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Warum feiern Politiker immer wieder die Atomkraft?

Söder, Merz, die AfD: Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2025 kommen immer wieder Politiker mit Argumenten für die Atomkraft um die Ecke und warnen, der Atomausstieg gefährde die Energiesicherheit. Wie stichhaltig sind diese Argumente?

Protestierende auf einer Demonstration vor dem Kanzleramt in Berlin in 2010. Einer hält ein Schild hoch mit der Aufschrift: "Atomkraft: Sicher ist nur das Risiko!"
Schon lange dabei in der Anti-Atom-Bewegung: Demonstrierende bei einer Aktion von Campact vor dem Bundeskanzleramt im Jahr 2010. Foto: Jakob Huber

2011 wurde unter Angela Merkel der Atomausstieg besiegelt, 2023 dann endlich abschließend umgesetzt. Mit gutem Grund. Dem letztendlichen Entschluss zum Ausstieg aus der Atomkraft ging das Reaktorunglück in Fukushima voraus. Danach war vielen Deutschen und auch der Politik klar: Eine so riskante Technik, die zusätzlich gefährliche Abfälle produziert, wollen wir nicht länger in Deutschland haben.

Welche Argumente gegen Atomkraft sprechen, hat Campact-Vorstand Christoph Bautz in diesem Beitrag aufgeführt:

Seit etwa zwei Jahren erzeugt Deutschland keinen Atomstrom mehr. Zu wenig Strom gibt es deswegen nicht – und teurer ist er auch nicht geworden. Doch im Wahlkampf zur vorgezogenen Bundestagswahl 2025 fordern immer mehr Politiker die Rückkehr zur Atomkraft. Welche Argumente sie vorbringen und warum diese nicht haltbar sind, liest Du hier.

Merz und die Atomkraft

Der Kanzlerkandidat der CDU, Friedrich Merz, bedauert den Ausstieg aus der Atomkraft. Zuletzt schien er sich mit dem Atom-Aus abgefunden zu haben. Beim Jahreskongress des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) im vergangenen Jahr in Berlin sagte er: „Das Thema Kernenergie ist entschieden.“ Und: „Geschenkt – das ist Demokratie.“ Davor hatte sich die Union die Option Kernkraft stets offen gehalten. 

Es ist kein Geheimnis, dass Merz Windräder hässlich findet und stattdessen auf einen Durchbruch im Bereich der Kernfusion hofft, dem utopischen Nachfolger der Atomkraft. Ein kleiner Atom-Fan steckt also auch in ihm. Doch bisher hat niemand auf der Welt mit Kernfusion nutzbare und bezahlbare Energie erzeugt. Die Technik ist bislang schlicht ein Wunschtraum von Kernkraftpuristen, schreibt Zeit Online.

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Söder will keine Windräder für Bayern – aber Atomkraftwerke

Viel offensiver ist da der Chef seiner Schwesterpartei, der CSU, unterwegs. Markus Söder ist flammender Atomkraft-Verteidiger. Söder will, dass in Bayern Hundert Millionen Euro in neue „kerntechnische Expertise“ investiert werden, darunter drei Lehrstühle an Universitäten für Kernfusion. 

Aber Söder schaut nicht nur in die atomare Zukunft, sondern auch zurück: Er fordert, die drei zuletzt in Deutschland abgeschalteten Atomkraftwerke Neckarwestheim II (Baden-Württemberg), Isar 2 (Bayern), und Emsland (Niedersachsen) wieder in Betrieb zu nehmen, mit dem Ziel, eine „vorübergehende, für die nächsten zehn Jahre mindestens, vorübergehende Stabilität, Netzstabilität, Stromstabilität, gerade auch regional zu entwickeln“. Die Umweltministerin von Baden-Württemberg, Thekla Walker (Grüne), hielt Anfang der Woche dagegen: Sie hält die Reaktivierung des Atomkraftwerks in Neckarwestheim für unrealistisch. Der Rückbau von Neckarwestheim II sei zu diesem Zeitpunkt bereits unumkehrbar. Walker fordert, dass Söder seine Quellen für die Annahme offenlege, dass die Atomkraftwerke wieder in Betrieb genommen werden können. Sie sagt: „Als ehemaliger Umweltminister und treibende Kraft des Atomausstiegs 2011 müsste er es eigentlich besser wissen.“

Die „Söder Challenge“ für ein neues Atomkraftwerk

So einfach wie Söder sich das vielleicht vorstellt, ist der ganze Prozess zur Reaktivierung nicht. Damit das Atomkraftwerk Isar 2 wieder in Betrieb gehen könnte, müsste folgendes passieren: Der Abbau müsste gestoppt und ein neuer Betreiber gefunden werden, die demontierten Teile wiederhergestellt und Sicherheitsauflagen erfüllt. Außerdem bräuchte es neues Personal – das nach Ansicht vieler Atomkraftexperten schwierigste Problem. Zudem bräuchte es eine Lösung für den Atommüll.

