Finanzen WeAct Alltagsrassismus Globale Gesellschaft AfD Demokratie Rechtsextremismus CDU Montagslächeln Soziales

Strategien gegen politische Kämpfe für Gerechtigkeit sind vielfältig. Mal werden sie dämonisiert, mal wird Opfer-Täter*innen-Umkehr betrieben. Einer der konkreten Vorwürfe lautet, die treibende Kraft hinter dieser Art von politischer Arbeit seien Eigeninteressen: Karriere, Berühmtheit und vor allem Geld. Antirassismus beispielsweise sei ein lukratives Geschäft, hört und liest man immer wieder. Dabei könnte es nicht zynischer sein. Wer den Status quo bedroht, wird zum Schweigen gebracht oder öffentlich angegriffen.

Im schlimmsten Fall erleben Menschen körperliche Gewalt, und die kann sich unter Umständen so zuspitzen, dass Menschen sterben – wie im Fall von Walter Lübcke. Rassismus und andere Arten von Diskriminierung sind hingegen, zumindest kurzfristig betrachtet, tatsächlich lukrativ. Eine aktuelle Nachricht aus den USA führt diese Tatsache wieder einmal deutlich vor Augen.

Willkommen im Campact-Blog

Schön, dass Du hier bist! Campact e.V. ist eine Kampagnen-Organisation, mit der 3,5 Millionen Menschen für progressive Politik streiten. Im Campact-Blog schreiben das Team und ausgezeichnete und versierte Gast-Autor*innen über Hintergründe und Einsichten zu progressiver Politik.

Rassistischer Angriff auf ein Kind und knapp 800.000 US-Dollar reicher

Was ist passiert? Eine weiße Mutter aus Minnesota wurde dabei gefilmt, an einem Kinderspielplatz einen fünf Jahre alten Schwarzen Jungen mit dem N-Wort rassistisch zu beleidigen. Nach der Veröffentlichung startete sie eine Spenden-Kampagne, weil ihre Adresse veröffentlicht worden sei. Sie fühle sich nicht sicher und müsse mit ihrer Familie wegziehen. Sie sammelte bisher fast 800.000 US-Dollar. Es ist denkbar, dass sie bald ihr aktuelles Kampagnenziel von einer Million Dollar erreicht. Einmal dabei gefilmt werden, wie man ein Kind rassistisch angreift – und schon wird man zur Millionärin. Wenn das kein lukratives Geschäft ist.

Niemand verdient eine rassistische Mutter

In ihrem Spendenaufruf rechtfertigt die weiße Frau ihre Wortwahl: Sie habe den Jungen nur als das bezeichnet, was er sei. Sie sei von Menschen online bedroht worden, ihre zwei kleinen Kinder hätten es nicht verdient. Wenn ich der Frau bei einer Sache recht gebe, dann ist es das: Ihre Kinder hätten definitiv keine rassistische Mutter verdient. Dennoch haben sie eine. Es bricht mir das Herz, dass sie in einem Haushalt aufwachsen werden, in dem die rassistische Erniedrigung und Entmenschlichung anderer Kinder – und vermutlich auch Erwachsener – an der Tagesordnung sein muss. Diese bleiben nicht einmal ohne Konsequenzen, sondern werden mit Hunderttausenden US-Dollar belohnt.

Was für ein Selbst- und Weltbild werden ihre Kinder entwickeln? Werden sie es je schaffen, die Kurve zu kriegen und die menschenverachtende Ideologie ihrer Eltern abzulegen? Selbst wenn sie irgendwann bereit wären, universelle Werte wie Gleichwertigkeit aller Menschen zu verinnerlichen, wird das für sie womöglich ein jahrelanger Kampf. Vielleicht werden sie von ihrer eigenen sozialen Umgebung ausgestoßen, und ich würde wagen zu behaupten: von ihrer Familie sowieso …

Gespalten und gewaltbereit

Eine zivilgesellschaftliche Organisation sammelte Spenden für die Familie des betroffenen Schwarzen Kindes, und inzwischen hat auch die Familie selbst eine Spendenkampagne für die anstehende juristische Auseinandersetzung. Zusammen wurden dafür knapp 350.000 Dollar gespendet, also weniger als die Hälfte der Spenden für die rassistische Frau. Noch werde es geprüft, ob es eine Klage gegen die Frau geben werde, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Der Fall zeige, wie gespalten die US-amerikanische Gesellschaft ist. Der Fall zeigt vor allem, wie viel Gewaltbereitschaft in ebenjener Gesellschaft herrscht. Und wie viele Menschen bereit sind, diese Gewalt finanziell zu unterstützen.

