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Am 6. November stellte das Forschungsteam um Andreas Zick und Beate Küpper die neue Studie zu „rechtsextremen und demokratiegefährdenden Einstellungen“ für die Jahre 2024/2025 vor. Und prompt führen die Daten zu Deutungsdebatten. Besonders hervorgehoben wurde, dass nur 3,3 Prozent der Befragten einem rechtsextremen Weltbild zustimmen – ein Rückgang von 4,7 Prozent im Vergleich zu 2022/2023. Doch Andreas Zick warnte bei der Vorstellung: Rechts wächst, links schrumpft.

Mitte-Studie: Ein wachsender Graubereich

Seit 2006 untersucht die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) mit ihrer „Mitte-Studie“ alle zwei Jahre rechte Einstellungen. Ohne Alarmismus, aber mit Warnhinweisen. Die Zahl der Menschen mit geschlossen rechtsextremen Weltbildern ist zwar gesunken, so die Autor*innen – doch seit 2014 zeigt sich ein stetiger Anstieg.

Auch der „Graubereich der Verinnerlichung“ wächst, wenn auch relativ gering: von 16,8 Prozent auf 20,6 Prozent. In diesem Bereich stimmen Befragte rechtsextremen Aussagen teilweise zu. Dieser Trend spiegelt sich in vielen Einstellungen wider, betonen Andreas Zick und seine Kolleg*innen. „Nach Jahren der Polarisierung, Distanzierung und Radikalisierung mag die Mitte den aktuellen Zahlen zufolge gemäßigter erscheinen, doch ihre Haltung zur Demokratie, ihren Institutionen und gesellschaftlichen Minderheiten bleibt fragil und steht unter Druck“, heißt es in ihrer Studie.

Neoliberalismus und seine Folgen

Die Studie zeigt auch: „Das Vertrauen in Institutionen hat in den vergangenen Jahren massiv abgenommen“. Statusverluste machen die Mitte anfällig für populistische Angebote, da sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Ökonomische Ängste und der Wunsch, soziale Privilegien zu bewahren, lassen rechte Ressentiments als Option erscheinen. Der Geist des Neoliberalismus geht um, bestimmt Menschen und Markt, beeinflusst sowohl das Private als auch das Berufliche.

Eine Abkehr von der Logik „Nutzen versus Kosten“ oder „wirtschaftlicher Freiheit versus sozialer Rechte“ scheint für die Mitte undenkbar. Schon Erich Fromm sah 1941 in der „Furcht vor der Freiheit“ eine Ursache für autoritäre Tendenzen. Diese Rebellion gegen Freiheit geht oft mit einer Abwehr des „Fremden“ und „Unbekannten“, „Abgestiegenen“ und „Befürchtetem“ einher.

Abwertung und autoritäre Tendenzen

In der Studie fallen auch bestimmte Abwertungen auf: 36 Prozent der Befragten unterstellen Flüchtlingen Sozialmissbrauch. Ebenso nehmen 36 Prozent an, dass Langzeitarbeitslose sich ein „bequemes Leben“ machen. 22 Prozent glauben, dass Empfänger*innen von „Sozialhilfe und Bürgergeld“ zu Faulheit neigen, während 44 Prozent diese Annahme teilweise vertreten.

Diese Indizien deuten erneut auf eine kombinierte Zusammengehörigkeit hin: die von marktliberalen Wirtschaftsvorstellungen und autoritären Gesellschaftsentwürfen. Die Soziologin Eva Illouz sieht in der Spätmoderne das Versprechen der Moderne nicht eingelöst: Statt individueller Freiheit und ökonomischer Sicherheit dominieren Nostalgie und Neid.

Der neoliberale Gedanke, dass Leistung allein zählt, teilt die Gesellschaft in „Selfmade-Helden*innen“ und“ , Leistungsschwache als Selbstschuld-„Versager*innen“. Die soziale Herkunft wird dabei ignoriert.

Nostalgie und Nationalchauvinismus

Einen sehnsüchtigen Blick auf eine vermeintliche bessere Vergangenheit ohne Krisen, Kriege und Klimawandel prägen Teile der Gesellschaft. Andreas Zick, Nico Mokros und Beate Küpper sehen eine Verbindung zwischen „nationaler Nostalgie“ und einer „nationalchauvinistische Gefühls- und Symbolindustrie“.

