Demokratie Rechtsextremismus
Während des rechten Kongresses „Madrid Economic Forum“ am 8. und 9. Juni 2025 traf der argentinischen Präsident Javier Milei eine klare Aussage: „Wir betrachten den Staat als kriminelle Organisation und in diesem Sinne Steuern als Diebstahl.“ Wenige Tage später teilte Musk diesen Ausschnitt von Mileis Rede bei X. Musk hatte sich von ihm zuvor bereits öffentlich das Symbol für die Zerschredderung des Staates, die Kettensäge, schenken lassen. Was das mit Frauke Petrys neuer Partei „Team Freiheit“ auf sich hat – dazu später mehr.
In seinem Streit mit Trump hatte Musk mit der Gründung einer „American Party“ gedroht. Zu Trumps Gesetz „Big Beautiful Bill“ schrieb Musk am 3. Juni 2025 bei X:
I’m sorry, but I just can’t stand it anymore. This massive, outrageous, pork-filled Congressional spending bill is a disgusting abomination. Shame on those who voted for it: you know you did wrong. You know it.
(Übersetzung: „Es tut mir Leid, aber ich kann es einfach nicht mehr ertragen. Dieses massive, unverschämte, mit Schweinefleisch gefüllte Ausgabengesetz des Kongresses ist eine ekelhafte Abscheulichkeit. Schande über diejenigen, die dafür gestimmt haben: Sie wissen, dass Sie falsch gehandelt haben. Sie wissen es.“)
Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Aktuell recherchiert er unter anderem zum „Libertarismus“ und totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten. Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über seine aktuellen Recherchen und Beobachtungen.
„American Party“ müsse andere Wege gehen
Auch für Rechte in Deutschland kam dieser Streit sehr überraschend. Die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar äußerte sich dazu in einem Interview mit Roman Reher. Für sie ist völlig klar, dass die Neuverschuldung und die Abschaffung der Schuldenbremse „irre“ sei, dass Elon Musk völlig recht habe, dass es so nicht weitergehen könne und es vielleicht den großen Knall bräuchte. Reher gab zu bedenken, vielleicht sei Trump dennoch „unser Mann“. Durch die Zölle und die Neuverschuldung würde er die Wirtschaft und vor allem den Dollar derart ruinieren, dass danach nur noch Bitcoin als Zahlungsmittel möglich wäre.
Eine neue Partei, die die Demokraten und Republikaner aufmische, fände Cotar interessant. Die Partei müsse sich aber auch in ihrer Struktur von den alten Parteien abgrenzen, sonst würde Musks „American Party“ schon sehr bald auch inhaltlich in die alten Strukturen zurückfallen. Damit wäre nichts gewonnen.
Die „Parteiendemokratie“ als Feindobjekt
Die „Parteiendemokratie“ ist denjenigen, die mehr Macht für das Kapital und noch weniger Macht für die Arbeiter*innen wollen, schon sehr lange ein Dorn im Auge. Hans-Olaf Henkel hatte Ende der 1990er Jahre, als er noch Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) war, der „Parteiendemokratie“ den Kampf angesagt. Kurz zuvor war im Bundesrat die „große Steuerreform“ blockiert worden. Der Nationalsozialismus sei lange her, man könne heute wieder mehr Volk-Führer-Strukturen wagen und brauche keine (basisdemokratischen) Parteistrukturen mehr.
Sein Bestreben, eine neue Partei zu gründen, mündete 2013 dank einer Anschubfinanzierung von August Baron von Finck in die Gründung der AfD. Finck fiel bereits damals durch Steueraffären auf und schien den gesamten Staat durch Unternehmen ersetzen zu wollen. Zur Demokratiefeindlichkeit der AfD hatte ich mich bereits im Juli 2013 in meinem AfD-Buch ausführlich geäußert. Ich hatte die Partei damals schon als „konservativ-libertär“ kritisiert – eine Formulierung, die 2025 von Alice Weidel im Gespräch mit Elon Musk übernommen wurde.
Geld soll entscheiden, wer wählen darf
Doch bleiben wir zunächst beim inzwischen verstorbenen Milliardär August von Finck. Der leitende Geschäftsführer von August Baron von Fincks Unternehmen Degussa Goldhandel, Markus Krall, hatte eine Verfassung gegen die Parteiendemokratie entworfen. Demnach solle das allgemeine und gleiche Wahlrecht abgeschafft werden und nur noch diejenigen wählen dürfen, die kein Geld vom Staat erhalten. Zudem sei Parteilosigkeit die Voraussetzung für eine politische Kandidatur.
Letzteres will nun eine „Partei neuen Typs“ umsetzen, deren prominenteste Vertreter*innen aus der AfD stammen: Frauke Petry und ihr Ehemann Markus Pretzell. Petry war lange Zeit AfD-Vorsitzende, schied aber nach einem Machtkampf mit Björn Höcke im Jahr 2017 aus der Partei aus.
