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Das BSW ist die AfD light

Sahra Wagenknecht will der rechtsextremen AfD Stimmen abjagen. Behauptet sie. In Rhetorik und Inhalt aber gibt es viele Parallelen beider Parteien.

Alice Weidel und Sahra Wagenknecht im Oktober 2024 im Studio von "Welt TV" bei einem TV-Duell.
Alice Weidel und Sahra Wagenknecht im Oktober 2024 im Studio von "Welt TV" bei einem TV-Duell. Foto: IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Es war eine Werbeanzeige des BSW – und zugleich ein klassischer Fall von Fake News im Bundestagswahlkampf: „Es ist kein Geheimnis, dass die im europäischen Vergleich hohen Asylbewerberleistungen wie ein Magnet wirken“, postete die Wagenknecht-Partei im Dezember in einer bezahlten Reklame auf Facebook. Um die These dann für eine flüchtlingsfeindliche Erzählung zu nutzen. Stichworte: unkontrollierte Migration, gescheiterte Abschiebungen, durch Nichtdeutsche verübte Sexualdelikte und so weiter. Deutschland brauche eine „Atempause“.

Die BSW-Reklame ist dem zuständigen Team des Recherchekollektivs Correctiv als „besonders auffällig“ in den Blick geraten. Es durchkämmt derzeit systematisch das Netz nach Falschinformationen der Parteien im Wahlkampf. Es findet dabei Desinformation der AfD, Fehler demokratischer Parteien, Fehler des BSW.

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Pull-Faktoren-Narrativ ist eindeutig widerlegt

Die Geschichte mit den „Pull-Faktoren“, von Wagenknechts Bündnis für Stimmungsmache gegen Asylsuchende instrumentalisiert, ist falsch. Im April vergangenen Jahres gab es im Bundestag eine Anhörung zum Thema. Die Auskünfte der Mehrheit der geladenen Sachverständigen wurden anschließend in einem Kommuniqué des Parlaments so zusammengefasst: „Die Höhe von Sozialleistungen ist nicht entscheidend für Migrationsbewegungen.“

Die Evidenz sogenannter „Wohlfahrtsmagneten“ sei durch aktuelle Studien „eindeutig widerlegt“, sagte Noa Kerstin Ha vom Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung DeZIM. Der Ruf nach Sachleistungen sei „ein Ladenhüter“, erklärte eine weitere Expertin. Die Referentin für Migrations- und Antirassismuspolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Vera Egenberger, betonte, eine Absenkung von Leistungen werde Migration nicht stoppen. Primäre Gründe seien Kriegs- und Krisensituationen oder Klimakatastrophen. Hier müsse man ansetzen.

Das hat das BSW nicht im Sinn. Es befindet sich in der Migrationspolitik in einem Überbietungswettbewerb mit der AfD. Die Sache hat Tradition. Parteigründerin Sahra Wagenknecht hat schon vor Jahren, als sie noch Funktionärin der Linken war, auf die Frage nach ihren damaligen „Alleingängen in der Flüchtlingsfrage“ gesagt: „Gerade bei Arbeitern und Arbeitslosen haben wir relativ schlechte Ergebnisse. (…) Ich will nicht, dass die AfD noch stärker wird.“

Gegen Migration – und gleichzeitig Migranten umwerben

Mit ähnlichen Argumenten verteidigt das BSW jetzt, dass es sich Ende Januar im Bundestag dem Pakt von Union und großen Teilen der FDP mit der rechtsextremen AfD anschloss. Sieben von zehn Abgeordneten der BSW-Gruppe votierten für das von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz eingebrachte „Zustrombegrenzungsgesetz“, darunter auch Wagenknecht. Drei BSWler blieben der Abstimmung fern.

Die Rhetorik der Partei zu den Themen Zuwanderung und Asyl wird schärfer, je enger es für das BSW wird. Die stellvertretende Parteivorsitzende Friederike Benda erklärt „weniger Migration“ zur „sozialen Frage“.

Ihrem Ex-Genossen Jan van Aken, heute Chef der Linkspartei, zeigte die BSW-Frau den Stinkefinger. Van Aken hat mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in einem Interview Anfang Februar eine „völlig überschaubare Zahl“ genannt. Das skandalisierte flugs die „Bild“-Zeitung. Und bald danach auch Benda. Sie machte im „Jacobin“-Magazin daraus: „Eine Million Migranten im Jahr“, das sei „ein deutliches ,Fuck you‘ an die untere Hälfte der Bevölkerung, darunter viele Menschen mit Migrationsgeschichte“.

