AfD CDU Ostdeutschland Demokratie Rechtsextremismus Montagslächeln LGBTQIA* Agrar Service Finanzen

Bei der Bundestagswahl 2025 zeigte sich die Jugend politisch so gespalten wie nie zuvor. 26 Prozent der jungen Wähler*innen machten ihr Kreuz bei der Linken, die damit in dieser Altersgruppe ihr mit Abstand bestes Ergebnis erzielte. Auf Platz zwei bei den jungen Wähler*innen: die AfD. Doch was bewegt junge Menschen dazu, eine rechtsextreme Partei zu wählen, deren rückwärtsgewandte Politik insbesondere für ihre Altersgruppe fatal ist? Ob Klimawandelleugnung, Steuervorteile für Reiche oder eine antiquierte Familienpolitik – auf den ersten Blick hat die AfD ihnen wenig zu bieten.

Um zu verstehen, warum die AfD trotzdem so attraktiv für junge Wähler*innen ist, hat der neue Campact-Thinktank Rechtsextremismus (TTRex) gemeinsam mit Forscher*innen vom Progressiven Zentrum (DPZ) eine Analyse initiiert. In ausführlichen Gruppeninterviews hat TTRex junge Menschen befragt, die der Partei bei der Bundestagswahl zum ersten Mal ihre Stimme gegeben hatten. Wer also sind die „Neuen“ unter den AfD-Wählenden – und wie können demokratische Kräfte sie noch erreichen?

Wer oder was ist TTRex?

TTRex, das ist der der neue Thinktank Rechtsextremismus von Campact und der Organisation „Das Progressiven Zentrum“. Er analysiert die rechtsextremen Entwicklungen aus zivilgesellschaftlicher Perspektive, um Strategien für demokratisches Engagement und Ideen gegen Rechtsextremismus zu entwickeln.

Verunsichert und pessimistisch

Eigenheim, Auto, sicherer Job, Familie: Die Lebensziele der meisten von TTRex befragten Neuen sind traditionell-konservativ. Dabei unterstützen viele von ihnen auch progressive politische Positionen, z.B. zu Klima- und Energiepolitik oder Frauenrechten. Wahlentscheidend für sie waren jedoch vor allem die Themen Migration und innere Sicherheit. Auffällig ist: Die Befragten blicken sorgenvoll und pessimistisch in die Zukunft. 

Es ist alles so unklar: Ich fühle mich nicht vorbereitet und gebrieft, was mich in der Zukunft erwartet.

So beschreibt ein Interviewteilnehmer seine Situation. Mehrmals wird die Coronapandemie als negativer Wendepunkt beschrieben – vor allem für das Gefühl von Sicherheit und finanzieller Stabilität. Seitdem befinde sich Deutschland laut den Neuen in einer wirtschaftlichen Abwärtsspirale. Dabei steht diese negative Einschätzung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation im Kontrast zur Wahrnehmung ihrer persönlichen Lage. Während erstere sich zunehmend verschlechtere, berichten viele der Interviewten auf individueller Ebene von Erfolgen und Aufstieg. 

Wünsche: Sicherheit und Stabilität

Gleichzeitig sinkt ihr Gefühl von Sicherheit; sowohl der inneren Sicherheit (z.B. nachts auf der Straße oder bei großen, öffentlichen Veranstaltungen unterwegs zu sein) als auch bezogen auf die persönliche ökonomische und soziale Zukunft (z.B. Vermögensaufbau, Eigenheim, Rente). In diesen Bereichen fühlen sich die jungen Neuen den aktuellen politischen Entscheidungen „ausgeliefert“. Vor diesem Hintergrund verfangen die plumpen AfD-Erzählungen, die diese fehlende Sicherheit und Stabilität mit Migration verknüpfen. 

Auffällig ist dabei, dass für viele Neue „Fairness“ ein zentraler Wert ist. Dabei ist Fairness stark mit Leistung und Arbeit verknüpft: Produktive Leistung legitimiert für die Neuen gesellschaftliche Teilhabe und bringt Anerkennung. Daher überrascht es auch nicht, dass sich viele Neue dafür aussprechen, das Bürgergeld abzuschaffen oder zu begrenzen. Sie definieren ihre Lebensziele vor allem materiell. Diese Ziele – auch durch viel Lohnarbeit – schnell und sicher erreichen zu können, wird als „fair“ empfunden. Doch obwohl einige von ihnen bereits ein paar dieser Wünsche erreicht haben oder auf einem guten Weg dahin sind, stellt sich bei ihnen kein Sicherheitsgefühl ein. 

