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Neuwahlen: Neue Regierung, wann, wo, wie früh?

Die Ampel ist Geschichte. Bereits am 23. Februar sollen Neuwahlen stattfinden. Neuwahlen nach einer Vertrauensfrage gab es bereits mehrmals in Deutschland. Was diesmal anders ist.

Plenarsaal im Bundestag
Bald werden die Plätze im Bundestag neu verteilt. Die geplante vorgezogene Neuwahl soll am 23. Februar 2025 stattfinden. Foto: IMAGO / Achille Abboud

Am vergangenen Mittwochabend hat Bundeskanzler Olaf Scholz FDP-Finanzminister Christian Lindner entlassen und Neuwahlen angekündigt. Nach zwei Jahren, zehn Monaten, vier Wochen und einem Tag bricht endgültig die Regierung aus SPD, Grünen und FDP. Und das an einem Tag, an dem Donald Trump in den frühen Morgenstunden seinen Sieg verkündet hat. 

Nach dem Bruch der Ampelregierung

Das Grundgesetz ist für solche Fälle gerüstet. Ministerien und Verwaltung arbeiten auf Basis des Status quo weiter. Das bedeutet: SPD und Grüne regieren in einer Minderheitsregierung. Scholz kündigte an, bis Weihnachten Gesetze zur Abstimmung zu bringen, die keinen Aufschub dulden.

Diese drei Themen muss der Bundestag noch vor den Neuwahlen regeln: 

  1. Deutschlandticket retten
    Das Deutschlandticket droht, noch teurer zu werden. Der Bundestag muss die sichere Finanzierung des beliebten Tickets noch in diesem Jahr sicherstellen. 
  2. Verfassungsgericht schützen
    Verfassungsfeinde dürfen unser Bundesverfassungsgericht nicht entmachten. Das Gesetz zum Schutz unseres höchsten Gerichts braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Nach Neuwahlen könnten AfD und BSW stark im Parlament vertreten sein – eine Änderung des Gesetzes wäre dann wohl nicht mehr möglich. Fordere jetzt den Schutz unseres Verfassungsgerichts.
  3. Rente sichern
    Länger arbeiten für weniger Rente? Das droht, wenn das Rentenpaket nicht dieses Jahr verabschiedet wird. Scholz braucht die CDU – die Zukunft von Millionen Menschen steht auf dem Spiel. 

Minderheitsregierung

Minderheitsregierungen waren bislang meist Folge gebrochener Koalitionen. Die letzte Minderheitsregierung gab es im Herbst 1982, nachdem sich die FDP im Streit über Wirtschafts- und Rüstungspolitik aus der Koalition mit Helmut Schmidts SPD zurückgezogen hatte. Nach einem konstruktiven Misstrauensvotum wählte der Bundestag Helmut Kohl (CDU) zum Kanzler.

Scholz stellt Vertrauensfrage

Bundeskanzler Scholz kündigte letzte Woche an, die Vertrauensfrage stellen zu wollen und brachte einen möglichen Neuwahltermin im März ins Gespräch. Die Opposition drängte auf frühere Neuwahlen. CDU-Chef Merz und die AfD wünschen sich diese lieber gestern als heute. Mittlerweile steht der Termin fest: Laut Informationen des ARD-Hauptstadtstudios haben sich SPD und Union auf den 23. Februar als Termin für Neuwahlen geeinigt.

Zuvor muss Scholz noch die Vertrauensfrage stellen. Das will der Bundeskanzler voraussichtlich am 11. Dezember tun. Eine Abstimmung ist dann erst nach 48 Stunden möglich. Nach derzeitigem Stand wird der Bundestag am 16. Dezember über die Vertrauensfrage entscheiden.

Scheitert Scholz, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 21 Tage Zeit, den Bundestag aufzulösen. Danach bleiben nach Artikel 39 des Grundgesetzes 60 Tage, um den Bundestag neu zu wählen. Der 23. Februar fällt in diese Frist.

Bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages bleibt der aufgelöste Bundestag bestehen. Es gibt also auch zwischen Vertrauensfrage und Neuwahl keine parlamentslose Zeit. Wichtige Beschlüsse können bis zur Bildung einer neuen Regierung weiterhin gefasst werden.

Neuwahlen nach Vertrauensfrage in der Geschichte Deutschlands

Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 gab es dreimal vorgezogene Neuwahlen nach gescheiterten Vertrauensfragen. 1972 stellte Bundeskanzler Willy Brandt, 1982 Bundeskanzler Helmut Kohl und 2005 Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestag die Vertrauensfrage. Der Unterschied zur heutigen Situation: Alle drei Bundeskanzler strebten bewusst vorzeitige Neuwahlen an und setzten die Vertrauensfrage so an, dass sie scheitern musste. In allen drei Fällen folgten vorgezogene Neuwahlen.

Willy Brandt (SPD), 1972

Wenn es nach der CDU gegangen wäre, hätte Willy Brandt (SPD) den Posten als Bundeskanzler schon viel früher verlassen sollen. Oppositionsführer Dr. Rainer Barzel (CDU/CSU) versuchte am 27. April 1972, Brandt mit einem Misstrauensvotum zu stürzen. Der Bundestag befand sich in einer Patt-Situation: Mehrere SPD- und FDP-Abgeordnete hatten die Koalition verlassen, die Regierungsmehrheit war zusammengeschrumpft. 248 Abgeordnete umfassten die Fraktionen von SPD und FDP im Bundestag, 248 Abgeordnete gehörten der CDU/CSU an. Brandt kündigte daraufhin Neuwahlen an. Opposition und Parteikollegen kritisierten dieses offensive Vorgehen: Er könne nicht länger in der SPD bleiben, schrieb damals ein Funktionär, wenn SPD-Abgeordnete ihrem Kanzler nicht mehr das Vertrauen aussprächen.

Das hielt Brandt allerdings nicht von seinem Plan ab: Am 20. September stellte er die Vertrauensfrage, um die Mehrheit zu verfehlen. Und er hatte Erfolg: 248 Abgeordnete hatten gegen ihn gestimmt, nur 233 für ihn. Der Weg zu Neuwahlen war frei. Und die hatten es in sich. Sie fanden am 19. November 1972 statt, 58 Tage nach der Vertrauensfrage, und glichen einer Volksabstimmung: 91,1 Prozent der Wahlberechtigten gingen wählen. Ein Rekord bis heute. Und auch die SPD fuhr damals ihr bis jetzt bestes Ergebnis ein: 45,8 Prozent. Am 14. Dezember 1972 wurde Brandt im Bundestag zum zweiten Mal als Kanzler gewählt. Zusammen mit der ebenfalls aus der Wahl gestärkt hervorgegangenen FDP verfügte die sozialliberale Koalition nun über eine klare parlamentarische Mehrheit. Brandt hatte sein Ziel erreicht.

Helmut Kohl (CDU), 1982

Am 17. Dezember 1982 entzog der Bundestag Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) das Vertrauen. Kohl hatte vier Tage zuvor, am 13. Dezember 1982, die Vertrauensfrage gestellt. Damit war der Weg frei für Neuwahlen, die am 6. März 1983 stattfanden, 79 Tage nach der Vertrauensfrage. Das war möglich, weil Bundespräsident Prof. Dr. Karl Carstens erst am 6. Januar 1983 die Auflösung des Bundestages anordnete.

Besonders war, dass Kohl erst wenige Wochen zuvor, am 1. Oktober 1982, mit einem konstruktiven Misstrauensvotum den vorher amtierenden Bundeskanzler Schmidt zu Fall gebracht hatte. Kohl wollte die Vertrauensfrage stellen, um Neuwahlen zu ermöglichen und seine Regierung zu legitimieren. Schon in seiner Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 hatte Kohl die Absicht geäußert, schnell vor die Wähler*innen zu treten. Kritiker, darunter Staatsrechtler, wiesen darauf hin, dass die Schöpfer des Grundgesetzes einen solchen Fall nicht vorgesehen hatten.

