AfD CDU
„Ich bin nicht queer, ich bin schwul.“ So äußerte sich der CDU-Politiker Jens Spahn im November 2023 in einem Interview mit dem rechtspopulistischen Portal „Nius“. Dieser Satz ähnelt im Wortlaut sehr der Aussage, mit der sich auch die Co-Vorsitzende der AfD, Alice Weidel, beschreibt: „Ich bin nicht queer, sondern ich bin mit einer Frau verheiratet, die ich seit 20 Jahren kenne.“
Die AfD ist eine Anti-LGBTQIA*-Partei. Laut ihrer Ansicht besteht eine „richtige“ Familie aus Vater, Mutter, Kind. „Echte Männer“ haben zudem rechts zu sein, das behauptete ihr Bundestagsabgeordneter Maximilian Krah.
Mit einem einfachen Statement scheint sich Spahn zur LGBTQIA*-Community distanzieren und gleichzeitig bei der AfD anbiedern zu wollen. Wer ist der Mann, für den eine solche Taktik Sinn ergibt?
Wer ist Jens Spahn?
Jens Spahn wurde im Mai 1980 in Ahaus im westlichen Münsterland (Nordrhein-Westfalen) als ältester Sohn eines katholischen Ehepaares geboren. Er absolvierte das Abitur und anschließend eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Neben seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter studierte er von 2003 bis 2017 an der Fernuniversität Hagen und erlangte dort den Master of Arts in Politikwissenschaft. Seit 2017 ist er mit Daniel Funke verheiratet. Spahns Ehemann ist seit September 2019 Hauptstadt-Büroleiter der Burda Magazine Holding und ist deren Lobbyist.
Wie war die politische Karriere von Jens Spahn bisher?
Jens Spahn war schon in seiner Jugend politisch aktiv. 1995 trat er in die Junge Union, zwei Jahre später in die CDU ein. 2001 wählten 40 Prozent der Bürger*innen in seinem Heimatwahlkreis Borken I den damals 22-Jährigen als Direktkandidat in den Bundestag. Seitdem ist er durchgehend Bundestagsabgeordneter und hatte Posten in verschiedenen Ausschüssen und Gremien inne.
Von 2018 bis 2021 war Spahn Bundesminister für Gesundheit im Kabinett Merkel IV, in dem er auch der jüngste Minister war. 2018 bewarb er sich um den Parteivorsitz der CDU; Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer erhielten allerdings mehr Stimmen und gingen ohne Spahn in eine Stichwahl. Er musste bis 2025 warten, um diese Chance erneut ergreifen zu können. Nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar wählten ihn die Fraktionsmitglieder zum Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Welche Kritik gibt es zu Jens Spahn?
Spahn hatte die undankbare Aufgabe, Gesundheitsminister in der Zeit der Corona-Pandemie zu sein. Die wechselhafte Lage gerade zu Beginn der Pandemie führte deshalb auch zu Aussagen von Spahn, die er später widerrufen musste: „Für übertriebene Sorge gibt es keinen Grund“ oder „Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben“. Die Folgen seines Zögerns waren dann unter anderem eine erst sehr spät eingerichtete Schnelltest-Infrastruktur sowie Impfstoff-Knappheit.
Den größten Patzer leistete sich Spahn allerdings mit der sogenannten „Maskenaffäre“: Er genehmigte zum Beginn der Pandemie Käufe von Millionen von Schutzmasken. So weit, so vernünftig – der Einkaufspreis war allerdings viel zu hoch angesetzt. Außerdem wurden viel zu viele Masken bestellt, über eine Milliarde von ihnen wurden 2023 vernichtet, weil das Verfallsdatum abgelaufen war. Zuletzt kritisierte der Bundesrechnungshof (BRH) Milliarden-Ausgaben an Krankenhäuser, die Jens Spahn in der Corona-Zeit zu verantworten hatte. Geld an Kliniken sei „planlos und abgekoppelt von den tatsächlichen Bedarfen“ vergeben worden.
Weitere Kritik bezieht sich auf möglichen Lobbyismus und brisante Nebeneinkünfte des CDU-Politikers. Auch seine privaten Immobiliengeschäfte, in denen er geschäftliche Verbindungen spielen ließ, zogen in den vergangenen Jahre Aufmerksamkeit auf Spahn. Für die Villa in Berlin-Dahlem, die Spahn und sein Ehemann Daniel Funke vor fünf Jahren erworben haben, haben sie 4,125 Millionen Euro bezahlt. Laut Zeit gehören Spahn zwei Drittel der Immobilie, Funke ein Drittel, so stehe es im Grundbuch. Und nun sorgt auch seine Annäherung an die AfD für Aufsehen.
Spahn und die AfD
Spahn hatte vor seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden dafür plädiert, mit der AfD so umzugehen, wie mit anderen Oppositionspartei auch. Damit handelte er sich die Kritik von diversen Politiker*innen ein, auch aus den eigenen Reihen. Andreas Speit, Gastautor im Campact-Blog, schrieb dazu:
Die CDU/CSU ist dort, wo die AfD sie haben wollte: in dem Disput zwischen den liberal-konservativen und radikal-konservativen Positionierungen. Ein Spahn treibt einen radikalen Kurs voran, Klöckner könnte ihn unterstützen.