Radikale Bestandswahrung

Warum also wählen die Neuen eine rechtsextreme Partei – was gefällt ihnen an der AfD? Zunächst gar nicht so viel, wie vielleicht erwartet: Lösungskompetenzen werden der Partei vor allem in Migrationsfragen zugetraut. Ansonsten bescheinigt ein Befragter der AfD sogar “95 Prozent Müllthemen und 5 Prozent ein Thema, das gut ist und das ist eben die Migration.” Viele der Befragten wollen mit der rechtsextremen Wahl ein Zeichen setzen und gegen die Politik der anderen Parteien protestieren, die in ihren Augen viel versprechen, in der Praxis aber enttäuschen. 

Auffällig ist, dass konkrete politische Erfolge und Wahlversprechen, die tatsächlich eingelöst wurden, von den Neuen kaum gesehen oder als anerkennenswert beurteilt werden. Diese politische Frustration passt zum pessimistischen Blick auf die Gesellschaft, in der es vermeintlich immer weiter bergab geht. Viele der Neuen meinen, es sei nur sinnvoll und gerecht, dass – da alle anderen Parteien an der Lösung von Problemen offenkundig gescheitert seien – es nun einmal die Partei versucht, die diese Probleme ohne Umschweife benennen würde, aber bisher nie regieren durfte: die AfD. 

AfD wird als ganz normale Partei gesehen

Darin steckt einerseits Pragmatismus (man müsse ja alle Lösungsangebote mal ausprobieren), aber auch ein spezielles Gleichheitsverständnis (jede*r muss mal regieren dürfen – vor allem, wenn eine Partei so viele Prozente holt). Der Extremismus der AfD schreckt diese jungen Wähler*innen dabei nicht ab: rechtsextreme Äußerungen sind bekannt, werden aber als Einzelfälle relativiert. Die oft rabiate und rassistische Rhetorik der AfD wird stattdessen als ehrlich und direkt geschätzt, besonders bei Parteichefin Alice Weidel. 

Dabei positionieren sich die Neuen oberflächlich gegen Extremismus. Sie wollen selbst nicht „in die rechte Ecke gestellt werden“, praktisch gebe es jedoch überall „schwarze Schafe“ wie etwa Björn Höcke. Eine gewisse Radikalität nehmen sie durchaus in Kauf. Das ist etwas überraschend, da die Ziele und Wünsche der Neuen vor allem auf die Beibehaltung des vermeintlichen Status Quo aufgebaut sind, zum Beispiel durch materielle Statussymbole und wirtschaftliches Ansehen. 

Die Dienstleistungspolitik

Dass sich die Neuen bei der Bundestagswahl für die AfD entschieden haben, ist teilweise auch in ihrem Demokratieverständnis begründet. Politik ist in den Augen vieler Befragter vor allem dazu da, schnelle Ergebnisse in ihrem Sinne zu liefern. Viele verstehen Politiker*innen als Dienstleister*innen. Dieser ungeduldige Blick unterschlägt, wie komplex und kompliziert parlamentarische Prozesse und Koalitionen in der Praxis oft sind. Viele der jungen Interviewpartner*innen verstehen zwar, dass es in Koalitionen Kompromisse geben muss – fühlen sich aber enttäuscht vom politischen Output. Immer wieder zeigen die Neuen ein majoritäres Politikverständnis. Das heißt: Politik sei dazu da, sich auf den Willen der Mehrheit der Bürger*innen zu fokussieren.

Pascal König beschreibt dieses Politikverständnis so: 

Politik soll sich „den Ansprüchen der Gesellschaft stets anpassen und den Bürger:innen soweit wie möglich das geben, was diese zu einem gegebenen Zeitpunkt wollen. Dabei zählt nur das, was die Bürger:innen für richtig halten oder schlicht fühlen. In diesem Sinn überträgt der majoritäre Relativismus eine Art Konsum-Mentalität in die Politik (…)  welche[s] die Komplexität demokratischer Politik verkennt und insofern zu unrealistischen Erwartungen führt.“ 

Entsprechend erwarten einige neue Wählende allein deshalb eine Regierungsbeteiligung der AfD, weil sie in der Bundestagswahl zweitstärkste Kraft wurde. Gründe, warum keine andere Partei mit der AfD zusammenarbeiten will, sind oft nicht bekannt – oder werden nicht verstanden.

Der Weg zurück?