19,8 Prozent der Befragten fordern ein „starkes Nationalgefühl“ und das „energische Durchsetzen deutscher Interessen“. 37,8 Prozent stimmen dem teilweise zu – ein Anstieg gegenüber 2022/2023.

Dieser radikale Marktautoritarismus kann mit einem libertären Autoritarismus einhergehen und ihn ergänzen. Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey zeigten 2022 in „Gekränkte Freiheit“, wie marktliberale und autoritäre Tendenzen zusammenwirken – ein Phänomen, das lange bei Tech-Milliardären wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg übersehen wurde.

Egoismus als Sprengstoff

Diese Spannungen sind nicht neu. Schon Karl Marx beschrieb 1844 in „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ den Konflikt zwischen Kapital und Demokratie. Das Kapital braucht freie Märkte, nicht freie Menschen. Vier Jahre später, 1848, erklärten Karl Marx und Friedrich Engels im „Kommunistischen Manifest“, dass die ganze Geschichte „eine Geschichte von Klassenkämpfen“ sei.

Trifft diese Erklärung fast 180 Jahre später noch zu? Jürgen Habermas warnte 2022 in „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und deliberale Politik“, dass die ausgehandelten Verhältnisse zwischen dem „demokratischen Saat und (…) kapitalistischer Wirtschaft“ längst fragil seien. Eva Illouz spricht von sozialem Sprengstoff in der „explosiven Moderne“.

Diese „marktförmige Leitbilder beruhen auf einem individualisierten und konkurrenzbasierten Menschenbild, das sich mit der Betonung ‚Individuum vor Gesellschaft‘ und dem Prinzip ‚Wettbewerb vor Solidarität‘ beschreiben lässt“, legen Amelie Nickel, Eva Groß und Ilka Kammigan in Abschnitt 6 der „Mitte-Studie“ dar. Ein rechter Topos, der in einen Sozialdarwinismus übergehen kann.

Die Autorinnen führen in der FES-Studie weiter aus, dass „solche negativen Freiheitsvorstellungen – von einer Freiheit, die vor allem im Konsumieren, Erleben und Investieren gesucht wird“, eine auf Abwehr beruhende, ökonomische Freiheit sei, „die sich gegen als hinderlich empfundene staatliche oder gesellschaftliche Beschränkungen stellt“. Die Vorstellungen können ein „destruktives Potenzial“ entfalten, „indem sie sich mit autoritärer Härte und ungehemmter Aggressivität gegen all jene richten, die diesem individualistischen Freiheitsgedanken (vermeintlich) entgegenstehen“.

Alle jene sind eben auch Geflüchtete, Arbeits- und Wohnungslose, die angeblich nur kosten und nichts nutzen. Queer- und Klimaaktivist*innen belasten und bremsen nach dieser Vorstellung ebenfalls.

Wohin steuert die Mitte?

Die Studie zeigt, dass der libertäre Autoritarismus als „Brückennarrativ“ rechtsextreme Einstellungen normalisieren kann. Die Daten, erhoben zwischen dem 30. Mai und dem 4. Juli, erfassen noch nicht den zugespitzten Diskurs der vergangenen Wochen gegen Sozialhilfe- und Bürgergeld-Beziehende. 52 Prozent der Befragten finden, die Demokratie funktioniere noch „gut“. Doch das Misstrauen wächst.

Andreas Zick betont: „Die Distanz zur Demokratie nach Zeiten der Polarisierungen und dem Aufschwung des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus hat abgenommen.“ Ein „nicht unerheblicher Teil“ vertrete jedoch „illiberale Demokratievorstellungen, die die ‚Brandmauer‘ bröckeln“ lasse. Die Mitte der Gesellschaft scheint sich – teils bewusst, teils unbemerkt – an rechtsextreme Politik, Kampagnen und Ideologie zu gewöhnen.

Das Fazit der Studie ist unmissverständlich: Damit „die Mitte“ eine Mitte bleibt, braucht sie Vertrauen in die Demokratie – und weniger dogmatische Versuchungen von Rechts.

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Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über Rechtsextremismus und rechte Milieus. Alle Beiträge

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