Benda sagt, dass Menschen mit Migrationshintergrund zu einem überproportionalen Anteil BSW wählen würden. Wenn das stimmt – und womöglich stimmt es – bedeutet das, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund vor Rassismus nicht gefeit sind. Weshalb ja übrigens auch die AfD Migranten gezielt umwirbt, längst nicht mehr nur die Russlanddeutschen. Sie müssen halt nur nationalistisch genug sein. Die AfD behauptet, nicht ausländerfeindlich zu sein. Und das BSW tut es ihr gleich – jeder mit dem Ziel, das eigene Wählerklientel zu erweitern.

Russland als Freund und Vorbild

Es gibt noch weitere Parallelen. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk beobachtet sowohl beim BSW als auch bei der AfD einen „Hang zum Autoritarismus und Totalitarismus“. Wagenknechts Versprechen des starken Staates, des autoritären Staates sei „die Verbindung zur AfD“. Das sei es auch, so Kowalczuk, was Wagenknecht an Wladimir Putin offenkundig so faszinierend finde: der autoritäre Staat. Vor diesem Hintergrund lassen sich so auch die Schnittmengen zwischen AfD und BSW in der Russland-Politik leicht erklären: Beide Parteien werben für Verhandlungen mit Moskau und sind gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Deshalb hat es sowohl dem BSW als auch der AfD so gut gefallen, dass Donald Trump vor einigen Tagen Wladimir Putin Ratschläge für die Lösung des Konflikts gab.

Bisher ist das BSW mehr oder weniger ein Kunstprodukt. Die Erfolge bei den Landtagswahlen im Osten werden sich am 23. Februar nicht wiederholen lassen – die Fünf-Prozent-Hürde wird zum Fallbeil und entscheidet über Wagenknechts Rolle in der Politik. Die Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger sagt, das Projekt BSW sei „am Reißbrett entworfen“ worden und werde „von oben nach unten durchexerziert“. In einem Interview kritisiert Schönberger:

Das BSW ist als ein striktes Kader- und Machtprojekt einer kleinen innerparteilichen Führungsriege organisiert. Statt den politischen Prozess offen zu gestalten, schließt es ihn gezielt gegen ,demokratische Zumutungen‘ ab.

Sophie Schönberger im „Portal für Politikwissenschaft“

Wohin geht’s mit dem BSW?

Woran nach dem rasanten Aufstieg bei den Ost-Landtagswahlen im Spätsommer 2024 der rasante Fall des BSW nun liegt? An den Medien! Natürlich! Behauptet das BSW. Vize-Parteichefin Benda spricht von „Verachtung vieler Bürger für die Selbstgerechtigkeit und Denkverbote der Politik- und Medienblase“. BSW-Politiker würden im Wahlkampf „nicht gleichbehandelt oder es wird versucht, uns aus Wahlsendungen auszuschließen“.

Die BSW-Vorsitzende Amira Mohamed Ali behauptet, „die alten Parteien und die ihnen nahestehenden Medien“ wollten das BSW „offenkundig mit allen Mitteln aus dem Bundestag herausdrängen“.

Man reibt sich verwundert die Augen: War „Altpartei“ nicht bisher das Schlagwort der AfD gegen die demokratischen Parteien? Und: Gehen die Medien wirklich unfair mit der Wagenknecht-Partei um? Es ist eine Verschwörungstheorie. In Wahrheit ist das BSW selbst ein Medienprodukt, gehypt schon vor der offiziellen Gründung. Beste Grüße an dieser Stelle an Sahra Wagenknecht, Deutschlands Talkshowkönigin.
 

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Autor*innen

Matthias Meisner ist freier Journalist und Buchautor in Berlin und Tirana. Er schreibt als Gast-Autor für den Campact-Blog über Menschenrechte, Geflüchtete und die Bedrohung der Demokratie. Zuletzt erschien 2023 im Herder-Verlag, gemeinsam herausgegeben mit Heike Kleffner, „Staatsgewalt – wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“. Infos unter www.meisnerwerk.de. Alle Beiträge

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