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Bürgerliche Brandmauer: Wir werden nicht verstummen

Hetzkampagnen, Drohungen aus der CDU, Angriffe auf die Demokratie: Die Zivilgesellschaft wird massiv unter Druck gesetzt. Warum wir uns jetzt nicht unterkriegen lassen.

Wir sind die Brandmauer! Protest gegen Rechts in Berlin.
Foto: Chris Grodotzki/Campact

Ok, wir müssen reden. Denn ich bin wirklich schockiert, was hier gerade passiert. Wir von Campact sind vieles gewohnt. Rechtsradikale, die uns online oder bei Aktionen direkt bedrohen; Verleumdungen und Schmähkampagnen, die unsere Arbeit diskreditieren. Damit konnten wir bislang den Umständen entsprechend umgehen. Was aber in den letzten Tagen passiert ist, geht nicht mehr nur Campact was an, sondern Dich oder eben uns alle – und es sollte uns große Sorgen machen.

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Schön, dass Du hier bist! Campact ist eine Kampagnen-Organisation, mit der über 3,5 Millionen Menschen für progressive Politik streiten. Im Campact-Blog schreiben das Team und ausgezeichnete und versierte Gast-Autor*innen über Hintergründe und Einsichten zu progressiver Politik.

Wie Verschwörungstheorien in die Mitte der Gesellschaft rücken

Vor wenigen Tagen tauchte ein Artikel auf, in dem der Bild-Redakteur Jens Ulrich Eckhard den Eindruck erweckte, dass zum einen die Kundgebungen zum Schutz unserer Demokratie und gegen die Zusammenarbeit der Union mit der AfD der vergangenen Tage und Wochen sowie auch Campact mit Steuermitteln finanziert worden seien. Das ist natürlich Unsinn, doch Basis der BILD-Kampagne ist ausgerechnet ein Artikel des reißerisch-rechten Kanals NiUS – eine Entwicklung, die nicht neu ist. Rechtsextreme Portale erfinden Verschwörungserzählungen und die Springer-Medien übernehmen diese mit dem Versuch, sie so zu normalisieren.

Die gesamte Geschichte wurde dann offiziell von CDU-Kampagnenaccounts und vielen weiteren Unions-Abgeordneten oder in rechtsextremen Kreisen aufgegriffen und verbreitet. So weit, so „normal“ in der neuen rechts-libertären Welt. Doch damit nicht genug. Vor wenigen Tagen erschien ein weiterer Artikel, diesmal vom neuen „Meinungsfreiheit“-Ressortleiter Andreas Rosenfelder in der WELT. Unliebsame Positionen von widerspenstigen NGOs „greifen in die demokratische Willensbildung“ ein, man müsse ihre „manipulative Macht brechen“ und mehr noch, die Geschehnisse wären „verfassungswidrig“. Damit wären wir laut Rosenfelder beim „Deep State“, dem „tiefen Staat“ angekommen.

Ich muss zugeben, dass mich diese Entwicklung zutiefst schockiert. Denn was Rosenfelder hier von sich gibt, ist eine Verschwörungstheorie der Rechtsextremen. Die Radikalisierung des Springer-Verlags ist schier unglaublich. Die frühere Leiterin des Meinungsressorts, Eva Maria Kogel, hatte wegen eines Gastbeitrags von Elon Musk in der Welt, der pure Wahlwerbung für die AfD war, gekündigt. Auf dem Durchmarsch nach ganz rechts folgt nun dieser Artikel, womit diese Positionen Stück für Stück in die Mitte der Gesellschaft rücken.

Die Merz-CDU droht der Zivilgesellschaft und damit uns allen

Ich gebe zu, all das ist schon hart zu verarbeiten und sollte uns große Sorge bereiten. Nur was beim hetzerischen NiUS-Portal unter dem ehemaligen BILD-Chefredakteur Julian Reichelt begann, ist mitten in der Merz-CDU gelandet. Der Haushaltsexperte der Union, Mathias Middelberg, droht der vielfältigen und bunten Zivilgesellschaft jegliche Mittel zu entziehen, sollte Friedrich Merz Kanzler werden.

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Grafik: Jenny Harbauer/ Campact e.V.

Das ist nicht nur eine Einschüchterung, sondern ein direkter Angriff auf die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie. Denn es sind die vielen Organisationen im sozialen, klima-ökologischen oder menschenrechtlichen Feld, die Lücken füllen, welche die Politik hinterlässt. Nun werden unter dem Applaus der rechtsextremen AfD hierzulande Methoden eines Donald Trumps oder Viktor Orbáns angewandt, die bis vor wenigen Wochen noch unsagbar waren – und ich frage Sie direkt, Herr Friedrich Merz: Wollen Sie sich wirklich derartiger Methoden bedienen?

Anstatt darüber zu reden, dass in der Woche rund um den Gedenktag zum Holocaust die Union unter Merz gemeinsam mit einer rechtsextremen Partei im Bundestag abstimmt, Europarecht gebrochen und ein Grundrecht damit de facto abschafft wird, werden jetzt weit über eine Million Menschen verhöhnt – gar delegitimiert. Dabei waren Sie es doch Herr Merz, der Wochen vorher eine solche Abstimmung kategorisch ausschloss. Und es waren ebenfalls Sie, der dieses Versprechen kurzerhand einkassierte – und das auch noch bei einer Abstimmung, die im Kern nichts verändert hätte, weil sie im Bundesrat gescheitert wäre.

