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Bagatellisierte Gewalt gegen Frauen

Im Auftrag der Bundesregierung hat das Deutsche Institut für Menschenrechte untersucht, wie die Istanbul-Konvention hierzulande umgesetzt wird: mangelhaft.

Eine Teilnehmende einer Demo am 25. November 2024 hält ein Schild hoch mit der Aufschrift: "Wir alle sagen: STOPP Gewalt an Frauen und Mädchen"
Teilnehmende einer Demo in Bonn am 25. November 2024, dem internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Foto: IMAGO / NurPhoto

Schon der Umfang des Berichts gibt einen deutlichen Hinweis auf die Dimension des Problems: 440 Seiten umfasst der „Monitor Gewalt gegen Frauen“, den das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) am Dienstag vorgelegt hat. Es ist die erste umfassende Analyse, wie es um die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland steht. Also jener vor zehn Jahren geschlossenen Übereinkunft des Europarats zum Thema, die seit der Ratifizierung 2018 hierzulande den Rang eines Bundesgesetzes hat. Kurz gesagt: Die Lage ist schlecht.

„Besorgniserregend, ja alarmierend“ nennt Müşerref Tanrıverdi das Bild, das sich aus der Erhebung der Daten ergibt. Von einer umfassenden Umsetzung der Istanbul-Konvention sei Deutschland „weit entfernt“. Tanrıverdi leitet seit vergangenem Jahr die Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt beim DIMR. „Staatliches Handeln ist dringend erforderlich“, appelliert sie.

Alarmierende Zahlen des BKA

Im November, kurz vor dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, hatte das Bundeskriminalamt die nüchternen Zahlen für Deutschland vorgelegt: 360 Femizide im Jahr 2023, mehr als 600 versuchte Tötungsdelikte, alle drei Minuten häusliche Gewalt. Und das war bloß das kriminalistisch erhobene Hellfeld. Zehntausende Taten ereignen sich im Verborgenen. Der überwiegende Teil der Übergriffe findet laut der Analyse von Fachleuten im sozialen Nahraum statt.

Und obwohl die Gewalt gegen Frauen auf der Straße, zu Hause und im Netz weiter zunimmt: Der im Auftrag der Bundesregierung unabhängig erstellte „Monitor Gewalt gegen Frauen“ listet nun umfangreich auf, was zum Schutz der Betroffenen, bei Prävention und Täterarbeit alles nicht getan wird. Sehr viel nämlich. Es gebe einen „Flickenteppich an Regelungen und Maßnahmen“, aber keine bundeseinheitliche Gewaltschutzstrategie, prangert der Bericht an.

Und eigentlich ist es schwer zu fassen: In einem vergleichsweise reichen Land wie Deutschland fehlt es an Frauenhäusern. Regelmäßig böten diese nur Plätze für akute Notfälle, berichtet Tanrıverdi: „Es kann auch sein, dass Frauen zum Täter zurückkehren müssen.“

Fehlende Fortbildungen bei Justiz und Polizei

Oder, für viele ähnlich überraschend: Es fehlt an der verpflichtenden und standardisierten Ausbildung von Justiz und Polizei zum Thema. Und das hat dann laut dem Monitor etwa solche Folgen: „Bei einer Trennung können Umgangsregelungen zum ernsthaften Sicherheitsrisiko für Betroffene und ihre Kinder werden.“

Obwohl der aktuelle rechtliche Rahmen die Berücksichtigung häuslicher Gewalt bei gerichtlichen Verfahren und Entscheidungen zum Umgangs- und Sorgerecht ermögliche, finde dies „in der Praxis oft nicht statt“. Stattdessen würde mit problematischen Konzepten operiert. Etwa dem Gedanken, dass ein Umgang mit dem gewalttätigen Elternteil förderlich für das Kindeswohl sein könnte. Hingegen würden deutsche Gerichte auf die Istanbul-Konvention „nur selten“ Bezug nehmen. Mit anderen Worten: Häusliche Gewalt wird viel dort zu oft bagatellisiert.

