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8 Dinge, bei denen die „Tradwives“ Recht haben? Eine Replik auf Hannah Lühmann

Die Welt-Redakteurin Hannah Lühmann schreibt, dass die sogenannten „Tradwives“ in vielen Punkten recht hätten – und wir uns diese zum Vorbild nehmen sollten. Sibel Schick hat da eine andere Meinung. Ihre Antwort auf den Artikel in der "Welt".

Eine Retro-Darstellung einer Hausfrau in der Küche. Sie steht in einem Kleid mit Schürze vor einem Küchentisch, auf dem verschiedene Back-Utensilien liegen.
Zurück in die 50er: Manche Tradwives erzeugen mit ihrem Content genau dieses Bild. Quelle: Pixabay

Vergangene Woche veröffentlichte die Welt-Redakteurin Hannah Lühmann einen Artikel, in dem sie acht Dinge, bei denen Tradwives recht hätten, auflistete. Tradwives sind eine vor allem in den sozialen Netzwerken aktive, rechte und antifeministische Strömung. Die selbsternannten Tradwives sind Influencerinnen, die nicht selten auch Naziästhetik reproduzieren und sich harmlos als Videos über das Hausfrauen-Dasein-Postende darstellen. In Realität propagieren und zementieren sie ein bürgerlich-konservatives Frauen- und Weltbild. Es ist nicht auszuschließen, dass sie eine wichtige Rolle dabei spielen, dass die AfD unter jungen Wähler*innen so beliebt ist.

Lühmann behauptet zu Beginn, dass sich der Feminismus sicher sei, dass die größte Gefahr von sogenannten Tradwives ausgehe. Ich habe zwar noch nie mitbekommen, dass eine ernstzunehmende feministische Organisation oder ein feministischer Verein ein derartiges Statement veröffentlicht hat. Aber irgendwie muss Lühmann ja ihre Vorliebe für Tradwives rechtfertigen. „Wenn man die ideologische Brille abnimmt, muss man feststellen, dass die Frauen, die ‚Tradwive-Content‘ verbreiten, in ziemlich vielen Punkten schlicht recht haben – insofern, als sie eine Korrektur zum Zeitgeist anbieten“, erklärt sie.

An welchen Punkten Tradwives recht haben sollen

1) „Sie benennen die Unvereinbarkeits-Problematik.“ 

Eine der größten Lügen, die der weiße Feminismus Frauen erzählte, war, dass sie das Recht auf Arbeit emanzipieren würde. In Deutschland dürfen Frauen seit 55 Jahren ohne Erlaubnis ihres Ehemannes einen Job haben, sind aber immer noch nicht gleichberechtigt. Warum? Denn der Kapitalismus setzt voraus, dass Menschen mehrheitlich wenig Geld verdienen, damit eine Handvoll Menschen reich werden und bleiben können. Vereinbarkeit war darin nie vorgesehen. Weder die Tradwives noch Hannah Lühmann benennen diese Ursache.

2) „Die Tradwife-Bewegung [ist] vielleicht die erste Frauenbewegung in der Geschichte, die Hausarbeit wirklich ernst nimmt!“ 

Ich möchte Lühmann und die Welt-Redaktion an die internationale Kampagne „Wages for housework“ (Lohn für Hausarbeit) erinnern. Sie wurde in Italien von Mariarosa Dalla Costa, Silvia Federici, Brigitte Galtier und Selma James gegründet. Diese Bewegung war die erste, die die Themen Hausarbeit, Frauenlohnarbeit, Kindergeld, Unterhaltszahlung zur Unterstützung Alleinerziehender, Abtreibung, Frauengesundheit, Sexualität, grüne Flächen, öffentliche Räume, Kitas, Frauenhäuser, bezahlbaren Wohnraum und kostenlose Mobilität durch öffentliche Verkehrsmittel zusammen dachte. Nicht den Tradwives, sondern diesen revolutionären Feministinnen verdanken wir heute einiges, was wir als Recht genießen.

3) „Sie schärfen unser Bewusstsein für Ideologie.“ 

Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich käme sehr gut in einer Welt zurecht, in der keine faschistischen Ideen unter dem Deckmantel von heiler Welt und mütterliche Fürsorge verbreitet und normalisiert werden. Auch wenn mein Bewusstsein für Ideologie dafür etwas unscharf bleiben müsste.

4) „Sie geben wirklich brauchbare Ehetipps.“ 

Wenn die Institution Ehe so kaputt ist, dass sie für gute Tipps auf Neonazis blicken muss, dann ist es nichts anderes als eine Selbstenttarnung.

5) „Tradwives sind eine Antwort auf ‚Regretting Motherhood‘.“

Die ganze Welt ist eine Antwort auf Regretting Motherhood! Regretting Motherhood heißt die Studie und das gleichnamige Buch der Soziologin Orna Donath. Ihre Studie macht sichtbar, dass viel mehr Frauen das Muttersein bereuen, als sich tatsächlich dazu äußern. Und viel wichtiger fand ich den Aspekt, dass einige darin reflektieren, ihr ganzes Leben lang auf das Muttersein konditioniert worden zu sein.

