Feminismus Globale Gesellschaft Rechtsextremismus
Seit der rechte Aktivist und Podcaster Charlie Kirk ermordet wurde, steht seine Ehefrau Erika Kirk im Rampenlicht. Wenige Tage nach dem Mord wurde sie zum CEO von „Turning Point USA“ – der Organisation, die ihr Mann gründete und führte. Sie möchte seine Arbeit fortführen und ihn „stolz machen“.
Bei der Gedenkveranstaltung im Stadion von Glendale, Arizona, sprach sie vor mehr als 60.000 Menschen. Sie erzählte von der Beziehung zu ihrem Ehemann, wie Ehen aussehen sollten, welchem Zweck sie dienen und wie eine Frau zu sein habe. Ihre Ideale verkörperte Erika Kirk auch optisch: konservative Weiblichkeit, verziert mit genug Glitzer und Gold-Bling-Bling. Maßgeschneiderte Kleidung in Barbie-Eleganz. Anmutig und scheinbar nachsichtig erklärte die Witwe, sie vergebe dem mutmaßlichen Täter.
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Inszenierung bis ins Kleinste
Das ist sehr klug. Die ganze Welt spricht seitdem über ihre Großzügigkeit – und wie christlich das sei. „In einem Milieu, das auf Härte, Kampf und Rache fixiert ist, stellt sie den Glauben gegen den MAGA-Reflex“, schreibt beispielsweise Die Zeit. Dabei baut Erika Kirk ihre Rhetorik auf einer Tradition auf: Als weiße Frau inszeniert sie sich als Gegenstück zu den Männern in ihrem Milieu. So beweist sie, dass sie eine weiße Frau ist.
Das untermauert sie in ihrer Rede mit klar an Frauen und Männer gerichteten Aufrufen. Sie baut ihr Image Schritt für Schritt auf. Die Geste der Vergebung ist Teil der zirkusähnlich großen, bunten, lauten und pompösen Inszenierung seit der Ermordung von Charlie Kirk.
Rechte wussten den Mord an Charlie Kirk von Anfang an gut zu melken. Noch bevor es einen Tatverdächtigen gab, beschuldigten Republikaner*innen demokratische Kräfte, schürten Hass und drohten mit Vergeltung. Kurz später erklärte US-Präsident Donald Trump „die Antifa“ zur Terrororganisation. Wer hat Angst vor dem Kampf gegen Faschismus – außer Faschist*innen?
Die „sanfte Witwe“ Erika Kirk
Die Erschießung von Charlie Kirk war eine politische Gewalttat. Bei politischen Gewalttaten mischen sich üblicherweise Wut und Trauer bei den Angehörigen. Erika Kirk unterscheidet sich enorm von anderen Menschen, die durch politische Gewalt ihre Angehörigen verloren. Sie spricht aus einer Machtposition heraus, sie ist unantastbar. Während ihrer Rede tupft sie ihr Gesicht mit einem Taschentuch ab, auf dem keine einzige Träne zu sehen ist. Sie kreischt und schnappt, allerdings sehr mechanisch und äußerst kontrolliert. Es ist sehr schwierig ihr dabei zuzusehen, ihre schauspielerische Leistung wirkt wie in einem B-Film. Die Presse scheint das nicht wahrzunehmen.
Zu hart? Im Gegenteil. Niemand erwartet von Erika Kirk Tränen oder Verletzlichkeit. Ehrlich gesagt wäre sie viel glaubhafter, wenn sie bei ihrer ersten Position geblieben wäre – dass die Schreie und das „Weinen dieser Witwe […] in der ganzen Welt wie ein Schlachtruf widerhallen“ würden. So sagte sie es in ihrer ersten Videoansprache nach dem Attentat.
Doch nachdem sie so viel Zeit mit Trump und J.D. Vance verbracht hat, wirkt sie gebrieft: Welche Gesten, welche Worte würden so viele Emotionen hervorrufen wie möglich? Mit welchem Verhalten und welchen Botschaften kann sie so viele Menschen wie möglich für die MAGA-Sache mobilisieren? Es wirkt kalkuliert. Man darf nicht vergessen: Erika Kirk ist keine beliebige Witwe, sondern eine Rechtsextremistin aus Trumps Umfeld.
Ihre Botschaft: Gottes Plan
Erika Kirk ist vor allem eine Aktivistin, eine Kreuzritterin. Sie nimmt die Gedenkveranstaltung für ihren erschossenen Ehemann als Anlass, um reaktionäre Geschlechterrollen zu verbreiten. An die Männer appelliert sie: „Lebt wahre Männlichkeit. Seid stark und mutig für eure Familien. Liebt eure Frauen und führt sie. Liebt eure Kinder und beschützt sie. Seid die geistlichen Führer eures Hauses.“ Ehefrauen seien keine Sklavinnen ihrer Ehemänner, führt sie weiter aus: „Sie ist eure Helferin – ihr seid keine Rivalen. Ihr seid ein Fleisch, das gemeinsam für die Ehre Gottes wirkt.“
Auch für Frauen hat Erika Kirk eine Botschaft: „Seid tugendhaft. Unsere Stärke liegt in Gottes Plan für unsere Rolle. Wir sind die Hüterinnen. Wir sind die Ermutigerinnen. Wir sind die Bewahrerinnen. Schützt euer Herz – alles, was ihr tut, geht von ihm aus. Und wenn ihr Mütter seid, erkennt bitte: Das ist der wichtigste Dienst, den ihr habt.“
Hier beschreibt Erika Kirk nichts anderes als die Rolle, die christlich-weiße Frauen spielen sollen, um ihre Weiblichkeit und ihre weiße Überlegenheit zu beweisen. Tugendhaft bedeutet Keuschheit, versteht sich von selbst. Und Keuschheit ist die wichtigste Eigenschaft einer weißen Frau. Hüterinnen und Bewahrerinnen bleiben zu Hause, am Herd. Interessant, dass sie selbst als CEO agiert. Mutterschaft sei die wichtigste Aufgabe – natürlich nur, wenn die Väter weiß sind. Ihre Botschaften untermauert sie mit dem Hinweis, dass sie selbst danach lebe: die Vergebung. Absolut makellos.
Im Namen aller Tradwives
Tradwives propagieren reaktionäre Geschlechterbilder, profitieren aber von feministischen Errungenschaften. Sie verdienen mit Werbedeals oft mehr Geld als ihre Ehemänner, propagieren aber das Glück am Herd. Auch Erika Kirk ist eine Tradwife, aber eine ganz besondere. Die Tragödie, die ihre Familie erlebt hat, ihre Rolle als CEO von Turning Point USA und ihre Nähe zur MAGA-Bewegung machen sie zur Turbo-Tradwife – und gefährlich.
Rechtsextremistinnen werden oft unterschätzt. Sexistische Klischees lassen sie harmlos erscheinen – als hirnlose Mitläuferinnen, die nicht wüssten, was sie täten. Auch das nützt Erika Kirk: Sie nutzt die Gefühle der Menschen für ihre Agenda.
Während ihrer Rede zeigen die Kameras immer wieder weinende Gesichter – echte Tränen, nicht gespielt. Nicht nur Rechte fallen darauf herein, auch die Medien. Wer es als Medienschaffende nicht hinbekommt, eine Person wie Erika Kirk als eine politische Figur einzuordnen und sie stattdessen wie eine beliebige Hausfrau behandelt, deren Weltbild bloß ein bisschen konservativ ist, sollte sich die Frage gefallen lassen: Woran liegt das?