Bei den Neuwahlen wurde Kohl im Amt bestätigt: Die Union erreichte mit 48,8 Prozent der Stimmen das zweitbeste Ergebnis seit 1957. Zusammen mit der FDP, die zwar Verluste erlitt, aber mit 7 Prozent ebenfalls in den Bundestag einzog, bildete sie eine schwarz-gelbe Koalition.

Gerhard Schröder (SPD), 2005

Dr. Gerhard Schröder (SPD) stellte während seiner Amtszeit als Kanzler zweimal die Vertrauensfrage. 2001 versuchte er, politische Kritiker auf seine Seite zu holen und gewann die Abstimmung. Bei seiner zweiten Vertrauensfrage im Jahr 2005 verfolgte der Bundeskanzler ein anderes Ziel: Er wollte die Abstimmung gezielt verlieren, um Neuwahlen zu erreichen. Schröder sah sich wegen der Hartz-IV-Reformen in der Kritik, die der SPD bei Landtagswahlen Stimmen gekostet hatten. Noch am Abend der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, am 22. Mai 2005, kündigte Schröder an, die Vertrauensfrage zu stellen. Das tat er dann am 27. Juni 2005; am 1. Juli 2005 trat er dann für die Abstimmung vor den Bundestag.

Sein Fraktionskollege Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, er werde sich an der Abstimmung nicht beteiligen, da es sich um eine „fingierte Vertrauensfrage“ handele. Wie er enthielten sich 147 weitere Abgeordnete. Von den 595 Abgeordneten, die an der Abstimmung teilnahmen, stimmten 151 mit „Ja“. 296 Abgeordnete mit „Nein“. Nach drei Wochen langer Prüfung gab Bundespräsident Horst Köhler schließlich am 21. Juli 2005 seinen Entschluss bekannt, dass er den Bundestag aufgelöst und Neuwahlen für den 18. September 2005 angesetzt habe, 79 Tage nach der Vertrauensfrage.

Bei der Wahl gab es eine Besonderheit: Die Frist für kleinere Parteien, ihre Teilnahme anzuzeigen, wurde auf 47 Tage verkürzt, die Frist für die Aufstellung von Listen und Kandidaten auf 35 Tage. Für den Fall einer Neuwahl kann Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach Paragraf 52 des Bundeswahlgesetzes diese und weitere Fristen, die im Bundeswahlgesetz und in der Bundeswahlordnung genannt sind, durch eine Rechtsverordnung verkürzen.

Bei Schröder ging das Kalkül nicht auf. Er unterlag bei der vorgezogenen Bundestagswahl Angela Merkel (CDU). Statt zum dritten Mal ins Kanzleramt einzuziehen, war es nun die CDU-Vorsitzende, die Kanzlerin und Chefin einer schwarz-roten Koalition wurde.

Was diesmal anders ist

Was die jetzige Vertrauensfrage, auf die höchstwahrscheinlich Neuwahlen folgen werden, von den historischen Beispielen unterscheidet: Sie ist das Ergebnis einer echten Regierungskrise. Gerade die sehr emotional geführten Diskussionen der letzten Wochen und Monate, zum Beispiel um Grenzkontrollen, den Haushalt oder Klimaschutzmaßnahmen haben zu diesem Bruch beigetragen.


Vertrauensfrage, schnelle Neuwahlen – all das löst Unsicherheit aus. Das Problem ist jetzt: Die Rechtsextremen um Spitzenkandidatin Alice Weidel sind sehr gut darin, mit Emotionen Politik zu machen. Als Kampagnen-Organisation setzt sich Campact seit 20 Jahren für Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und den Schutz unserer Demokratie ein. Damit diese Themen nicht untergehen, bitten wir Dich: Schließe Dich an – abonniere jetzt unseren Newsletter. 

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