„Kemper hat Recht“
2017 war auch das Jahr, in dem ein von der AfD-Parteispitze in Auftrag gegebenes Gutachten zu dem Schluss kam: „Kemper hat Recht“, Björn Höcke sei ein Neonazi. Daraufhin strebte die große Mehrheit des AfD-Parteivorstandes (auch Alice Weidel) einen Parteiausschluss gegen Höcke in die Wege an. Dieser scheiterte letztlich.
Frauke Petry und das „Team Freiheit“
Seit etwa einem Jahr tritt Frauke Petry vermehrt gemeinsam mit dem Antidemokraten Markus Krall in der Öffentlichkeit auf. So nahm sie im September 2024 als Sprecherin am Stuttgarter Bürgergipfel teil, den Markus Krall, Oliver Gorus und Roland Tichy organisiert hatten.
Einen Monat später nahm sie an einer Podiumsdiskussion der Mitgliederversammlung von Kralls Atlas-Initiative teil. Am Freitag, dem 20. Juni 2025, präsentiert sie sich zusammen mit Krall bei einem „Dinner mit Input“ in Kloten, Schweiz. Während des Freiheitssymposiums der Initiative im September 2025 hält sie einen eigenen Vortrag und nimmt am Ende an einer Podiumsdiskussion mit Krall teil. Es kann gut sein, dass ich noch einige gemeinsame öffentliche Auftritte übersehen habe.
Mit ihrem Ehemann Marcus Pretzell und dem Medienunternehmer Oliver Gorus plant Petry nun eine „Partei neuen Typs“, die Liste „Team Freiheit“. Diese ist mit einer Kernforderung Kralls kompatibel: das Verbot einer Parteienzugehörigkeit bei gewählten Politiker*innen. Petry, Pretzell und Gorus verstehen „Team Freiheit“ als eine Art Liste, die Interessierten die Möglichkeit gibt, bei Wahlen anzutreten – allerdings Kandidat*innen und Partei streng getrennt: Kandidat*innen von „Team Freiheit“ dürfen keine Parteimitglieder sein und umgekehrt dürfen Parteimitglieder nicht kandidieren. Oliver Gorus teilt nicht nur diese Forderung von Markus Krall. Er fordert auch mit direktem Bezug auf ihn, dass denjenigen das Wahlrecht entzogen wird, die Geld vom Staat erhalten.
Zumindest am Rande dieser Partei taucht auch immer wieder Joana Cotar auf. Öffentliche Gespräche des „Teams Freiheit“ mit Joana Cotar fanden beispielsweise am 16. Februar 2025 mit einem X-Space statt. Ebenso fand am 30. März, einen Monat später, eine Diskussion zum Thema „Warum wir die Freiheit NUR mit Anti-Politik retten!“ statt. Cotar und Petry waren bereits gemeinsam bei der ARC-Konferenz in London. Gemeinsam mit Krall und Gorus werden sie beim Afuera!-Fest (11.-13.7.) in Regensburg auftreten.
Warum ich so sehr auf Joana Cotar eingehe? Weil sie einen großen Bruder hat.
Musks deutscher Tech-Bro Alexander Tamas
Als Joana Cotar 2021 noch Beisitzerin im Bundesvorstand der AfD und digitalpolitische Sprecherin der AfD-Bundestagsfraktion war, berichtete Der Spiegel, dass ihr Bruder Alexander Tamas ebenfalls in diesem Bereich aktiv war. Es könne zu Interessenkonflikten kommen, da sich Cotar politisch mit künstlicher Intelligenz befasse – einem Feld, in dem auch ihr Bruder investiere. Zudem war er der Kopf hinter einem Investment von 200 Millionen US-Dollar des russischen Unternehmens Digital Sky Technologies (DST) bei der Plattform Facebook gewesen, bei dem auch der russische Staat involviert war. Cotar sprach sich währenddessen gegen eine Regulierung von Plattformbetreibern aus.
Der Spiegel-Artikel erschien im April 2021 und berichtete vor allem über Tamas Tätigkeiten bei der DST. Tatsächlich waren diese sehr umfangreich. Auf der Internetplattform von DST war im September 2010 zu lesen, dass 70 Prozent aller russischen Zugänge ins Internet über DST-Unternehmen erfolgten. DST steckte beispielsweise hinter mail.ru und VKontakte (VK), einer Art russischem Facebook. DST schrieb damals zu ihrem Teammitglied Alexander Tamas:
„Alexander Tamas kam 2008 als Partner zu DST und etablierte die Niederlassung in London, von wo aus er einige der internationalen Aktivitäten von DST leitet. Er ist Mitglied des Vorstands von Forticom, einem der weltweit größten Social-Networking-Unternehmen, und des Vorstands von Mail.ru. Vor DST arbeitete Alexander in der Investment Banking-Abteilung von Goldman Sachs in London, wo er für zahlreiche Technologie- und Internet-Börsengänge in Europa und Russland, Fusionen und Übernahmen im Internet- und Softwaresektor sowie die Beschaffung von Mitteln für wachstumsstarke Unternehmen in ganz Europa verantwortlich war. Vor Goldman Sachs war Alexander Mitbegründer von Arma Partners und half, das Unternehmen zu einem der führenden unabhängigen Technologie-M&A-Beratungsunternehmen Europas mit Niederlassungen in London und im Silicon Valley aufzubauen.“
Tamas war zwischen 2008 und 2011 der Direktor von VK. VK ist heute eines der populärsten Internetportale in Russland mit mehreren hundert Millionen Accounts. Kritisiert wird das ungehinderte Agieren von Neonazis und Rechtsextremisten. Die Ukraine hat VK bereits 2017 gesperrt. 2013 schied Tamas bei DST aus, um sein Vy-Unternehmensnetzwerk zu gründen. Erst ein Jahr nach dem Spiegel-Artikel wurden seine weiteren Aktivitäten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.
