AfD Demokratie Ostdeutschland Rechtsextremismus
Es ist eine fatale Normalisierung des Rechtsextremismus. Am kommenden Sonntag findet im sächsischen Meißen die Neuwahl des Oberbürgermeisters statt. Ein Kandidat aus der Neonazi-Szene, der durchaus Chancen auf das Amt hat, wird in weiten Teilen der Stadtgesellschaft, darunter in der Lokalpresse und auch bei der örtlichen CDU-Landtagsabgeordneten, behandelt wie jeder andere: René Jurisch, bis 2001 Mitglied der NPD, tritt als parteiloser Kandidat für die AfD an. Nach Tim Lochner im sächsischen Pirna, der Ende 2023 gewählt wurde, wäre Jurisch der zweite Oberbürgermeister in Deutschland, der auf dem Ticket der AfD ins Amt kommt.
Die Schwarze Sonne als Tattoo auf dem Oberarm
Jurisch war Gründer eines „Vereins zur germanischen Brauchtumspflege Schwarze Sonne“ und leitete diesen bis zur Auflösung 2006. Am linken Oberarm trägt er ein Tattoo mit der schwarzen Sonne. Das Symbol ist eine Erfindung esoterischer Kreise der SS unter Heinrich Himmler. Heute ist es in der Neonazi-Szene Ersatz für das verbotene Hakenkreuz, wie die taz in einem Vorbericht zur OB-Wahl erläutert.
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Maria Fagerlund vom Verein „Buntes Meißen“ hält Jurisch für einen „waschechten Neonazi“, wie sie dem MDR sagte.
Antifa-Flyer in Briefkästen
Wie ein Aktivist auf BlueSky dokumentierte, verbarg Jurisch die verbotene Sonne auch bis in die jüngste Vergangenheit nicht. „Die Zukunft Meißens als freundliche, weltoffene Stadt und Gastgeberin steht auf dem Spiel“, warnten Antifaschisten in einem Flyer, der auch in Briefkästen verteilt wird, vor der Wahl eines „nachgewiesenen Faschisten“ an die Spitze der Stadt.
„Rene Jurisch ist ein Rassist“, heißt es in der Information über den Kandidaten weiter. Dokumentiert wird ein Facebook-Chat, in dem einer schreibt: „Kann mich noch an Zeiten erinnern, da hat kein Ausländer im Osten die Backen aufgeblasen, die liefen in der Spur. Da reichten 5 Mann in Springerstiefeln, wo ist sie hin die gute alte Zeit…“ Jurisch kommentierte dazu: „Wir holen uns unser Land zurück.“ Und: „Daher müssen wir jetzt tätig werden.“
Früher Mitglied der NPD
Mitglied der AfD darf Jurisch wegen seiner NPD-Vergangenheit nicht werden. Aber die Spitze der rechtsextremen Partei unterstützt die Kandidatur des Neonazis nach Kräften. Für ein Sommerfest Ende August mit Hüpfburg, Kinderschminken und Country-Band gewann der Oberbürgermeister-Kandidat zahlreiche AfD-Funktionäre, darunter den Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla und den Landesvorsitzenden Jörg Urban. „Politik hautnah, ehrlich, bürgernah und ohne Umwege“, hieß es in der Einladung.
Befeuert wird die Stimmungsmache auch vom rechtsextremen „Compact“-Magazin. Es schickte ein Team nach Meißen, produzierte eine 18-minütige Videoreportage zur Jurisch-Kandidatur, drehte ohne Genehmigung auf dem Privatgrundstück des Weinguts Schloss Proschwitz und nutzte im Film auch das Logo der Porzellanmanufaktur Meissen mit den gekreuzten Schwertern. Sowohl das Weingut als auch die Porzellanmanufaktur wehrten sich. Jurisch derweil schwärmte auf seiner Homepage vom „freien Journalismus hautnah, […] ohne Filter und Vorgaben“.
Befreundet mit CDU-Landtagsabgeordneter
Dass die rechtsextreme AfD mit einem Neonazi punkten möchte, ist kaum verwunderlich. Verstörender ist, dass zumindest Teile der Meißener Stadtgesellschaft dabei mitziehen. Eine herausragende Rolle nimmt dabei die örtliche CDU-Landtagsabgeordnete Daniela Kuge ein, die seit Jahren ein freundschaftliches Verhältnis zu Jurisch pflegt. 2018 postete sie auf Instagram eine Serie von gemeinsamen Fotos: „Heute habe ich mit dem Meißener Unternehmer René Jurisch mit und vor allem für die Kinder der Arche gekocht und über 35 Kinder satt bekommen.“
Freundschaftlich chattete Kuge an Pfingsten 2022 auf Facebook mit Jurisch und der damals frisch gewählten CDU-Kreischefin Bianca Wunderwald. Auch das war ein äußerst verräterischer Dialog, der hier in einigen Auszügen wiedergegeben wird. Jurisch an Kuge: „Wenn du jetzt noch in der richtigen Partei wärst…“ Wunderwald an Jurisch: „Ist sie doch.“ Jurisch: „Ich habe dazu eine andere Ansicht.“ Kuge an Jurisch: „Hab Euch beide lieb!“ Jurisch: „Wir Dich doch auch.“
Seit Juni 2024 ist Jurisch Stadtrat in Meißen; die AfD stellte ihn als Kandidaten ohne Parteizugehörigkeit auf. Rund ein Viertel aller Bürger*innen von Meißen, die für die AfD in der Stadtratswahl abgestimmt hatten, wählten Jurisch. Er sitzt seitdem im Stadtrat und im Kreistag.