Wenn Femizide bloß als Totschlag verurteilt werden

Auch im Zusammenhang mit Femiziden – statistisch gesehen gibt es einen pro Tag in Deutschland – beleuchtet der Monitor eine „kritikwürdige Rechtsprechung“. Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind. Aber in einer ganzen Reihe von Fällen werden diese Tötungen nicht als Mord erkannt. Eine frühere oder noch immer bestehende Täter-Opfer-Beziehung wirke sich in der Praxis häufig strafmildernd aus. Das sei, so der Bericht, entgegen den Vorgaben der Istanbul-Konvention, die die „Möglichkeit einer Strafverschärfung für den Fall vorsieht, dass sich die Tat gegen eine ehemalige oder aktuelle Partnerin richtet“.

Die Kritik des DIMR deckt sich mit den Ergebnissen einer Recherche der FAZ, die unter der Überschrift „Du gehörst mir, also töte ich dich“, Ende November erschienen war. Reporterinnen der Zeitung kamen zum Ergebnis, dass manche Gerichte in Deutschland das Besitzdenken des Täters nicht als besonders verwerflich ansehen würden, ein Teil erkenne es erst gar nicht. Von 62 Urteilen, die die FAZ analysierte, lauteten 23 auf Totschlag. Als Motive hätten die Gerichte in diesen Fällen „überwiegend Wut, Ärger, Zorn oder Enttäuschung des Täters“ anerkannt. Und eben nicht einen Mord verurteilt, also eine besonders skrupellose Tat. Wenn ein Femizid als Totschlag verurteilt wird, bedeutet dies nicht nur ein deutlich niedrigeres Strafmaß, sondern auch, dass die Hinterbliebenen ihr Leid nicht anerkannt sehen.

Femizide stoppen

Alle drei Tage wird eine Frau in Deutschland von ihrem (Ex-)Partner getötet. Ging die Trennung von ihr aus, kann der Täter sogar auf Strafmilderung hoffen. Der Gesetzgeber muss endlich reagieren: mit einer Strafrechtsreform und einer Forschungsstelle, die Gewalt gegen Frauen untersucht und verhindert. 

Das Deutsche Institut für Menschenrecht verkennt nicht „punktuelle Fortschritte“ – etwa die geplante nationale Koordinierungsstelle. Das Gesamtfazit hebt aber die „gravierenden Lücken“ bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention hervor. „Wir hätten uns schon gewünscht, dass manche Schritte früher passiert wären“, sagt Instituts-Direktorin Beate Rudolf mit Blick auf die Bundesregierung.

Bangen um das Gewalthilfegesetz

Als ein Beispiel nennt Rudolf die aktuellen Gesetzesvorhaben der gescheiterten Ampel-Koalition. Zwar hat das Bundesjustizministerium unter Führung des inzwischen parteilosen Volker Wissing diese Woche einen Entwurf zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes vorgestellt. Mit zwei wichtigen Neuregelungen: Zum einen soll die elektronische Aufenthaltsüberwachung, die sogenannte Fußfessel verankert werden – nach erfolgreichen Erfahrungen etwa in Spanien. Zum anderen sollen soziale Trainingskurse, also Täterarbeit, verpflichtend rechtlich geregelt werden.

Viel wichtiger aber noch ist das Gewalthilfegesetz, das ein bundesweites Hilfesystem für Opfer geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt schaffen soll. Dieses Gesetz könnte „dazu beitragen, dass weniger Frauen getötet und misshandelt werden“, sagt die Rechtsanwältin Christina Clemm. Doch ob die nun von der rot-grünen Minderheitsregierung eingebrachte Vorlage noch vor den Neuwahlen im Februar den Bundestag passiert, steht auf der Kippe. Mit einem Brandbrief versuchen 70 Frauenrechtlerinnen und Aktivistinnen, ein Scheitern abzuwenden. Doch ob sie Gehör finden, ist fraglich.

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Autor*innen

Matthias Meisner ist freier Journalist und Buchautor in Berlin und Tirana. Er schreibt über Menschenrechte, Geflüchtete und die Bedrohung der Demokratie. Zuletzt erschien 2023 im Herder-Verlag, gemeinsam herausgegeben mit Heike Kleffner, „Staatsgewalt – wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“. Infos unter www.meisnerwerk.de. Alle Beiträge

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