Andreas Speit
Denn Spahn ist nicht der Erste, der sich aus der Union heraus der AfD annähert. Die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner fiel im Wahlkampf mit einer merkwürdigen Aussage auf, mit dem sie versuchen wollte, AfD-Wähler*innen zu überzeugen, ihr Kreuz bei der CDU zu machen. Der umstrittene ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen kam einem Parteiausschluss zuvor und gründete eine eigene Partei, die Werteunion, um nach eigenen Angaben die „Lücke zwischen CDU und AfD“ zu füllen. Und mit Erika Steinbach, Vorsitzenden der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, gibt es mindestens eine bekannte Politikerin, die von der CDU direkt zur AfD wechselte.
Spahn und Ruanda
Auch inhaltlich scheint es zwischen der AfD und Spahn Überschneidungen zu geben. Während die AfD in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl offen von „Remigration“ – also von Massenabschiebungen – spricht, hat Spahn 2024 mit einem Besuch in Ruanda Schlagzeilen gemacht. Dort ließ er sich erklären, warum das Land Flüchtlinge aus Deutschland aufnehmen will. Bereits im Dezember 2023 forderte der damalige Unionsvize, irregulär in die EU Eingereiste nach Ghana oder Ruanda abzuschieben. Mit seinen Äußerungen sorgte er damals bereits für Kritik.
Bewunderung für Populisten und Rechtsextremisten
Der Autor Georg Löwisch zeigt auf Zeit Online ein Muster hinter den Äußerungen von Spahn auf. Er gebe sich erzkonservativ, ja – aber immer auch voller Bewunderung für Populisten und Rechtsextremisten. So lobt Spahn die Politik des neuen-alten Präsidenten der USA Donald Trump, wirbt für dessen Außenpolitik, die doch gar nicht ausländerfeindlich sei. Und sucht auch ganz tatsächlich die Nähe zu Trump: Im vergangenen Juli war er beim Parteitag der Republikaner dabei. 2017, in der ersten Amtszeit von Trump, hatte er bereits Gespräche im Weißen Haus, unter anderem mit Stephen Bannon, dem ehemaligen Chef der ultrarechten Website „Breitbart“. Auch andere Berater und Weggefährten Trumps kennt Spahn mittlerweile persönlich: zum Beispiel den umstrittenen PayPal-Gründer und Tech-Milliardär Peter Thiel. Oder Richard Grenell, Ex-Botschafter und aktuellem Sonderbeauftragten der Trump-Regierung, der ein offener Kritiker der deutschen Politik ist.
Strategische Annäherung
Was Spahn laut Zeit-Autor Löwisch tue, sei eine versuchte, strategische Anbindung von rechten Standpunkten an eine gemäßigte Mitte, die bisher keine starke Meinung zu bestimmten politischen Themen habe. Er schlage Brücken zu Extremisten, um ihre Positionen diskussions- und salonfähig zu machen – denn rechte Themen, vor allem eine Abschottung Deutschlands und eine Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik, bestimmen bereits seit Monaten die politischen und gesellschaftlichen Debatten.
Er begründet das damit, die Themen von den Rechtsextremisten zurückholen zu wollen; tatsächlich bedient er aber dieselben Narrative wie sie, nur in einer anderen Verpackung. Eine mögliche Hoffnung, die er haben könnte: Mit dieser thematischen Vorbereitung lassen sich migrationspolitische Themen leichter direkt bedienen, wenn sie aktuell aufkommen. Ein Beispiel dafür ist der Vorschlag von Jens Spahn, Charterflüge und ein Startgeld für syrische Geflüchtete anzubieten, sollten sie in ihr Heimatland zurückkehren. Der Diktator Assad war da noch nicht einen Tag gestürzt.
Eine Frage bleibt: Warum diese Annäherung an die AfD, Herr Spahn?
Warum Jens Spahn das macht? Darüber lässt sich nur spekulieren. Zeit-Autor Löwisch stellt in den Raum, dass es sich um persönliches Machtstreben handeln könnte: „Spahn macht immer, was Macht macht.“
Ob im Parlament, auf der Straße oder im Internet: Rechtsextremismus ist gefährlich und bedroht unsere Demokratie. Campact setzt sich entschlossen dagegen ein – mit Appellen, Demos und Aktionen im Netz.
- Gemeinsam mit Campact fordern bereits über 350.000 Menschen die Prüfung eines AfD-Verbots.
- Mit einer cleveren Kampagne haben wir den rechtspopulistischen TV-Sender AUF1 lahmlegen können.
- Mit viel Geduld konnten wir ein Stiftungsgesetz erreichen, das der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, die staatliche Förderung verwehrt. Alexander Dobrindt (CSU) kann parteinahe Stiftungen von der Förderung auszuschließen – wenn sie verfassungsfeindliche Ideen vertreten. Über 300.000 Menschen fordern bereits von ihm: Kein Geld für die AfD-Stiftung!
- Eine Petition auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, setzte sich dafür ein, dass Rechtsextreme keinen Zugang zum Bundestag erhalten.
- Und in Sachsen hat die AfD bei der Landtagswahl die nötigen Sitze für eine Sperrminorität verpasst.
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