Feminismus Verkehr
Unterstützung zu der Petition für Sonderwaggons auf change.org kommt unter anderem aus Köln. In einem TikTok-Video spricht eine Userin über negative Erfahrungen. In der Gaststätte ihres Großvaters soll die TikTokerin Daniela P. seit ihrer Kindheit unangenehmen Blicken und Bemerkungen ausgesetzt worden sein, berichtet der Kölner Stadt-Anzeiger. Betroffene kennen so etwas. Was allerdings eine Petition für Sonderabteile in Bus und Bahn gegen Belästigung in gastronomischen Betrieben bewirken soll, bleibt offen. Dabei dürfte sich Daniela P. als Enkelkind des Betreibers in der benannten Gaststätte sogar in einem geschützten Rahmen befunden haben.
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Trennung schützt nicht vor Diskriminierung
Forderungen wie Frauenabteile im öffentlichen Nahverkehr sind nicht dazu geeignet, den öffentlichen Raum sicherer zu machen. Kein Raum kann sicher sein, solange Menschen nicht gleichermaßen auf gesellschaftliche wie wirtschaftliche Ressourcen zugreifen können. Stellen wir uns vor, wir führen getrennte Waggons ein. Was passiert, wenn wir uns die Fahrkarte gar nicht leisten können? Gehen uns die Kontrolleur*innen dann plötzlich nicht mehr rassistisch oder klassistisch an? In Deutschland scheitern jährlich zahlreiche Anträge für Einbürgerung daran, dass Personen wegen Fahrten ohne gültige Fahrkarte angezeigt wurden.
Geschlecht ist hierzulande nach wie vor eine Ursache von Armut. Je intersektionaler die Betroffenheit einer Frau, desto ärmer ist sie: Ist eine Frau zusätzlich trans oder geflüchtet oder Schwarz oder behindert, spitzt sich ihre Lage zu. Und die Mehrheitsgesellschaft ist bereit, sexualisierte Belästigung und Gewalt gegenüber mehrfach betroffenen Frauen eher zuzulassen als gegenüber weißen cis-heterosexuellen Frauen. Nicht nur in Bus und Bahn, sondern überall.
Entspannung für die Täter*innen
Wir bleiben aber bei der Vorstellung, dass es die isolierten Abteile gibt und wir uns die Fahrkarte leisten können. Was passiert, wenn wir auf der Haltestelle belästigt werden? Welche Türen und Wände schützen uns vor möglichen Angriffen oder unangenehmen Erfahrungen auf dem Weg nach Hause, nachdem wir aus dem Bus oder der Bahn ausgestiegen sind? Nicht jede Haustür befindet sich direkt an einer Haltestelle.
Wie gehen wir mit Belästigung am Arbeitsplatz um – indem wir die Büroräume aufteilen? Was ist mit Schulen, Universitäten, privaten Kursen? Mit Kinos, Clubs, Restaurants, Parks, Sportanlagen, Supermärkten oder Einkaufszentren? Schließen wir die Betroffenen sowie potenziell Betroffene so nicht aus dem öffentlichen Leben aus – und bestrafen sie damit? Und dann auch noch aus dem Grund, dass sie möglicherweise Opfer werden können. Diese Art der Segregation führt nicht dazu, Gewalt zu überwinden, sondern vielmehr erleichtert sie die Umkehr des Täter*innen-Opfer-Verhältnisses. Was, wenn sich eine Person gegen den isolierten Bereich entscheidet und dann belästigt wird. Hat sie das dann gewollt oder verdient? Die (potentiellen) Täter*innen könnten sich entspannt zurücklehnen und die in der Petition geforderten lila-farbenen Schilder, die über Konsens aufklären sollen, ignorieren.
Segregation ist nur eine Schein-Lösung
Betroffene zu isolieren ist keine Lösung gegen sexualisierte Belästigung oder Gewalt. Es wirkt nicht besser als ein schlechtes Pflaster auf einer eiternden Wunde: Das löst sich innerhalb von Minuten, und man kann sich nur ärgern, weil man sich verarscht fühlt. Was sich ändern muss, ist vielmehr die Kultur, in der übergriffiges Verhalten gesellschaftlich toleriert wird. Eine neue Kultur können wir allerdings nicht aufbauen, indem wir Betroffene aus dem öffentlichen Leben verbannen und zur Unsichtbarkeit verdammen. Wir können das nur durch mehr Sichtbarkeit und Handlungsmacht.
Wir können und wollen nicht jeden Raum nach Geschlecht trennen – uns steht jeder öffentliche Raum zu. Anstatt unsere Energie mit Scheinlösungen zu verschwenden, sollten wir nachhaltiger handeln und fordern, dass sexualisierte Belästigung und Gewalt überall zur gesellschaftlichen roten Linie werden. Wie schafft man das?
Zivilcourage und Gegenwehr belohnen
Beispielsweise mit einer Prämie für Zivilcourage. Betroffene fühlen sich oft allein, weil sich kaum wer einmischt – obwohl Belästigung vor den Augen aller stattfindet. So eine Prämie sollte keine Auszahlung an die Person sein, sondern stattdessen eine emotionale Belohnung, wie zum Beispiel eine Spende an eine zivilgesellschaftliche Organisation ihrer Wahl. Zivilcourage unterstützt nicht nur sofort die Betroffenen, sondern zeigt allen Anwesenden eindeutig, wo die gesellschaftliche rote Linie liegt.
Zudem müssen Medien viel mehr aufklären. Wir brauchen Journalist*innen, die sich gut mit dem Thema auskennen und auf dem Laufenden sind; wir brauchen Gender-Ressorts in allen Redaktionen. Wir brauchen gesellschaftlichen Druck – nicht auf Frauen, die Bahn fahren wollen, sondern auf Politiker*innen, die Sexismus verharmlosen: Mails, Anrufe, Social-Media-Kampagnen, Podiumsdiskussionen, Bürger*innen-Foren, Petitionen, Artikel, Podcasts und mehr. Wir brauchen Richter*innen aus der Mitte der Gesellschaft statt wie bisher aus dem Elfenbeinturm – Richter*innen, die wissen und verstehen, welche Dimension das Problem hat und mit ihren Urteilen nicht zum Problem, sondern zur Lösung beitragen.
Kürzer gesagt: Wir müssen unsere Forderungen nach oben richten, wenn wir eine wahre, nachhaltige positive Veränderung herbeiführen möchten.