In einer Welt, in der das Muttersein die Norm ist, von der man lieber nicht abweichen sollte; in der Schwangerschaftsabbrüche dämonisiert werden und strafbar sind, Sterilisation so schwer zugänglich ist und Frauen mit Angstszenarien abgeschreckt werden sollen, und andere Verhütungsmittel für Menschen mit Uterus teilweise schwere Nebenwirkungen haben – in so einer Welt ist der Mut, auszusprechen, dass man keine Mutter sein möchte oder es bereut, Mutter geworden zu sein, eine sehr große Randerscheinung. Wenn also Regretting Motherhood der CSD ist, sind Tradwives die restlichen 364 Tage des Jahres.

6) „Tradwives stoßen den zeitgenössischen Feminismus auf seine eigenen Widersprüchlichkeiten. […] Wer den sogenannten ‚Choice Feminism‘ ernst nimmt, also einen Feminismus, der die Wahlfreiheit aller Frauen zum Ziel hat, der muss auch die radikalen Hausfrauen akzeptieren!“ 

Feminismus lehnt das Recht einer Frau, nicht lohnarbeiten zu gehen und stattdessen ausschließlich zu Hause zu arbeiten, nicht ab. Es ist der weiße Feminismus, der die eigene Karriere als die Messlatte der Emanzipation annimmt, und er nennt sich zwar Feminismus, ist aber nicht feministisch.

7) „Sie geben wirklich gute Haushalts-Tipps.“ 

Dazu sage ich nur: Auch eine kaputte Uhr zeigt zweimal am Tag die richtige Zeit.

8) „Sie sind Meisterinnen der Achtsamkeit. Viele Tradwives setzen sich auch für Entschleunigung, selbst gemachtes Essen und weniger Smartphone-Aktivität im Alltag ein.“ 

Das ist tatsächlich ein sehr interessanter und wichtiger Punkt. Er zeigt nämlich: Bei den Tradwives geht es eben um eine Handvoll privilegierte Frauen, die von dem einen Lohn, nämlich von dem ihres Ehemannes, den gesamten Haushalt schmeißen können. Das muss man sich leisten können. Und gerade dieser Punkt macht auch den oberen „Choice-Feminism“-Punkt nichtig. Viele können es sich eben nicht aussuchen, zu Hause zu bleiben und sich aus den Steinen vom eigenen Berg ein Ofen zu bauen, in dem sie das Brot backen. Denn sie haben keinen Berg. Viele haben noch nicht einmal eine Arbeit, die für eine Monatsmiete reicht!

Lühmann verteidigt Menschen, die eine Scheinwelt propagieren

Was an Tradwives so gefährlich ist, ist gar nicht, dass sie ein vermeintlich veraltetes Frauenbild propagieren. Es ist die Tatsache, dass sie eine Welt darstellen, die schlicht und ergreifend nicht existiert. Die meisten deutschen Haushalte sind auf mehrere Einkommen angewiesen, viele Frauen gehen gleichzeitig mehreren Jobs nach und bleiben trotzdem arm. Von der Tatsache ganz zu schweigen, dass sich viele Frauen nicht aus gewaltvollen Beziehungen befreien können, weil ihnen das Geld für ein eigenständiges Leben fehlt. Welche Lösung bringen da die Tradwives mit? Keine.

Es wäre auch gar nicht die Aufgabe von Influencerinnen, irgendwelche Lösungen hervorzubringen. Von einem Journalismus, der kritisch sein und „zum Nachdenken anregen“ will, so wie es sich die Welt-Zeitung auf die Fahnen schreibt, wäre allerdings tatsächlich viel mehr zu erwarten.

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Autor*innen

Sibel Schick kam 1985 in Antalya, der Türkei, auf die Welt und lebt seit 2009 in Deutschland. Sie ist Kolumnistin, Autorin und Journalistin. Schick gibt den monatlichen Newsletter "Saure Zeiten" heraus, in dem sie auch Autor*innen, deren Perspektiven in der traditionellen Medienlandschaft zu kurz kommen, einen Kolumnenplatz bietet. Ihr neues Buch „Weißen Feminismus canceln. Warum unser Feminismus feministischer werden muss“ erscheint am 27. September 2023 bei S. Fischer. Ihr Leseheft "Deutschland schaff’ ich ab. Ein Kartoffelgericht" erschien 2019 bei Sukultur und ihr Buch "Hallo, hört mich jemand?" veröffentlichte sie 2020 bei Edition Assemblage. Im Campact-Blog beschäftigte sie sich ein Jahr lang mit dem Thema Rassismus und Allyship, seit August 2023 schreibt sie eine Kolumne, die intersektional feministisch ist. Alle Beiträge

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