Diese Hürden sind allen Beteiligten klar – nur anscheinend nicht Markus Söder. Um auf diesen Bruch aufmerksam zu machen, beteiligen sich aktuell verschiedene Comedians an der „Söder Challenge“. Diese wurde von Autor Marc-Uwe Kling ins Leben gerufen. Die Bedingung: Söder müsse es schaffen, einen Betreiber zu finden, der ohne Subventionen ein neues Atomkraftwerk in Deutschland baut. „Ich bin bereit, ein Loblied auf ihn, seine Demut, seine Weitsicht und seinen lösungsorientierten Politikstil zu schreiben“, sagt Kling, der bekannt ist für seine Bücher über ein kommunistisches Känguru. „Wenn Markus Söder überdies noch eine deutsche Gemeinde benennt, die das AKW samt Endlager haben will, dann schreib’ ich ein ganzes Comedyprogramm, in dem ich mich nur über Robert Habeck lustig mache.“ Mittlerweile haben sich weitere Promis der „Söder Challenge“ angeschlossen, darunter Musiker Bodo Wartke, Komiker Oliver Kalkofe, Cartoonist Ralph Ruthe, und ZDF-Satirikerin Sarah Bosetti.

Die AfD findet Atomkraft super

Auch die AfD will laut ihrem Wahlprogramm unbedingt zurück zur Atomkraft. Nach ihr müsse Deutschland „dringend benötigte” Kernforschungszentren und Atomkraftwerke errichten,“um seine führende Position in der Kerntechnik zurückzugewinnen“. Diese gezielten Investitionen seien notwendig, um innovative Technologien zu entwickeln und neue Fachkräfte auszubilden. Die Partei begründet diese Pläne mit der „Energiesicherheit […,] dem Wohlstand künftiger Generationen als auch dem Umweltschutz“. Diese Aussagen sind austauschbare Allgemeinplätze, die keinem Faktencheck standhalten.

Importiert Deutschland seit dem Atomausstieg mehr Strom aus dem Ausland?

Es stimmt, dass Deutschland seit dem Atomausstieg mehr Strom importiert. Das hat aber nicht nur etwas mit dem Ausstieg zu tun, wie unter anderem Jens Spahn (CDU) behauptet. Der europäische Strommarkt ist komplex und hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert – unter anderem durch den Kohleausstieg, mehr regenerative Energien und den Krieg in der Ukraine

Verkürzt lässt sich sagen: Dass Deutschland mehr Strom importiert, hat in erster Linie damit zu tun, dass der Strom aus dem europäischen Ausland günstiger ist als heimisch produzierter Strom. Dazu die Bundesnetzagentur:

Deutschland verfügt über ausreichend Erzeugungskapazität, um den Strombedarf auch ohne Importe jederzeit zu decken.

Bundesnetzagentur

Dieser günstige Strom aus dem Ausland stammt selten aus Atomstrom, sondern kommt meist aus erneuerbaren Energien. Laut Bundesnetzagentur liegt der Anteil von Atomstrom im deutschen Verbrauch bei 3,01 Prozent. Dieser fließt vor allem im Sommer günstig aus Frankreich nach Deutschland. Denn Frankreich hat Forschenden zufolge im Sommer immer zu viel Strom, „weil die Kernkraftwerke schlecht regelbar sind“.

Alle steigen auf Atomkraft um, nur Deutschland steigt aus? Wenn es so wäre, würden die vorhandenen Uran-Reserven sehr schnell erschöpfen. Das erklärt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme, sehr anschaulich in diesem Video:

Atomstrom = Umweltfreundlich?

Das Gerücht, Atomstrom sei besonders umweltfreundlich, hält sich hartnäckig – auch die AfD wirbt damit in ihrem Wahlprogramm. Dabei ist Atomkraft alles andere als “sauber”. 

Da ist zum einen der Atommüll durch Brennstäbe und Co. In Deutschland gibt es derzeit nach wie vor 27.000 Kubikmeter hoch radioaktiven Abfall, der in einem Endlager untergebracht werden muss. Die Suche zieht sich hin, weil es keinen Ort gibt, der das Material “sicher” verwahren kann. 

Sicherheit ist auch der entscheidende Grund, warum Atomkraftwerke weder saubere noch verlässlich sind. Sie schaden der Umwelt, indem sie Wasser nutzen und aufheizen, Landschaften zerstören und das Risiko schwerer Unfälle mit sich bringen. Tschernobyl und Fukushima zeigen, welche langfristigen und grenzüberschreitenden Folgen solche Katastrophen anrichten. Diese Folgen treffen Ökosysteme, landwirtschaftliche Flächen und die menschliche Gesundheit – und stehen in keinem Verhältnis zu einem etwaigen kurzfristigen Nutzen. 

Fazit: Es gibt keine einfache Lösung für ein komplexes Problem   

Es ist also wie so oft: Eine vermutlich einfache Lösung (Atomkraftwerke wieder einschalten, Atomstrom produzieren) wird für komplexe Probleme herangezogen. Der Strommarkt entscheidet sich nicht allein in Deutschland und ist von äußeren Faktoren abhängig. Energieeffizienz und -Suffizienz, also der kluge Umgang mit vorhandenen Ressourcen, sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Sie sind ebenso wichtig wie eine stabile Stromversorgung – die in Deutschland bereits gesichert ist. 

Die Angst vor Blackouts, steigenden Energiekosten und energiepolitischer Abhängigkeit sind Populismus und basiert nicht auf Fakten. Sie hat wenig mit dem Atomausstieg zu tun. Fallt nicht auf Fake News und Desinformation rein – davon gibt es in diesem Wahlkampf reichlich.


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