag und überlebe seitdem meinen Alltag.“

Gestern, einen Tag vor dem Jahrestag des Anschlags, befanden sich an den Gedenktafeln in Halle plötzlich Hakenkreuz-Schmierereien. Die Polizei ermittelt. Gegen die Synagoge hatte es vorab online Hasskommentare gegeben.


Weitere Infos:

MDR-Doku „Der Anschlag – Terror in Halle und Wiedersdorf“: Der Film folgt verschiedenen Protagonistinnen und Protagonisten aus der Stadtgesellschaft und Betroffenen.

ZDF-Doku „Einzeltäter“: Über die Terroranschläge von München, Halle und Hanau

Bericht über das Tekiez von der Amadeu Antonio Stiftung

Weitere Infos zum Anschlag in Halle vom MDR


Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag wurde erstmalig am 9. Oktober 2023 veröffentlicht. Wir haben ihn aktualisiert und erneut online gestellt.

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Autor*innen

Lara Eckstein hat im Journalismus-Studium Interviews mit Überlebenden des Holocausts geführt und ist seitdem glühende Antifaschistin. Bei Campact arbeitet sie als Campaignerin gegen Rechtsextremismus; privat ist sie als stadtpolitische Aktivistin in Berlin im Einsatz. Hier bloggt sie zu Erinnerungspolitik und gegen das Vergessen. Alle Beiträge

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