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Ampel-Aus bedeutet auch: Weiter keine fairen Preise für Milch

Das Ampel-Aus führt dazu, dass wichtige agrarpolitische Vorhaben liegen bleiben. Eines davon die Einführung von Artikel 148 GMO, der Molkereien verpflichten soll, faire Verträge mit Milchbetrieben abzuschließen. Und zwar vor der Lieferung und nicht zwei Wochen danach. Klingt nach einer Selbstverständlichkeit? Nicht auf dem Milchmarkt.

Eine Milchkuh auf einem Milchviehbetrieb in Sachsen an einer vollautomatische Selbstbedienungs- Melkstation, welche die Tiere selbstständig aufsuchen können.
Eine Milchkuh auf einem Milchviehbetrieb in Sachsen. Diese vollautomatische Selbstbedienungs-Melkstation können die Tiere selbstständig aufsuchen. Foto: IMAGO / Sylvio Dittrich

Eine Ware liefern und ein bis zwei Wochen später erfahren, wie viel man dafür bekommt. Ginge es um ein Auto, eine Tankladung Benzin oder ein Paar Schuhe, klänge dieses Verfahren völlig verrückt. Bei der Milch ist diese Praxis so normal, dass politisch heftig um Änderungen gekämpft werden muss.

Wie funktioniert der Milchmarkt im Moment?

Wenn ein Milchviehbetrieb nicht selbst Käse, Joghurt oder Sahne aus seiner Milch herstellt, kommt jeden zweiten Tag der Tankwagen und holt die gesamte Milchmenge ab. Die Milch geht zu der Molkerei, mit welcher der Hof einen Vertrag abgeschlossen hat oder bei der er Mitglied ist. Dort wird die Milch verarbeitet und weiter verkauft: an den deutschen Lebensmitteleinzelhandel oder ins Ausland. Nach der Verwertung der Milch legt die Molkerei einen Preis fest und teilt diesen dem Milchviehbetrieb mit, spätestens zum 15. Tag des Folgemonats nach der Lieferung. Die Molkerei verpflichtet sich, die gesamte Milchmenge des Hofes abzuholen (Abnahmegarantie). Der Hof darf, bis auf ein bisschen Direktvermarktung, die Milch an keine andere Molkerei verkaufen (Andienungspflicht). Weitere Einzelheiten werden vertraglich nicht geregelt.

Für die Preisgestaltung bedeutet das: Weil wir Verbraucher:innen billige Butter wollen, der Handel die Butter deshalb billig bei den Molkereien einkaufen will und die Molkerei den Milcherzeuger:innen keine Preise zugesichert hat, gibt die Molkerei dem Preisdruck des Handels einfach nach. Sie zahlt den Milchbäuer:innen aus, was übrig bleibt. Ein einzelner Milchviehbetrieb kann sich dagegen kaum wehren, auch wenn der Preis nicht immer die Kosten der Milcherzeugung nicht deckt. Zumal der Vertrag bzw. die Mitgliedschaft mit den Molkereien Kündigungsfristen von zwei bis drei Jahren hat.

Anne Neuber ist Kulturwissenschaftlerin mit landwirtschaftlicher Ausbildung und engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) für eine zukunftsfähige Agrarpolitik. Sie ist Teil der Geschäftsführung bei der AbL Mitteldeutschland.

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Wie kam es dazu?

Dieses System stammt aus einer Zeit, in der die EU zuerst die Preise und später die Mengen für Agrarprodukte reguliert hat. 2015 sind die EU-Quoten für den Milchsektor ausgelaufen. Seither wird das Einkommen der Bäuer:innen über Prämien unterstützt, die pro bewirtschafteten Hektar ausgezahlt werden. Preise und Mengen soll der Markt regulieren. Eine Einkommensstütze für die Landwirtschaftsbetriebe hilft allerdings nicht viel, wenn die Produkte selbst nicht einmal Preise erwirtschaften können, welche die Kosten decken.

Wie schafft man einen funktionierenden Milchmarkt?

Das EU-Recht ermöglicht es den Mitgliedsstaaten, den Markt zu gestalten – wenn sie es denn wollen. Beispielsweise können sich Milchbetriebe zu Erzeugergemeinschaften zusammenschließen, dadurch mehr Verhandlungsmacht aufbauen und so ihre Preise wirksamer aushandeln. Das ist auch in Deutschland möglich – und es funktioniert. Weit verbreitet sind Erzeugergemeinschaften bisher jedoch nicht. Auch deshalb, weil Bäuer:innen nach jahrzehntelanger Preis- und Mengenregulierung durch die EU wenig Erfahrung damit haben, gemeinsam Marktmacht aufzubauen.

