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Gedenkstätten im Visier: Die AfD und das Erinnern

Das Erinnern an die Nazi-Verbrechen ist der AfD ein Dorn im Auge. Mit einer Unterlassungsklage wollte sie jetzt der Gedenkstätte Buchenwald verbieten, sich zur Gefahr des AfD-Geschichtsrevisionismus zu äußern. Was das für ihre Arbeit bedeutet, erklärt Rikola-Gunnar Lüttgenau, Leiter der strategischen Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Gedenkstätte.

Eine Lichtinstallation am Glockenturm der Gedenkstätte Buchenwald ist Teil des Genius Loci Festivals mit dem Titel "Es ist 5 vor 33". Das Festival fand Ende August statt und widmete sich anlässlich der Landtagswahl in Thüringen den Themen Rechtsextremismus, Erinnerungskultur und Populismus. Foto: IMAGO / Funke Foto Services
Eine Lichtinstallation am Glockenturm der Gedenkstätte Buchenwald ist Teil des Genius Loci Festivals mit dem Titel "Es ist 5 vor 33". Das Festival fand Ende August statt und widmete sich anlässlich der Landtagswahl in Thüringen den Themen Rechtsextremismus, Erinnerungskultur und Populismus. Foto: IMAGO / Funke Foto Services

Man kann versuchen, das Grauen in Zahlen zu fassen: 277.300 Häftlinge zwischen 2 und 86 Jahren aus mehr als 50 Ländern; 56.000 Tote. Doch die Zahlen alleine machen nicht greifbar, was zwischen 1937 und 1945 im Konzentrationslager Buchenwald geschah. Es gibt immer weniger lebende Zeitzeugen, die von der Maschinerie von Zwangsarbeit und Vernichtung erzählen können, die die Nazis aufbauten und mit menschlichen Körpern fütterten. Deswegen wird die Arbeit von Gedenkstätten immer wichtiger. Sie halten die Erinnerung am Leben, arbeiten sie auf, um sie an kommende Generationen weiterzugeben. Sie stemmen sich gegen das Vergessen. So auch die Gedenkstätte Buchenwald in der Nähe von Weimar. Doch 79 Jahre nach der Befreiung des KZs durch die US-Armee ist ihre Arbeit in Gefahr. 

Das Ziel: Geschichte umdeuten

Der Grund: Rechtsextremen ist die Gedenkarbeit in Deutschland ein Dorn im Auge – und mit der AfD haben die Gegner von Erinnerungspolitik eine einflussreiche parlamentarische Stimme. AfD-Funktionäre wettern gegen den „Schuldkult“, bezeichnen die NS-Zeit als „Vogelschiss“ und fordern – wie es der Thüringer Landeschef Björn Höcke auf den Punkt bringt – eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Ihr Ziel: Geschichte umdeuten und die deutsche Verantwortung für die Nazi-Verbrechen herunterspielen, um besser ihre eigenen völkischen Ziele verfolgen zu können. 

Und es bleibt nicht bei Worten. Gemeinsam mit Campact hatte sich die Gedenkstätte Buchenwald vor der Landtagswahl mit einem Brief direkt an ältere Wähler*innen gewendet und vor dem Geschichtsrevisionismus der AfD gewarnt. Die Folge: massive Drohungen – und eine Klage der AfD, die der Gedenkstätte gerichtlich verbieten will, sich zu äußern. Jetzt hat das Verwaltungsgericht Weimar entschieden, dass die Formulierungen zu den rechtsextremen und geschichtsrevisionistischen Plänen der AfD rechtmäßig waren – eine Gerichts-Schlappe für die Höcke-Partei. 

Zahlreiche lokale Initiativen gegen Rechtsextremismus sind auf langfristige öffentliche Finanzierung angewiesen – doch genau die gefährdet der CDU-Chef. Gerade jetzt, wo sie wichtiger ist denn je, schwächt Merz die Arbeit gegen die Feinde der Demokratie und spielt so der AfD in die Hände.

Doch die rechtsextremen Angriffe auf Gedenkstätten und die Menschen, die sich dafür einsetzen, die Erinnerung am Leben zu halten, werden damit nicht aufhören. Was bedeutet es für die Gedenkarbeit, wenn eine rechtsextreme Partei immer mächtiger wird? Und wie können Gedenkstätten dagegenhalten? Darüber spreche ich mit Rikola-Gunnar Lüttgenau. Er arbeitet seit über 30 Jahren für die Gedenkstätte Buchenwald und ist Leiter ihres Teams für strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit.

Wie verändert sich eure Arbeit durch den Machtzuwachs der AfD?