Kuge und Jurisch: Gemeinsam gegen einen Verein
Nur folgerichtig war vor diesem Hintergrund, dass Kuge mitzog, als die AfD in Meißen unter Federführung von AfD-Stadtrat Jurisch mit Unterstützung von Teilen der CDU im Frühjahr 2025 gegen die staatliche Förderung des Vereins „Buntes Meißen“ vorging. Der Verein ist eine wichtige Anlaufstelle für Geflüchtete, indem er unter anderem Sprachkurse vermittelt und bei Behördengängen unterstützt.
Die CDU-Politikerin Kuge hatte das Vorgehen gegen den Verein mit einer parlamentarischen Anfrage an die sächsische Staatsregierung mit vorbereitet, in der sie einen Überblick über die Fördermittel verlangte. Sie nehme damit ihre „Kontrollfunktion“ wahr, erläuterte Kuge. Mit Blick auf Jurisch sagt sie heute, in der Kommunalpolitik gehe es ihr nicht um „politische Gesinnung“.
Unter anderem unter Hinweis auf die „völlig naive“ CDU-Landtagsabgeordnete Daniela Kuge hatte der Antifaschist und Aktivist Andreas Vorrath schon 2015 in einem „Tagesspiegel“-Interview gesagt, der Landkreis Meißen sei „Pegida-Kernland“. Die CDU sei hier „völlig verwoben mit diesen Strukturen, mit Pegida, AfD und Co. Die CDU im Landkreis Meißen ist schlicht und einfach explizit antidemokratisch eingestellt.“
Die Lokalpresse bagatellisiert die Biografie
Hilfreich bei der Relativierung der Neonazi-Vergangenheit von Jurisch ist auch das dominierende Lokalblatt „Sächsische Zeitung“. Es unternahm mit dem Rechtsextremisten – so wie auch mit seinen beiden Mitbewerbern – einen Stadtspaziergang. Die veröffentlichte Reportage dazu lief unter der Überschrift „OB-Kandidat mit Unternehmerblick und Vergangenheit“. Jurischs frühere Mitgliedschaft in der NPD kommt zwar kurz zur Sprache, Jurisch darf sie als „eine Jugendsünde“ bagatellisieren. Lange Passagen in dem Porträt sind PR für Jurisch, der sich Meißen „jünger, frischer und auch mutiger“ wünscht: „Eine Stadtverwaltung ist der Dienstleister für die Bürger und die Unternehmer, ein Ermöglicher, nicht ein Verhinderer.“ Das von Ines Mallek-Klein verfasste Porträt endet mit der Erwartung, dass „ausnahmslos“ alle Meißener „mehr mitgestalten dürfen – wenn er OB ist“.
Die Grünen-Kreischefs Elke Siebert und Frank Buchholz sagen, Jurisch werde von der Lokalzeitung unkritisch als „vermeintlich moderater Unternehmer und heimatverbundener Bürger“ porträtiert, die „problematische ideologische Ausrichtung des Kandidaten“ werde so „verschleiert“. Siebert und Buchholz sprechen von einer „breit angelegten Strategie der AfD“, die mit lokalen Erfolgen eine „blaue Welle“ etablieren und kritische zivilgesellschaftliche Akteure einschüchtern wolle.
Ulf Mallek, früherer Lokalredakteur der „Sächsischen Zeitung“, verteidigt in einem Blog die Arbeit seiner Ehefrau als „ganz normalen journalistischen Text, kein Heldenporträt, man spürt die Distanz, aber auch kein Beitrag mit Schaum vorm Mund geschrieben vor lauter aktivistischen Übereifer, das böse Tun der AfD zu entlarven“. Er zitiert eine anonyme Stimme, laut der die AfD „endlich mal“ ernst genommen werde als Teil des politischen Systems: „So etwas hatte er bislang beim Studium der Zeitung vermisst.“ Jurisch derweil lehnte ein Gespräch mit dem MDR über seine Vergangenheit und seine politischen Ziele ab.
Breites Bündnis nominiert Gegenkandidaten
Sören Skalicks, Kreisrat der Linken, weist auf die Wahlerfolge der AfD in den vergangenen zehn Jahren im Landkreis Meißen hin – mehr als 32 Prozent bei der Kreistagswahl 2024, zweistellige Zuwächse bei Landtagwahlen, Europawahl und zuletzt auch der Bundestagswahl 2025. „Diese Entwicklung unterstreicht, wie dringend es ist, demokratische Werte aktiv zu verteidigen und den sozialen Zusammenhalt in unserer Region zu stärken.“ Mit Jurisch würde das Gegenteil geschehen, dieser könne „mit seiner Biografie nicht glaubwürdig für demokratische Werte stehen“. Rechtsextreme Vergangenheit und heutige Nähe zu dem als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD-Landesverband seien mit dem Amt des Oberbürgermeisters unvereinbar.
Neben Jurisch treten für die Nachfolge des seit 2004 amtierenden Olaf Raschke der FDP-Politiker Martin Bahrmann und der parteilose Markus Renner an. Bahrmann hatte bereits bei der vergangenen OB-Wahl 2018 mit einem achtbaren Ergebnis kandidiert. Renner, Finanzbürgermeister in der Stadt, wird von einem breiten Bündnis unterstützt, zu dem – unabhängig von den freundschaftlichen Kontakten der CDU-Landtagsabgeordneten Kuge zu Jurisch – auch der CDU-Stadtverband gehört. Die Demokratie hat auch in Meißen ihre Chance. Notfalls, falls kein Kandidat am Sonntag die absolute Mehrheit erringt, beim zweiten Wahlgang am 28. September.