Musk 🤝 Tamas
2022 setzte Musk seine Pläne um und übernahm Twitter. Im Juni desselben Jahres veröffentlichte das Magazin „Capital“ einen Artikel von Bloomberg mit dem Titel „Geheimnisvoller deutscher Tech-Investor hilft Musk bei Twitter“. Gemeint war Alexander Tamas. Das von Tamas verwaltete Vermögen soll sich damals auf fünf Milliarden Dollar belaufen haben, wobei eine Milliarde verfügbar gewesen sein soll. Laut Bloomberg stamme ein Teil seines Geldes aus US-amerikanischen Stiftungen. Er sei bei dem Twitter-Deal mit einem Angebot von 700 Millionen Dollar die Nummer drei bei der Übernahme gewesen.
Weiter heißt es bei Bloomberg bzw. Capital, dass Tamas Investmentfirma „Vy Capital“ schon zuvor bei Musks Unternehmen mit Investments eingestiegen sei. So habe er „bereits in Musks Firma Boring investiert. Tamas hat auch Geld in den Raketenhersteller SpaceX des Tesla-Chefs und in das Neurotechnologieunternehmen Neuralink gesteckt. Laut Linkedin absolviert Benjamin Birchall, ein Sohn von Musks rechter Hand Jared Birchall, gerade ein Analysten-Praktikum bei Vy.“ Bei Crunchbase findet sich zudem der Hinweis, dass Vy in Musks KI-Unternehmen xAI (Grok) investiert hat.
Im Netzwerk der Brüder Durov
Im Februar dieses Jahres berichtete das Manager Magazin von dem Versuch einer feindlichen Übernahme von OpenAI (ChatGPT) durch Musk und eine Gruppe verbündeter Investoren. Auch diesmal ist Tamas wieder mit dabei. Die feindliche Übernahme scheiterte.
Tamas beschränkt seine Investitionen nicht auf Musk-Unternehmen. So ist er mit Vy auch bei „The Open Network Blockchain“ (TON) beteiligt. TON wurde ursprünglich von den Brüdern Pavel und Nikolai Durov entwickelt. Sie sind die ursprünglichen Entwickler von VK und der Messaging-Plattform Telegram. Vermutlich hofft Tamas, dass Telegram mit seiner gewaltigen Benutzerbasis von Informationsflüssen zu Finanzströmen umstrukturiert wird. Laut Crunchbase ist Tamas außerdem „Lead Investor“ beim US-amerikanischen Unternehmen Neros Technologies, einem Start-up für automatisierte Militärdrohnen, die jetzt erstmals in der Ukraine erfolgreich getestet werden konnten.
Unternehmen statt Parteien
Ich kenne keine direkte Kooperation zwischen den Geschwistern Joana Cotar und Alexander Tamas. Beide haben bestritten, dass Tamas sie als Bundestagsabgeordnete unterstützt hat.
Wie Musk spricht sich allerdings auch sein Tech-Bro Tamas für eine Deregulierung von Plattformen aus. „Was ich für falsch halte, ist die Idee, dass unsere Social-Media-Plattformen bestimmen sollten, was wir sehen können und was nicht“, wurde er von Bloomberg zitiert. Und hier trifft er sich mit Cotar, die die angebliche neue Freiheit von X abfeiert. Die Forderungen nach „Anti-Politik“ bedeuten in Wirklichkeit, dass Unternehmen an die Stelle von Parteien treten sollen – es handelt sich um antidemokratische Politik.
Kettensäge als neuer Faschistengruß?
Der Einfluss weniger Tech-Bros auf Social-Media-Plattformen, Bezahldienste, künstliche Intelligenz, Gehirn-Computer-Schnittstellen, Kommunikationssatelliten, automatisierte Militärdrohnen und Ähnliches sollte uns konstruktiv ängstigen. Vor allem dann, wenn diese nun auch noch mit „Anti(demokratie)-Politik“ mehr oder weniger direkt auf Wahlen Einfluss nehmen. Die Kettensäge könnte der neue Faschistengruß werden und der „Afuera!“-Schlachtruf das „Sieg Heil!“ eines digitalen Faschismus, der dem postfordistischen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts entspräche.