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Jetzt kaufen wir das Volkseigentum zurück

Wohnen war zu DDR-Zeiten ein Verfassungsrecht. Über 50 Prozent der Wohnungen waren Volkseigentum – dann kam die Wende und ein Ausverkauf. Heute kaufen die Städte Wohnungen wieder zurück, weil der Mietmarkt außer Kontrolle gerät. Ein Blick nach Dresden.

Blick auf den Dresdner Stadtteil Gorbitz, das größte Neubaugebiet von Dresden, gebaut in den 1980er Jahren, Gorbitz gehört zum Stadtbezirk Cotta, zu den Großvermietern der Wohnungen gehören die Vonovia sowie die Eisenbahner-Wohnungsbaugenossenschaft (EWG).
Blick auf den Dresdner Stadtteil Gorbitz, das größte Neubaugebiet von Dresden, gebaut in den 1980er Jahren. Zu den Großvermietern der Wohnungen gehören die Vonovia sowie die Eisenbahner-Wohnungsbaugenossenschaft (EWG). Foto: IMAGO / C3 Pictures

18 Jahre ist es her, dass die Stadt Dresden ihren gesamten Wohnungsbestand verkaufte. Ja, alle kommunalen Wohnungen, wirklich alle. Vor allem große Siedlungen in Plattenbaugebieten, die seit jeher im kommunalen Eigentum waren – schon seit DDR-Zeiten. 982 Millionen Euro Gewinn hat die Elbestadt dadurch generiert. Das klingt erstmal nach wahnsinnig viel Geld. Aber wenn man das auf die Anzahl der Wohnungen umrechnet, hat die Stadt die Wohnungen für einen Spottpreis verkauft. Gerade mal knappe 25.000 Euro pro Wohnung in Dresden – wer würde da nicht sofort zuschlagen?

Kritik am vermeintlichen Clou

Hinter diesem ungewöhnlichen Schritt stand damals die Idee des FDP-Bürgermeisters Ingolf Roßberg. Dresden war Anfang der 2000er-Jahre hoch verschuldet. Wie übrigens fast jede Stadt in Deutschland zu dieser Zeit. Die Schulden der deutschen Kommunen zwischen 1992 und 2006 stiegen drastisch. Ex-Bürgermeister Roßberg wollte die Stadt aus den Schulden holen und setzte bei der kommunalen Daseinsvorsorge an: Er verscherbelte die Wohnungen der Stadt. 

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Auf einen Schlag war Dresden schuldenfrei und hatte sogar 200 Millionen Euro über. Noch heute verteidigt Roßberg den Schritt, denn angeblich konnten dadurch wichtige Investitionen in die Stadt gemacht werden, die sonst nicht möglich gewesen wären. Den Dresdner Boom der End-2000er schiebt Roßberg auf seinen Wohnungsverkauf. Doch schon damals war der Schritt höchst umstritten, denn die Folgen waren kaum absehbar. Heftige Kritik kam vom Mieterbund, Teilen der PDS und den Grünen, aber auch von Mieter*innen. Über 45.000 Unterschriften sammelten sie gegen den Verkauf – genützt hat es nichts. 

Macht der Wohnungskonzerne

Und heute? Dresden kauft Wohnungen zurück. Mittlerweile ist der Immobilienkonzern Vonovia Eigentümer eines Großteils der ehemaligen kommunalen Wohneinheiten. Vonovia ist insbesondere bekannt für die Übernahme von großen Wohnsiedlungen – aber auch für windige Geschäftspraktiken, schlechten Service und teure Mieten. Insgesamt 1.213 Wohnungen will die Stadt Dresden zurückkaufen; das sind nicht mal drei Prozent aller damals verkauften Einheiten. Dafür sind die Wohnungen aber fast dreimal so teuer, wie sie es vor 18 Jahren waren. Ein echtes Win-Win-Geschäft für Vonovia – für die Stadt Dresden eine echte Panne. 

Dresden ist ein Extrembeispiel. Doch in vielen ostdeutschen Großstädten wurden die Wohnungsbestände nach 1990 nach und nach zu Spottpreisen verhökert, vor allem an westdeutsche Einzelunternehmer oder Wohnungskonzerne. Die Folge heute: unnötig hohe Mieten und eine Monopolstellung einiger weniger Wohnungskonzerne in den Städten. Fast zwei Drittel der Grundstücke und Immobilien in ostdeutschen Großstädten gehören heute Westdeutschen, die ihre Ost-Ländereien vor allem als Kapitalanlage nutzen.

Wie es anders hätte gehen können

Dabei hätte es auch einen anderen Weg geben können. Schätzungsweise 60 Prozent aller Wohnungen waren zum Ende der DDR in Volkseigentum. Statt sie nach und nach an Westkonzerne zu verscherbeln, hätte es hier tolle Möglichkeiten gegeben, um zum Beispiel Ostdeutschen ihr erstes Privateigentum zu ermöglichen: Günstige Mietkäufe, Kreditprogramme, Sonderverkäufe an langjährige Mieter*innen. Warum dürfen eigentlich nur Konzerne Wohnungen zu Spottpreise kaufen? 

Viel besser wäre jedoch gewesen, wenn nach 1990 das Volkseigentum in genossenschaftliches Eigentum überführt worden wäre. Die Menschen, die drin wohnen, sollten das Haus auch besitzen – nicht mehr und nicht weniger. Auch das wäre super für die ostdeutsche Wirtschaftsentwicklung gewesen. Denn Genossenschaften sind in der Regel lokal verankert. Sie zahlen also lokal Steuern, stellen lokal Personal ein, rekrutieren lokale Führungskräfte und bilden lokal aus. Doch gerade nach 1990 war eben das neoliberale Dogma allgegenwärtig – jetzt kommt das böse Erwachen. Viel zu teure Städte, die nur für eine bestimmte Schicht an Menschen noch bezahlbar sind. Fette Renditen für den Vonovia-Konzern und dessen Aktionäre, Wohnraum am Stadtrand für uns. Zum Glück geht der Trend zurück in Richtung Rekommunalisierung. Viel zu spät, leider.

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Autor*innen

Danny Schmidt ist seit 2019 Campaigner bei Campact. Als Teil des Kampagnen-Teams gegen Rechts setzt er sich vor allem gegen das Erstarken rechter Strukturen, Bewegungen und Parteien ein. Als Nachwendekind aus der ostdeutschen Provinz lässt ihn die Frage der ostdeutschen Identitäten nicht los – für den Campact-Blog schreibt Danny Schmidt für, über und aus Ostdeutschland. Alle Beiträge

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