Ein anderer Weg ist es, Molkereien und anderen Verarbeitungsbetrieben den Einkauf unterhalb der Produktionskosten zu verbieten. Spanien und Italien haben ein solches Verbot erlassen, Frankreich gibt gesetzlich vor, dass sich die Preise an den Produktionskosten orientieren soll.

Für Deutschland hat Agrarminister Özdemir im Frühjahr 2024 einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) der EU zur Anwendung bringen soll. Dieser würde die Molkereien dazu verpflichten, Verträge mit den Milchbetrieben abzuschließen, die vor der Milchlieferung Preis, Menge und Vertragslaufzeit festlegen. Um die vereinbarten Preise zahlen zu können, hätten die Molkereien damit zum ersten Mal einen Anreiz, um gegenüber dem Handel einen fairen Preis für ihren Joghurt, die Butter oder die Milch auszuhandeln.

Die Molkereien sind dagegen

Geht es nach den Molkereien, soll es dazu niemals kommen. Ihre Interessen vertritt in Deutschland neben dem Milchindustrie-Verband (MIV) der Raiffeisenverband. Der ist im Übrigen auch Mitglied des Deutschen Bauernverbands (DBV) und sorgt dort für einen großen internen Interessenskonflikt, der nach außen unter den Teppich gekehrt wird. Im April wandten sich DBV und Raiffeisenverband noch vor einer Verbändeanhörung zum geplanten Gesetzesentwurf des Landwirtschaftsministeriums an den eigentlich nicht zuständigen Finanzminister Lindner.

Darin warnten sie vor unnötiger und wirkungsloser Bürokratie. Die Milchpreise würden vor allem am internationalen Milchmarkt bestimmt, der Einfluss der Molkereien sei gering. Im September veröffentlichte der Raiffeisenverband ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten mit der gleichen Argumentation. Als Lösung schlagen die Gutachter den Milchbäuer:innen vor, ihre Milch an der Börse absichern zu lassen. Nett ausgedrückt ist das allenfalls eine Scheinlösung.

Denn worum geht es hier eigentlich?

Klima- und Biodiversitätskrise stellen die Landwirtschaft gerade vor die Herausforderung, nachhaltiger, umweltschonender und klimaangepasst zu wirtschaften. Die Gesellschaft wünscht sich außerdem mehr Tierwohl. Wie soll ein Betrieb den dafür notwendigen Stallumbau finanzieren oder auf Düngung verzichten, um vielfältigere Wiesenlandschaften zu ermöglichen, wenn der Milchpreis der Molkereien noch nicht einmal die Kosten der Erzeugung deckt?

Die jetzige Situation schafft stattdessen einen Anreiz für noch mehr Intensivierung. Ohne Verträge, die Mengen und Preise festlegen, versuchen die Milchbetriebe immer noch mehr Milch zu produzieren. Das heißt, aus den vorhandenen Arbeitskräften, Kühen, Ställen und Weiden noch mehr rauszuholen. Eine Folge davon: Die Zahl der milchviehhaltenden Betriebe sinkt schneller als die der Milchkühe. Klassisches „Wachse oder weiche“ – und genau die Logik, die das Artensterben und die Klimakrise verursacht hat.

Klar ist: Wer sich eine Zukunft der Menschheit auf diesem Planeten vorstellen will und die Bürokratie der derzeitigen Agrarförderung ablehnt, muss Marktregeln etablieren, die den Landwirt:innen erlauben, faire – und nicht nur kostendeckende – Preise zu verhandeln. Ob sich in der nächsten Bundesregierung Akteure durchsetzen werden, die mehr Zukunfts- und Marktverständnis haben als die FDP?

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Autor*innen

Anne Neuber setzt sich dafür ein, dass Menschen in der Landwirtschaft mit Freude und Zukunftsperspektive ihre Arbeit machen können. Derzeit leider eher Utopie als Realität. Sie hat Kulturwissenschaften studiert, eine landwirtschaftliche Ausbildung gemacht, schneidet hochstämmige Obstbäume und engagiert sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) für eine zukunftsfähige Agrarpolitik. Sie sieht sich als Brückenbauerin zwischen Stadt und Land, Konvis und Ökos, Linken und Konservativen, Ostdeutschland und Berlin. Denn Spaltung bewirkt, dass immer die gewinnen, die wirklich nicht gewinnen sollten. Alle Beiträge

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