LGBTQIA* WeAct
Sie wehte nicht. Am Wochenende zog der Berliner CSD mit mehreren Hunderttausend Menschen durch die Hauptstadt, um für die Rechte queerer Menschen einzutreten. Fast in der ganzen Stadt hingen Regenbogenflaggen – nur nicht am Reichstagsgebäude. Julia Klöckner hielt an ihrer Entscheidung fest, das Hissen der Flagge zu verbieten.
Petition: Die Regenbogenfahne muss zum CSD wehen!
Über 225.000 Menschen haben sich auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, für Diversität starkgemacht.
Mit einer Aktion am Freitag vor dem CSD unterstrichen sie ihre Forderung nochmal in bunten Farben. Am 4. Juli hatte Petitionsstarterin Kira bereits die Unterschriften am Reichtsagsgebäude übergeben.
Klöckner verbietet Regenbogenfahne
Das hatte die Bundestagspräsidentin bereits im Mai verkündet; zudem untersagte sie der queeren Gruppe der Bundestagsverwaltung die offizielle Teilnahme als Laufgruppe am CSD. Ihre Begründung: Die Bundestagsverwaltung müsse politisch neutral bleiben. CSDs würden „eindeutige Erwartungen unter anderem an die Bundesregierung und die Politik im Allgemeinen“ formulieren – es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass man sich diese ganz zu eigen mache.
Natürlich kann man fragen: Warum gerade die Pride-Flagge? Was ist mit anderen? Klöckner führte dieses Argument selbst an: „Dann müsste ich auch die Vatikanflagge hissen“, begründete sie ihre Entscheidung, denn Christen seien „die meistverfolgte Gruppe weltweit“.
Flagge auf dem Reichstag wäre wichtiges Zeichen gewesen
Doch das Argument hält nicht stand – Christen werden in Deutschland nicht verfolgt. Vor allem lenkt es vom eigentlichen Problem ab. Die Übergriffe auf queere Menschen nehmen seit Jahren zu, allein von 2022 auf 2023 um fast 50 Prozent. Viele CSDs finden nur noch unter Polizeischutz statt oder werden wegen rechtsextremer Bedrohungen abgesagt – so wie Anfang des Jahres beim CSD in Schönebeck. Queere Menschen sind die einzige von den Nazis verfolgte Gruppe, die nicht ausdrücklich in Artikel 3 des Grundgesetzes geschützt wird.
Vor diesem Hintergrund die Regenbogenfahne bewusst nicht zu hissen, hat nichts mit Neutralität zu tun. Bei Menschenrechten kann es keine Neutralität geben. Politische Institutionen dürfen nicht schweigen. Die Regenbogenflagge steht für Menschenwürde, Freiheit und Selbstbestimmung. Weht sie auf dem Reichstag, zeigt der Staat, dass er queere Menschen schützt. Sie nicht zu hissen, ist keine Neutralität – es ist ein klares Signal, und zwar nach rechtsaußen.
AfD feiert Klöckner
Und das Signal kommt an. Beifall gibt es vor allem von der AfD. „Frau Klöckner ist die Heldin der Woche“, sagt die sächsische Landtagsabgeordnete Martina Jost. Auch Bernd Baumann, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, jubelt. Die Fahne sei ein „linksgrünes Symbol für immer mehr Buntheit und Diversität“. Er geht noch weiter: „Dass Kanzler Merz sie dabei unterstützt, zeigt: Er lernt weiter von uns.“
Merz und Spahn stimmen ein
Klöckner traf ihre Entscheidung nämlich nicht im luftleeren Raum. Bundeskanzler Friedrich Merz stellte sich demonstrativ hinter sie: Das Parlament sei „kein Zirkuszelt“. Auch Jens Spahn, der konservative Vorzeige-Schwule der Union, sprang ihr bei. „Diese tagelangen Symboldebatten tragen nichts zur Freiheit und Sicherheit von Schwulen und Lesben in Deutschland bei“, zitiert ihn der Tagesspiegel.
Fast ging dabei unter, dass die Regenbogenfahne auch an anderen Bundesgebäuden nicht mehr wehen darf. 2022 hatte die damalige Innenministerin Nancy Faeser (SPD) das Hissen genehmigt. Im selben Jahr wehte die Pride-Flagge erstmals während des Berliner CSDs auf dem Reichstag – auf Anweisung von Klöckners Vorgängerin Bärbel Bas (SPD).
Dobrindt steckt hinter dem Flaggenverbot
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) verschärfte Faesers Regelung dann in diesem Jahr. Seine Vorgabe: Die Regenbogenflagge darf höchstens einmal jährlich gehisst werden, etwa zum IDAHOBIT am 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit.
Darauf berufen sich Klöckner und Merz nun. Es gebe ja bereits einen Tag im Jahr, an dem die Regenbogenflagge wehen dürfe. Das erklärt auch, warum etwa am Arbeitsministerium der eigentlich queerfreundlichen Bärbel Bas in diesem Jahr keine Flaggen wehten.
Zwar nicht am Reichstag, aber woanders: Am Samstag wehte die Regenbogenflagge auf dem Gebäude des Bundesrats an der Leipziger Straße. Hier hat nämlich Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger das Sagen. Die Parade führte direkt am Gebäude vorbei.
Die Union fischt am rechten Rand
Die Vehemenz, mit der die Union das Hissen der Regenbogenflagge blockiert, ist kein Zufall. Es ist eine strategische Entscheidung. Merz, Dobrindt und Klöckner wollen die eigenen Reihen schließen, CDU und CSU klar rechts positionieren und AfD-Wähler*innen zurückholen – auf Kosten queerer Menschen. Dabei wissen sie, dass diese Strategie der AfD mehr nützt als schadet.
Doch ihnen ist es wichtiger, sich von der Ampel und der Merkel-Union abzugrenzen. Dass sie sich dabei inhaltlich und rhetorisch einem homophoben Autokraten wie Viktor Orbán annähern, scheint sie nicht zu stören. Das zeigen Klöckners entschlossene Verteidigung ihrer Entscheidung und die diffamierenden Worte des Kanzlers, der queere Menschen mit seinem „Zirkuszelt“-Vergleich verspottet hat.
Übrigens: Die Regenbogenflagge, die 2022 erstmals auf dem Reichstag wehte, landete danach im Deutschen Historischen Museum – ursprünglich wohl, um den besonderen Moment zu würdigen. Heute scheint sie aus anderen Gründen gut dort aufgehoben: als Erinnerung an die kurze Zeit, in der Deutschland auf dem Weg war, ein wirklich offenes und queerfreundliches Land zu werden.