Bei einem Großteil der Neuen scheint es möglich, dass sie in Zukunft wieder für eine andere Partei als die AfD stimmen. Dazu passt, dass das Wahlverhalten junger Menschen insgesamt weniger gefestigt ist, als bei älteren Wähler*innen. Damit die Neuen ihren Weg weg von einer rechtsextremen Partei finden, müssen Politiker*innen ihnen aber gute Gründe dafür geben. So kann das gelingen: 

  • Wofür stehen die Parteien: Die demokratischen Parteien müssen klar kommunizieren, wofür sie stehen – und wie sie ihre Politik umsetzen wollen. Die Union (CDU/CSU) spielt hier eine besondere Rolle, da viele junge AfD-Wähler*innen sich eigentlich ein konservatives Angebot wünschen. Dazu muss die Union sich aber klar nach rechtsaußen abgrenzen. Viele der Interviewten finden es nicht gut, wenn die CDU versucht, wie die AfD zu sein (z. B. in Ankündigungen in der Migrationspolitik), dann aber nicht dieselben Taten folgen lässt (z.B. weil es gegen geltendes Recht verstößt). Solche Versuche stärken die AfD, nicht die Union. 
  • Sorgen ernstnehmen und präsent sein: Viele junge Menschen – auch viele der neuen AfD-Wähler*innen, fühlen sich von der Politik nicht ernst genommen. Dabei sind viele Neue durchaus interessiert an Politik. Sie merken, wer mit ihnen ins Gespräch geht – auf der Straße, beim Feuerwehrfest, im Netz. Wer on- und offline sichtbar und ansprechbar ist, kann Vertrauen aufbauen.
  • Sicherheit herstellen: Vor allem zwei Themen sind für die Neuen wahlentscheidend: Sicherheit und Migration. Wenn es um Migration geht, hat für diese Wähler*innen dabei nur die AfD die richtigen Lösungen. Hier können andere Parteien kein sinnvolles Angebot machen, das von den jungen Wähler*innen nicht als Kopie von oder als Beleg für den Erfolg der AfD gesehen würde. Anders sieht es im Bereich Sicherheit aus. Dabei geht es nicht nur um faktische Sicherheitsmaßnahmen, sondern vor allem um ein emotionales Bedürfnis nach Sicherheit, das auch soziale, familiäre, gesundheitliche und ökologische Faktoren einschließt. 
  • Vertrauen in demokratische Prozesse stärken: Viele Neue wissen nicht genau, wie Regierung und Parlament funktionieren – oder wo Demokratie aufhört und Extremismus beginnt. Dieses Verständnis und das Gefühl, mehr politisch tun zu können, als alle vier Jahre ein Kreuz zu machen, kann gestärkt werden, wenn die Neuen Politik auch im Alltag erleben. Das kann über demokratische Pflichtdienste, Bürger*innenräte oder ehrenamtliche Lokalämter geschehen – im eigenen Wohnort, am Ausbildungsplatz, im Betrieb oder in der Nachbarschaft. 

Die Studie zeigt: Die befragten jungen AfD-Wähler*innen sind durchaus politisch interessiert und offen für Diskussion. Sie wünschen sich Sicherheit, Fairness und Zukunftsperspektiven. Ihre Wahl ist oft Ausdruck von Enttäuschung – nicht nur von Ressentiments. Sie respektieren das politische Geschäft, haben Lust auf eine sichere und gerechte Zukunft sowie auf Dialog und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das macht Hoffnung. 

Lies hier die komplette TTRex-Analyse
TEILEN

Autor*innen

Appelle, Aktionen und Erfolge: Darüber schreibt das Campact-Team. Alle Beiträge

Auch interessant

AfD, Demokratie Erfolg im Bundestag: AfD bekommt keine Ausschussvorsitze Rechtsextremismus Jung und rechtsradikal – mehr als ein Jugendphänomen Demokratie, Digitalisierung Zivilgesellschaft empowern – Campact ist Partner der Republica 2025 in Berlin AfD, Campact, Rechtsextremismus Millionenförderung für parteinahe Stiftungen: Die Hintergründe zur AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung AfD, Rechtsextremismus Der verlogene Antisemit Höcke Demokratie, Digitalisierung „Wir wollen die digitale Demokratie im Vorwärtsgang verteidigen“ Feminismus, Rechtsextremismus Die Lügengeschichten der Väterrechtler Rechtsextremismus Unsere Jugendlichen, die Nachwuchs-Nazis? AfD, Medien, Rechtsextremismus Warum die Öffentlich-Rechtlichen der AfD keine Bühne mehr bieten dürfen Naturschutz, Rechtsextremismus Wie extreme Rechte den Naturschutz unterwandern