Datenschutz Demokratie Menschenrechte
In der IT-Sicherheit nennt man es eine DOS-Attacke, wenn ein System durch zu viele Anfragen überlastet wird. So ähnlich fühlt es sich derzeit an, Freiheitsrechte in Deutschland zu verteidigen. Denn die Bundesregierung treibt eine ganze Welle neuer Überwachungsgesetze voran:
- All unsere im Netz veröffentlichten Fotos, Videos oder Tonaufnahmen sollen Polizeibehörden künftig mit Künstlicher Intelligenz durchsuchen dürfen, um gesuchte Personen zu identifizieren.
- Noch mehr Polizeibehörden sollen riesige Datenmengen über verdächtige, aber auch völlig unverdächtige Menschen mit KI, etwa von Palantir, analysieren.
- Der Einsatz von „Staatstrojanern“ soll ausgeweitet werden, um Smartphones zu hacken und verschlüsselte Kommunikation – wie WhatsApp und Signal – mitzulesen.
- Auch in den Bundesländern geht die „DOS-Attacke“ weiter: Während Berlin alle genannten Maßnahmen (sowie öffentliche Videoüberwachung mit „KI-Situationsanalyse“) zugleich einführen will, setzt Hessen als erstes Bundesland Echtzeit-Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ein und hat Baden-Württemberg Palantir-Software eingekauft, die bereits in drei anderen Bundesländern verwendet wird.
- Auf EU-Ebene droht die „Chatkontrolle“: Bei dieser Massenüberwachung sollen technische Hintertüren geschaffen werden, damit Künstliche Intelligenz unsere Kommunikation automatisiert auf bestimmte verbotene Inhalte durchsuchen kann – auch, wenn wir wirklich gar keinen Anlass dazu gegeben haben.
Natürlich muss Kriminalität verhindert und aufgeklärt werden. Doch durch all diese Maßnahmen entstünde ein ganzer Werkzeugkasten an Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten. In Zeiten des aufstrebenden Autoritarismus ist eine solche „Sicherheitspolitik“ leider vor allem eines: Mit Sicherheit gefährlich.
Einschüchterung durch Überwachung
Denn Überwachung führt zu sogenannten „Chilling Effects“. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden „Volkszählungsurteil“ bereits 1983 feststellte, verhalten sich Menschen, die sich überwacht fühlen, angepasster.
Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.
Auszug aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983
Um unsere Demokratie zu verteidigen, brauchen wir jedoch gerade jetzt eine aktive Zivilgesellschaft – keine durch Massenüberwachung eingeschüchterte.
Chatkontrolle: Was tun?
Ein schlüsselfertiger Überwachungsstaat könnte außerdem von autokratischen Kräften missbraucht werden, wenn und wo diese an die Macht gelangen. Das zeigt ein Blick in andere Länder: In den USA ermöglichen es Palantir und Babel Street, Menschen wegen Posts in den sozialen Medien zu deportieren. KI-Technologien überwachen die Postings der Menschen, melden „falsche“ Inhalte und kennen den Handy-Standort der Betroffenen, so dass ICE-Agenten diese direkt festnehmen können.
In Russland identifiziert Gesichtserkennungstechnologie Demonstrierende, in Ungarn werden damit Pride-Besucher*innen eingeschüchtert. In Serbien überwachte Spionagesoftware Umweltaktivist*innen, in Polen, Spanien und Ungarn Journalist*innen und Oppositionelle.
Trotz der „DOS-Attacke“ verteidigt die Zivilgesellschaft unsere Grundrechte. Dabei braucht sie jetzt Unterstützung:
- Unterzeichne den Campact-Appell gegen Palantir und die WeAct-Petition gegen Gesichtserkennungstechnologie
- Werde aktiv gegen die Chatkontrolle mit der Anleitung des Bündnis „Chatkontrolle Stoppen!“
- Unterzeichne die Petition des Bündnis „Chatkontrolle stoppen!“ auf WeAct
Die Entscheidung über die Chatkontrolle fällt übrigens schon am 14. Oktober – und Deutschlands Stimme im Rat der EU ist das Zünglein an der Waage. Deshalb kommt es jetzt besonders auf jede einzelne Stimme für eine andere Sicherheitspolitik an: Mit Sicherheit für Demokratie!