Deutschland ist den USA ähnlicher, als viele denken. Nicht nur auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans, sondern auch in Deutschland glauben viele Menschen fälschlicherweise, dass Hierarchien unter Menschen in Ordnung und gerechtfertigt seien; dass bestimmte Menschen weniger wert sind und bestimmte Leben weniger lebenswert seien. Es mag sich kurzfristig gut oder sicher anfühlen, der mächtigeren Gruppe anzugehören. Beispielsweise kann man sehr schnell fast eine Million Dollar an Spenden generieren, indem man einen kleinen Schwarzen Jungen mit dem N-Wort in seiner Menschenwürde verletzt. Allerdings ist in einer Atmosphäre, in der der Wert von Menschen an Bedingungen geknüpft ist, kein Mensch für immer sicher.

Unsere Freiheit hängt voneinander ab

In einer Welt, in der kleine Schwarze Kinder nicht frei und sicher sind, sind wir alle nicht frei und sicher. Unsere Freiheiten hängen voneinander ab und nur aktive Solidarität kann uns befreien. In Deutschland, in den USA, in Palästina, in der Türkei und überall – wir müssen uns aneinander festhalten und für eine wahrhaft freie und sichere Welt kämpfen, in der Kinder auf dem Spielplatz, in der Schule, zu Hause und auf der Straße geschützt werden. Wir schulden es ihnen, wir schulden es uns.

TEILEN

Autor*innen

Sibel Schick kam 1985 in Antalya, der Türkei, auf die Welt und lebt seit 2009 in Deutschland. Sie ist Kolumnistin, Autorin und Journalistin. Schick gibt den monatlichen Newsletter "Saure Zeiten" heraus, in dem sie auch Autor*innen, deren Perspektiven in der traditionellen Medienlandschaft zu kurz kommen, einen Kolumnenplatz bietet. Ihr neues Buch „Weißen Feminismus canceln. Warum unser Feminismus feministischer werden muss“ erschien am 27. September 2023 bei S. Fischer. Ihr Leseheft "Deutschland schaff’ ich ab. Ein Kartoffelgericht" erschien 2019 bei Sukultur und ihr Buch "Hallo, hört mich jemand?" veröffentlichte sie 2020 bei Edition Assemblage. Im Campact-Blog beschäftigte sie sich ein Jahr lang mit dem Thema Rassismus und Allyship, seit August 2023 schreibt sie eine Gastkolumne, die intersektional feministisch ist. Alle Beiträge

Auch interessant

Globale Gesellschaft, Trump Das fängt ja schlecht an Feminismus, Globale Gesellschaft Solidarität ist Selbstverteidigung Globale Gesellschaft, Poesie El Salvador Alltagsrassismus, Globale Gesellschaft „Ein anderes Wort für Rassismus“ Alltagsrassismus, Medien, Migration Polizeiliche Kriminalstatistik: Mit Sicherheit mehr Unsicherheit AfD, Alltagsrassismus, Migration Angst als Bestseller: Wie rechte Themen echte Sorgen verdrängen Demokratie, Globale Gesellschaft, Pressefreiheit Trumps Angriff auf die Pressefreiheit Globale Gesellschaft, Klassismus, Rechtsextremismus Wo sich Antifeministen, christliche Fundamentalisten und Demokratiefeinde treffen Globale Gesellschaft, Rechtsextremismus, Trump Der „kranke“ Machiavellismus von Trump, Musk und Weidel Globale Gesellschaft, Soziale Medien Bye Bye TikTok?