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Was sind eigentlich die Baseballschlägerjahre?

Die Baseballschlägerjahre – ein Relikt der 90er? Skinheads und Springerstiefel sind vielleicht Geschichte, doch rechte Gewalt bleibt. Woher stammt der Begriff und was zeichnet ihn aus?

Mann mit Bomberjacke und Baseballschläger (Symbolfoto)
Mann mit Bomberjacke und Baseballschläger (Symbolfoto). Foto: IMAGO / Rüdiger Wölk

Die „Baseballschlägerjahre“ – was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Er wird oft genannt, wenn es um rechtsextreme Gewalt und deren Folgen geht. Viele, die heute im Internet oder in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, kennen den Begriff, haben ihn aber nie erklärt bekommen oder haben damals noch nicht gelebt. Dabei ist die Erinnerung an diese Zeit so wichtig, auch und gerade mit Blick auf unsere gemeinsame Zukunft in Deutschland.

Nicht nur eine Subkultur

Die Baseballschlägerjahre bezeichnen eine Zeitspanne in den 1990ern, in der es besonders viele Vorfälle extremer rechter Gewalt gab – vor allem, aber nicht nur in Ostdeutschland. Der Journalist Christian Bangel soll den Begriff 2019 geprägt haben, als er Twitter‑Nutzer aufforderte, über Erfahrungen mit rechtsextremer und rassistischer Gewalt in dieser Zeit zu berichten.

Und davon gibt es viele, gerade aus der direkten Nachwendezeit. In den Neunzigern wuchs die rechte Szene in Ostdeutschland und bundesweit, viele Jugendliche wurden zu sogenannten Skinheads. Ihr Markenzeichen: Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel. Dieses stereotype Bild eines „Neonazis“ entstand damals. Heute ist es überholt, denn rechte oder extremistische Ideen finden sich auch in anderen Subkulturen. Wie Du rechte Styles und Ästhetiken erkennst, erfährst Du hier.

Doch es geht nicht nur um den Look oder einen bestimmten Style, um sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen. Viele dieser Gruppen machen ihre rechten Ansichten laut und sichtbar. Das zeigt sich vor allem in gewaltsamen Übergriffen – gegen alle, die nicht in ihr enges, rechtsextremistisches Weltbild passen. Oder auch gegen die, die sie für ihre Probleme verantwortlich machen.

Es begann mit Hoyerswerda

Die Wut und der Hass gegen „Andere“ wurden Ende September 1991 in Hoyerswerda, Sachsen, deutlich sichtbar. Schlägertrupps aus Dutzenden Menschen griffen ein Wohnheim für Vertragsarbeiter sowie ein Flüchtlingswohnheim an. Bis zu 500 Personen sollen vor den Heimen gestanden und sich an den Angriffen beteiligt haben. Die Polizei griff nicht ein. Es war der erste Vorfall dieser Art in der frisch vereinten Bundesrepublik, der medial große Aufmerksamkeit erfuhr. Doch er blieb nicht der letzte.

Es folgten der Brandanschlag auf das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen im August 1992, der Mordanschlag von Mölln, der sich Ende November zum 32. Mal jährt, und der Brandanschlag von Solingen 1993. Diese Taten sind die extremen Auswüchse der Gewalt der Baseballschlägerjahre. Die Gewalt zeigte sich auch im Kleinen, in alltäglichen Situationen: in und vor den Schulen und Jugendtreffs, bei Konzerten und anderen kulturellen Veranstaltungen – oder auch einfach an einem ganz normalen Nachmittag in der Fußgängerzone.

Trigger-Warnung: In den folgenden Abschnitten lassen wir Opfer rechter Gewalt zu Wort kommen. Wenn Dich das Thema trifft oder Du Schwierigkeiten mit expliziten Beschreibungen von Gewalt hast, dann ist der nächste Abschnitt des Beitrags eventuell nichts für Dich. Springe hier zum Abschluss des Textes oder informiere Dich stattdessen weiter auf unserer Themenseite Rechtsextremismus.

Angespuckt, gejagt und geschlagen

Natürlich gab es auch schon vor und nach Christian Bangel und seinem Twitter-Aufruf Menschen, die über rechtsextreme Gewalt gesprochen und berichtet haben. Die kurzen Geschichten und Erzählungen in damals maximal 280 Zeichen zeigen anschaulich, wie häufig und regelmäßig rechtsextreme Gewalttaten während der Baseballschlägerjahre vorkamen. Ein paar dieser tausenden Geschichten und Tweets möchten wir hier zitieren.