Rechtsextreme Angriffe sind bei uns ja schon seit Jahrzehnten ein Thema, sei es durch die NPD oder durch freie Kameradschaften, die provozieren oder Mitarbeiter einschüchtern wollten. Mit dem Aufkommen der AfD erleben wir nun jedoch eine neue Qualität der Angriffe: Diese reicht von dem Versuch, Gedenktage umzudeuten – etwa indem am Holocaust-Gedenktag der Opfer sowjetischer Speziallager gedacht werden soll, oder der Volkstrauertag zu einem völkischen Heldentag umgewidmet wird – bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, die die Reichweite unserer Bildungsarbeit einschränken sollen.

Zu den Veränderungen gehört aber auch, dass wir unsere inhaltlichen Schwerpunkte stärker auf die Auseinandersetzung mit den Tätern und der NS-Gesellschaft legen. Statt ausschließlich der Opfer zu gedenken, müssen wir die Motivationen und strukturellen Gründe, die zu den Taten geführt haben, noch besser beleuchten.

Gerade in Zeiten einer erstarkenden extremen Rechten ist Gedenkstättenarbeit immens wichtig – und wird immer mehr politisch aufgeladen, wenn Geschichtsrevisionist*innen in Machtpositionen kommen. Wie nehmt ihr vor diesem Hintergrund eure Rolle wahr?  

Es reicht nicht mehr aus, alle paar Jahre unsere Dauerausstellungen zu aktualisieren und gute Bildungsprogramme anzubieten. Um in unserer Arbeit glaubwürdig zu bleiben, müssen wir auch aufzeigen, wie Rechtsextreme in der Gegenwart versuchen, Geschichte umzuschreiben. Zum Beispiel, wenn sie die Verwendung von Menschenhaut für Geschenkartikel im KZ Buchenwald leugnen oder bei der Befreiung der Lager von der Morallosigkeit der US-amerikanischen Armee sprechen.

Die AfD versucht immer wieder, das Neutralitätsgebot zu instrumentalisieren, um den Einsatz für Demokratie und gegen Rechtsextremismus auszuhöhlen. Nach ihrer Auffassung bedeutet „neutral“: Vereine und Initiativen, die politische Bildung und Demokratiearbeit machen, sollen sich nicht politisch äußern dürfen. Aber kann es so etwas wie „neutrale“ Gedenkarbeit überhaupt geben?

Nein. Der eigentliche Zweck einer KZ-Gedenkstätte ist es, an die Opfer zu erinnern und ihre Würde zu bewahren. Deshalb müssen wir unsere Stimme erheben, wenn ihre Geschichte und die Verantwortung dafür, dass sie zu Opfern gemacht wurde, getilgt werden soll. Täten wir es nicht, würden wir unsere Dienstpflicht verletzen. Insofern sind wir in diesem Kampf, den wir derzeit führen, sozusagen ganz bei uns. Er ist schlicht unser Job.

Nach dem Brief, den ihr gemeinsam mit Campact an Wähler*innen in Thüringen verschickt habt, hat die AfD gegen euch geklagt, damit ihr nicht politisch Stellung bezieht. Außerdem wurde Jens-Christian Wagner, der Leiter der Gedenkstätte, nach dem Brief bedroht. Wie geht ihr mit diesen Angriffen um: Werdet ihr euch auch in Zukunft politisch äußern?

Selbstverständlich. Da wir in unserer gesellschaftlichen Aufgabe nicht „neutral“ sein können, können wir auch nicht „unpolitisch“ sein, weder in der Gedenkstätte noch in der Öffentlichkeit. Im Gegenteil, gerade im digitalen Raum sind wir aufgerufen, noch sichtbarer zu werden. Was wir jedoch nicht tun dürfen: Vor einer anstehenden Wahl zur Wahl oder Nichtwahl einer bestimmten Partei aufrufen. Über deren Geschichtsrevisionismus zu informieren, das dürfen – und müssen – wir jedoch.

Was könnt ihr anderen Gedenkstätten mit auf den Weg geben, die politisch Haltung zeigen wollen?

Leider sind wir nicht die einzigen, die von Rechtsextremisten angegriffen werden. Doch auch mit unserer klaren Haltung stehen wir nicht alleine da. Erst vor zwei Monaten tagte die bundesweite Gedenkstättenkonferenz bei uns. Es herrschte Einigkeit darüber, dass es zu unseren Kernaufgaben gehört, geschichtsrevisionistischen Bestrebungen entschieden entgegenzutreten. Gleichzeitig müssen wir uns untereinander austauschen, um bei Angriffen besser gewappnet zu sein, sowohl in der Bildungsarbeit als auch in der öffentlichen Kommunikation und vor Gericht.


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Autor*innen

Victoria Gulde ist seit 2018 Campaignerin bei Campact. Als Teil des Kampagnen-Teams gegen Rechtsextremismus setzt sie sich gegen die Normalisierung rechten Gedankenguts ein. Sie hat Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Internationale Beziehungen studiert. Für den Campact-Blog schreibt sie über Gedenktage und die Bedeutung einer lebendigen Erinnerungskultur. Alle Beiträge

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