Klimakrise Rechtsextremismus
Von der Klimakrise zum Rechtsruck: Was Österreichs Wahl bedeutet
Nach den Nationalratswahlen in Österreich herrscht Entsetzen: Die rechtsextreme FPÖ triumphiert, das Klima bleibt auf der Strecke. Wie Fridays for Future Österreich den Wahlkampf erlebt hat und warum die Bundestagswahl 2025 entscheidend wird, liest Du hier.
Es ist Montag, der 30. September 2024. Ein Tag nach der Wahl. Gestern hat Österreich eine neue Regierung gewählt. Das Ergebnis: Die FPÖ, das österreichische Pendant zur deutschen AfD, holt 29 Prozent der Stimmen. Ich stehe in der Straßenbahn und gucke mich um. Fassungslos, weil ich weiß, so viele Menschen um mich herum haben eine rechtsextreme Partei gewählt. Und gleichzeitig den Tränen nahe, weil Schüler:innen neben mir voller Sorge darüber sprechen, wer von ihren Mitschüler:innen zuerst abgeschoben wird. Das kann doch nicht der neue, schmerzliche Alltag hier sein.
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Das Team von Fridays for Future Berlin schreibt regelmäßig im Wechsel für den Campact-Blog – diesmal liest Du, wie Emma Reynolds von Fridays for Future Österreich die dortigen Nationalratswahlen erlebt hat.
Österreich war schon immer latent rechts und ist nun noch weiter nach rechts gerutscht. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten: Wir sind Deutschland ein paar Jahre voraus. Aber nächstes Jahr steht auch in Deutschland die Bundestagswahl an, und es gilt jetzt, sich zu formieren und zu organisieren. Nach den Wahlen im Osten mehr denn je.
FPÖ, ÖVP und Boulevardmedien bestimmten die Debatte
Wie konnte das passieren? Ich werde jetzt keinen Geschichtsartikel schreiben, denn der Wahlkampf der letzten Wochen genügt, um ein Bild der Lage zu bekommen. Bis Ende August war der Wahlkampf geprägt von Debatten über Asyl- und Wirtschaftsthemen. Alles ging nur darum, wie man Sozialleistungen für Asylsuchende möglichst lang unterbinden kann. Eine Debatte, die von FPÖ und ÖVP geführt und von den Boulevardmedien befeuert wurde, während die progressiven Parteien keine anderen Themen setzen oder ihre Standpunkte durchsetzen konnten. Eine Debatte, von der vor allem eine Partei profitierte – die FPÖ.
Dann kam der Regen. Österreich wurde Ende August von den schlimmsten Extremwettern seit Jahrzehnten getroffen – tagelang galt der Ausnahmezustand, der Bundeskanzler pausierte den Wahlkampf, Behörden forderten dazu auf, zu Hause zu bleiben. In ländlichen Regionen wurden Menschen evakuiert, Häuser füllten sich mit Wasser, sechs Menschen verloren ihr Leben. Wir haben der Klimakrise wieder einmal ins Gesicht gesehen. Das Extremwetter in Osteuropa wurde durch die Klimakrise doppelt so wahrscheinlich.
Wendepunkt in der Klimapolitik? Fehlanzeige
Drei Tage Schockstarre; Politiker:innen dankten den Einsatzkräften – und wir, wir hofften, dass das vielleicht der Punkt sei, an dem die Parteien realisieren, welche Extreme die Klimakrise hervorbringt. Ja, das musste doch nun eindeutig die Wende in der Klimapolitik sein. Aber nur wenige Pressekonferenzen vergingen, bis der Bundeskanzler sich hinstellte und auf die Fragen der Journalist:innen nach der Klimakrise ernsthaft antwortete: „Das schwerst betroffene Bundesland Niederösterreich sei ja zu 94 Prozent nicht versiegelt„. Achso, da sind wir wieder – die eigene Verantwortung wegschieben; man hätte eh nix machen können. An Zynismus kaum zu überbieten.
Kickl leugnet – und schweigt
Und was machte der Herr, der nun mit seiner Partei 29 Prozent aller Stimmen in Österreich kassierte? Er schwieg. Denn Kickl wusste genau, dass ihm jede Aussage, die er zur Klimakrise treffen würde, um die Ohren flöge. Er wusste vermutlich auch genau, dass Armin Laschet 2021 schon Erfahrungen gemacht hatte, die sich jetzt, zwei Wochen vor der Wahl, niemand leisten dürfte. Und er wusste, dass er in dieser Debatte über ein Thema, dessen Existenz er leugnet, nur verlieren konnte.
Aber das hielt uns bei Fridays for Future nicht ab, sämtliche Videos und Aussagen von der ÖVP und FPÖ herauszukramen, in denen sie offen die Klimakrise entweder leugnen oder Klimaschutzmaßnahmen kleinreden und blockieren. Mit mehreren hunderttausend Aufrufen schafften wir so, im Wahlkampf einen kleinen Moment lang alle Augen auf die Klimakrise zu richten. Kein Entkommen für Parteien, darauf Antworten zu finden. Und das zeigten wir auch am 20. September mit 15.000 Menschen in ganz Österreich auf der Straße. Ein kurzer Moment der Hoffnung – wichtig, um langfristig dabei zu bleiben.
Es bleiben Wut und Angst
Und trotz der stundenlangen Calls, Videodrehs, Plena und des sich Aufreibens, um den Wahlkampf nicht der extremen Rechten und den Klimaleugner:innen zu überlassen – am Sonntag blieb vor allem ein Gefühl. Das Gefühl, es nicht verhindert haben zu können. Das Gefühl, versagt zu haben, obwohl es gar nicht in unserer Verantwortung liegt; gemischt mit Wut und Angst.
Campacts österreichische Schwesterorganisation #aufstehn hat einen Appell gegen einen Regierungsbeteiligung der FPÖ gestartet – mach mit!
Die Argumente, die in Deutschland für das Erstarken der AfD herangezogen werden, gelten in Österreich nicht. Was aber in beiden Ländern gleich ist, ist ein Übernehmen der rechtsextremen Forderungen von Konservativen; ein immer schärferer rechter Ton, der angeblich den Rechtsextremen den Wind aus den Segeln nehmen soll und nichts anderes tut, als den Wind genau in diese Segel zu pusten. Ein Wind, den wir endlich in der Klimapolitik bräuchten. Egal, welche Regierung nun zustande kommt – es wird ohne Zweifel schwieriger, Klimaschutz einzufordern. Ein härterer Kampf, den wir mit dem Kampf gegen den Rechtsextremismus verbinden müssen. Die Themen, weswegen Menschen die FPÖ wählen, müssen wir besser verknüpfen, denn die Sorgen vor dem sozialen Abstieg und die Ungerechtigkeiten der Klimakrise haben einen gemeinsamen Kern.
Wir müssen uns nun besser organisieren, Bündnisse schmieden, weiter laut sein. Und so ist diese Nationalratswahl vielleicht mehr als nur ein weiterer Wahlerfolg der Rechten in Europa. Es kann und muss ein Weckruf für Deutschland und die anstehende Bundestagswahl sein. Ihr habt es in der Hand, ob Deutschland mehr aus der gemeinsamen Geschichte gelernt hat als wir in Österreich.