Westen: In den späten 80igern/frühen 90igern ging man nicht in den Stadtteil Essen-West. Bunte Klamotten oder ein Button mit ’ner Friedenstaube konnten ausreichen, die Naziskins zu „provozieren“. Einzeln harmlos, in der Gruppe extrem gewaltbereit. #baseballschlaegerjahre

Ich stamme aus einem kleinen bayerischen Dorf, aufgewachsen in den 90ern und 2000ern. Wurde von Nazis geprügelt weil ich hiphopper war. Haben hart zurückgeschlagen, weil wir irgendwann viel mehr waren. Heute sind es familienväter, haben haus gebaut. Kinder labern gleiche scheisse

Von einer Horde Skins mit Baseballschlägern quer durch die Stadt gejagt worden, weil mein buntes Techno-Outfit mich in ihren Augen zur „schwulen Zecke“ machte.

Plauen 90er, gab einen Jugendclub „Schuldenberg“. Dieser wurde regelmäßig von Nazis überfallen. Alles komplett zerlegt, mehrere Verletzte. Polizei blieb untätig, da in #Plauen keine #Naziszene. Irgendwann stellte sich heraus: Anführer der #Nazis war Sohn des Plauener Polizeichefs

Von Nazis im Zug „aus Spaß“ Waffe an den Kopf gehalten bekommen. Freund wurde wegen langer Haare zusammengeschlagen, Polizei meinte nur, er hätte mit der Frisur ja provoziert.

Queers und alternative Subkulturen gehörten und gehören seit den Baseballschlägerjahren zu den Zielgruppen, die unter rechter Gewalt litten und leiden – genauso wie People of Color oder Obdachlose.

#baseballschlaegerjahre Wenn deine schwarze Freundin auf dem Weg in den Kindergarten angespuckt wird. Und scheinbar niemand sich daran stört, weil es „ganz normal“ ist.

Die Nazis, die einen Obdachlosen mit dem Moped totgefahren haben. Direkt im Hausdurchgang nebenan. #baseballschlaegerjahre

90er, ländliches Sachsen. Einziger Halb-Ausländer. In der Grundschule mit Mittelschule. Oft Prügel von älteren auf Schulklos, dann blutig und mit Hämatomen zum Erzieher „du musst auch was getan haben, wenn die dich verprügeln“. Ich, das „Dönerkind“. Das hab ich getan.

Damals, an Silvester, 98? Als die Glatzen mit Auto um uns fuhren, Böller warfen, „Wir vergasen Euch, ihr Zecken!“ riefen. #Brandenburg Als es normal war, dass die Schuldisko hinter abgeriegelten Türen m Polizeischutz stattfand. Weil die Bomberjackenjungs gg. die Tür donnerten.

Die Baseballschlägerjahre – Geschichte und vorbei?

Die 1990er sind vorbei, und damit der Zeitraum, der heute rückblickend als Baseballschlägerjahre bezeichnet wird. Aber heißt das auch, dass der Rassismus und Rechtsextremismus der Vergangenheit angehören? Leider nicht. Denn natürlich sind die allermeisten Täter*innen und Mitläufer*innen aus dieser Zeit nicht einfach weg, sie sind nur älter, zum Teil Eltern oder auch schon Großeltern, und Teil der Gesellschaft. Axel Salheiser und Matthias Quent schreiben in „Rechtsextremismus zwischen Normalisierung und Konfrontation“ dazu:

Die Bomberjacken-Skinheads und ‚Reenies‘ der 1990er-Jahre sind heute fast bieder wirkende Eltern, die im Alltag wenig auffallen, aber ihre Kinder zu asylbewerber:innenfeindlichen Demonstrationen oder ‚Spaziergängen‘ gegen die angebliche ‚Corona-Diktatur‘ mitnehmen – oder in der lokalen Nachbarschaftsgruppe auf Facebook oder auf Instagram mit Shirts von Rechtsrock-Bands posieren, wahlweise Katzenbilder oder rassistische Slogans posten.

Aus Salheiser/Quent: „Rechtsextremismus zwischen Normalisierung und Konfrontation“

Anmerkung der Redaktion: Der Begriff „Reenies“, auch „Renees“, bezeichnet rechte Skinhead-Frauen.

Rechtsextreme Ideen sind nicht verschwunden. Im Gegenteil: In Ostdeutschland und anderen Teilen Deutschlands durchdringen rechtes Gedankengut den Alltag, das Internet und die Politik. Rechte Gewalt kehrt zurück – nicht durch uniforme Mobs oder Schlägertrupps, sondern in Gewalttaten von Einzeltätern, die online radikalisiert wurden. Sie begehen Hassverbrechen gegen Politiker*innen oder Angriffe auf Queers und Pride-Paraden. Andreas Kemper zeigt in diesem Beitrag, wie tief rassistisches Denken, teils mit Wurzeln in der NS-Zeit, in der Gesellschaft verankert ist.

Doch wir sind dem nicht hilflos ausgeliefert: Wenn progressive Kräfte zusammenstehen, können sie viel bewirken. Informiere Dich in diesen Blog-Beiträgen darüber, wie Du rassistische Aussagen konterst und antisemitischen Mythen begegnest.

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