AfD Rechtsextremismus Wahlen
Die Kommunalwahl war mehr als eine lokale Abstimmung. In Nordrhein-Westfalen (NRW), dem bevölkerungsreichsten Bundesland, gilt sie als Stimmungsbarometer für die Bundespolitik. Es war der erste Test für die schwarz-rote Bundesregierung unter Friedrich Merz (CDU). Das Ergebnis: Die AfD konnte am 14. September 2025 ihren Stimmenanteil im Vergleich zur Kommunalwahl 2020 mehr als verdreifachen – von 5,1 Prozent auf über 15 Prozent.
Der Landesverband unter Führung von Jan Bollinger, der zugleich Landtagsfraktions- und Landesvorsitzender ist, feierte diesen Erfolg: „Gegen alle Hetze des Brandmauer-Kartells“ seien sie nun „die zweitstärkste Kraft in Deutschland“ erklärte der Landesvorstand und versichert: „Das war nur der Anfang“.
Ministerpräsident Wüst zeigt sich besorgt
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der Wahlsieger, äußerte sich besorgt über das Ergebnis. Die CDU erreicht mit 34 Prozent zwar den Wahlsieg, doch das Ergebnis ähnelt dem historischen Tiefstand von vor fünf Jahren. Damals erreichte die CDU 34,3 Prozent. Im ARD-„Bericht aus Berlin“ sagte Wüst: „Dieses Ergebnis muss uns zu denken geben, kann uns auch nicht ruhig schlafen lassen. Selbst meine Partei nicht, die diese Wahl so klar gewonnen hat“.
Zwei Parteien räumten derweil ihre Wahlniederlagen ein. Die SPD verlor über zwei Prozent, sie kam auf 22,1 Prozent. Die Grünen büßten sieben Prozentpunkte ein und fielen auf 13,5 Prozent. SPD-Politikerin Bärbel Bas forderte, die SPD müsse „wieder die Politik (…) machen“, „die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bewegt“. Die Investitionen, die auf Bundesebene für die Kommunen vereinbart worden seien, müssten schnell umgesetzt werden, betonte die SPD-Bundesarbeitsministerin und Parteivorsitzende aus NRW.
Grünen-Bundesvize Felix Banaszak sah die Verluste seiner Partei nicht allein in der schleppenden Umsetzung von Vorhaben begründet. Eine „ökologische, progressive Politik hat es gerade schwer“, sagte Banaszak im WDR. Und der Grünen-Bundestagsabgeordnete aus NRW sagt weiter, dass sich die grundsätzlich politische Verschiebung auch in Wahlen bemerkbar mache. Der Zugewinn der Linken auf 5,6 Prozent (+ 1,6 Prozentpunkte) dürfte die Annahme nicht unterminieren.
Kommunalwahl in NRW zeigt: AfD auch in Westdeutschland stark
Im Gegenteil: In NRW waren 13,7 Millionen Menschen wahlberechtigt – mehr als in allen ostdeutschen Bundesländern zusammen. Die AfD hat sich längst auch in den westdeutschen Ländern etabliert. Dennoch liegt der Fokus in der Diskussion über die Partei immer wieder auf dem Osten. Diese Fixierung ignoriert die wachsende Unterstützung im Westen.
Keine Frage: Über 30 Prozent in einem ostdeutschen Parlament hat eine andere parlamentarische Dimension als 18 Prozent in einem westdeutschen Parlament. Die Antwort kann aber nicht sein, den stärkeren Zuspruch in Realzahlen zu ignorieren. In Hessen wählten 2023 518.763 Wahlberechtigte die AfD (18,4 Prozent), in Thüringen 2024 396.711 (32,8 Prozent).
Kein „Wir haben verstanden“
Nach der Kommunalwahl blieb ein Satz aus: „Wir haben verstanden!“. Stattdessen sprach der Wahlsieger der CDU, Hendrik Wüst, von einer „Herausforderung“ für „alle demokratischen Parteien“. Er reduzierte die komplexen Sorgen und Unsicherheiten in der Gesellschaft auf zwei Themen, die oft gemeinsam diskutiert werden: Zuwanderung und Sozialleistungen.
„Was sind die richtigen Antworten in Sachen Armutsmigration? Sind alle Teile unserer Sozialsysteme wirklich gerecht?“ fragte Wüst vermeintlich offen. Politik und Medien verhandeln diese Fragen seit Monaten. In den einzelnen Themenfeldern wird eine regressive Politik getreu dem Motto „Grenzen dicht“ oder „Bürgergeld erhalten die Falschen“ forciert. Humane Einwanderungsregeln und soziale Gerechtigkeitsvorstellungen werden oft als „ideologisch“ oder als „neidisch motiviert“ abgetan. Eine ernsthafte Debatte über Reformen in der Einwanderungs- oder Steuerpolitik bleibt aus.
Kältestrom
Diese Vereinfachung des Diskurses führt zu einer gefährlichen Dynamik. „Die Fremden“ und „die Faulen“ werden als Ursache der Probleme dargestellt – und zugleich als Lösung, wenn man sie entfernt. Drei Tage vor der Wahl brachte ein Gast in der Kulturwerkstatt Oberhausen diese „Sündenbockpolitik“ auf den Punkt: „Es wird immer kälter im Land“. Dieser Kältestrom, das Schwinden von Empathie und Solidarität, wird durch die Verschiebung von sozialpolitischen Konflikten hin zu kulturpolitischen Kämpfen beschleunigt. Die AfD ist nicht allein für diese gesellschaftliche Kälte verantwortlich. Sie profitiert aber von ihr.