Ja, dagegen gehen wir – von Campact bis Omas gegen Rechts über Fridays for Future – gemeinsam auf die Straße. Anstatt also diese Demonstrationen, die sich nicht gegen die CDU insgesamt, sondern den aktuellen Kurs und die AfD widmen, ernstzunehmen, ja einfach mal zuzuhören, polarisieren Sie weiter. Und das auch noch auf Basis einer Kampagne von NiUS, BILD und Welt, die in rechtsextremen Verschwörungstheorien mündet.

Wissenschaftlich bewiesen: Wer von Rechtsextremen abschreibt, stärkt sie

Dabei zeigt die Wissenschaft seit Jahren, dass die Übernahme rechtsextremer Positionen diese im Kern stärkt, anstatt sie zu schwächen. Der Oxford-Politikwissenschaftler Tarik Abou-Chadi schreibt auf dem Verfassungsblog: „Jede Form der Zusammenarbeit führt zu einer stärkeren Normalisierung radikal rechter Parteien.“ Und weiter schreibt er: „Das, was Parteien machen und sagen, hat einen starken Einfluss auf die Positionen und Prioritäten von Bürgern und Bürgerinnen.“ Also: Die Politik macht, was die Wähler*innen wollen. Und die Wähler*innen wollen, was die Politik macht.

Die jüngsten Umfragen bestätigen diesen Kurs: Friedrich Merz‘ impulsiver Schachzug im Bundestag vor wenigen Wochen zur Abstimmung über eine Verschärfung der Asylgesetze hat die AfD erneut in Umfragen gefestigt. Gleichzeitig reden wir wenige Tage vor der Bundestagswahl und seit Wochen über kein anderes Thema als Migration, statt über eine immer größer werdende soziale Schere, die zunehmende Klimakrise und ihre Folgen. Oder über superreiche Tech-Milliardäre, die in den USA eine Oligarchie aufbauen und mit ihren sozialen Netzwerken unsere Demokratie in Europa direkt angreifen.

Wir werden nicht verstummen – im Gegenteil

Die Schmähkampagne von NiUS, BILD und Co., die Androhungen der Merz-CDU oder von Seiten der rechtsextremen AfD: Sie sollten uns große Sorgen machen. Aber eben auch nicht verstummen lassen. Morgen gehen beim Klimastreik von Fridays for Future und Omas gegen Rechts an über 100 Orten etliche Menschen für einen lebenswerten Planeten und eine liberale Demokratie auf die Straße. Am Tag danach werden Zehntausende in den Städten des Landes beim Christopher Street Day erwartet – für ein vielfältiges und buntes Zusammenleben. Und einen Tag später werden in Berlin und vielen weiteren Orten Hunderttausende erwartet, die Hand in Hand für die Demokratie einstehen.

Getragen werden diese Demonstrationen für eine lebenswerte Zukunft von einem so breiten Bündnis an Organisationen und Initiativen, wie es dieses Land noch nicht gesehen hat. All diese Menschen gehen auf die Straße – nicht, weil sie dafür angeblich bezahlt werden, sondern weil sie sich Sorgen machen. Um das Grundrecht auf Schutz vor Krieg und Verfolgung. Um unsere funktionierende Demokratie und unser Miteinander. Um unsere Art des Diskurses und für Lösungen in der sozialen und klimapolitischen Frage. 

Mein Appell an dieser Stelle geht direkt an Friedrich Merz: Nehmen Sie diese Leute ernst, hören Sie zu, sprechen Sie mit ihnen, anstatt sich eingebunkert in den Echokammern dieser Zeiten zu verbarrikadieren und sie zu diskreditieren. Denn wir werden nicht verstummen.

Und wenn Sie mir nicht zuhören, dann vielleicht Kevin Kühnert. In seiner letzten Rede im Bundestag richtete er sich mit folgenden Worten an Sie:

Viele von Ihnen (Union) haben vermutlich weiterhin die innere Überzeugung, Rechtsradikale soll man rechts liegen lassen. Das glaube ich Ihnen. Aber sie geben das Ringen zunehmend auf, und das kritisiere ich. Jeder Bundeskanzler muss wissen, was im Volk gesprochen wird, und es muss ihn beschäftigen. Ein Bundeskanzler aber, dessen Mund bloß wiedergibt, was sein Ohr zuvor gehört, der ist nicht mehr als eine Echokammer auf zwei Beinen – und Echokammern haben wir schon genug in unserer Gesellschaft.

Kevin Kühnert am 11. Februar 2025 im Bundestag

So oder so. Hören Sie zu und fangen wir wieder an, miteinander zu reden, anstatt uns zu bedrohen.

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Autor*innen

Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. Er gründete 2002 gemeinsam mit Felix Kolb die Bewegungsstiftung, die Kampagnen und Projekte sozialer Bewegungen fördert. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand. Zudem ist er Mitglied des Aufsichtsrats von WeMove, der europaweiten Schwesterorganisation von Campact, sowie der Bürgerbewegung Finanzwende. Alle Beiträge

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