Soziale Gerechtigkeit Steuern und Finanzen
Sozialstaat finanzieren, Digitalisierung vorantreiben und Deutschland zukunftsfähig machen? Der Politik fehlt es an finanziellen Möglichkeiten, um diese Versprechen umzusetzen. Im Herbst der kalten Sozialreformen kratzt sie deshalb an den Grundprinzipien des Sozialstaats und lässt von Armut Betroffene verzweifelt in kalten Wohnungen und auf der Straße zurück.
Dabei wäre die Lösung so einfach: Eine Steuer auf extrem hohe Vermögen würde Milliarden in die Staatskasse bringen. Die Umverteilung würde den Sozialstaat finanzieren und das Solidarsystem festigen. Eine Verringerung der Vermögensungleichheit könnte sogar das Vertrauen in die Demokratie stärken. Dieses Land braucht die Besteuerung der Reichsten. Es ist Zeit!
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Was ist die Vermögenssteuer?
Die Idee, eine Steuer auf Vermögen zu erheben, ist einfach und hat sich bewährt. Es gab sie nämlich bereits: Von 1923 bis einschließlich 1996 wurde in Deutschland die Vermögenssteuer erhoben. Menschen, die ein Vermögen von einer Million Euro oder mehr hatten, mussten eine Steuer von 0,5 bis 1 Prozent ihres Vermögens zahlen.
Zum Vermögen zählt das Geld auf dem Konto, aber auch Immobilien, Firmenanteile, Aktien etc. Jährlich könnte ein solcher Steuersatz nach Schätzungen heute etwa 10 bis 20 Milliarden Euro einbringen. Ein effektives Instrument, um gegen soziale Spaltung anzusteuern, wachsende Ungleichheit zu bekämpfen und der knappen Haushaltslage zu begegnen.
Warum die Vermögenssteuer nicht mehr greift
Was ist mit ihr passiert? Das Bundesverfassungsgericht forderte damals eine Neuregelung der Steuer – jedoch nicht deren Abschaffung. Die damalige Bundesregierung reagierte darauf allerdings nicht mit einer Reform: Sie nutzte das Urteil, um die Steuer zu „pausieren“.
Es gibt sie also noch: Die Vermögenssteuer steht sogar im Grundgesetz, Artikel 106. Sie wird nur nicht mehr erhoben. Fast 30 Jahre ohne Vermögenssteuer haben den deutschen Staatshaushalt seitdem schätzungsweise mehr als 380 Milliarden Euro gekostet. Geld, das in Schulen, Krankenhäusern und Infrastruktur fehlt.
Und noch etwas: Die nicht erhobene Vermögenssteuer hat auch dafür gesorgt, dass im Gegensatz zur Einkommenssituation die Datenlage zu besonders hohen Vermögen heute erschreckend ungenau ist. Selbst im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird das bemängelt. Wir wissen, dass die Vermögen der Überreichen steigen, aber wir haben wenig Ahnung, wieviele Milliarden sie tatsächlich horten – während Bürgergeldbeziehende jeden Cent angeben müssen.
Wie ist Vermögen in Deutschland verteilt? Eine Gegenüberstellung
Die neuen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sind erschreckend: Jedes vierte Kind in Deutschland ist auf Sozialleistungen angewiesen, also Bürgergeld, Kinderzuschlag oder sonstige Hilfen. Das sind über 3 Millionen Kinder. Dem reichsten ein Prozent der Bevölkerung – das entspricht etwa 840.000 Personen – gehören dagegen ein Drittel des gesamten Vermögens in Deutschland. Beim Betriebsvermögen sind es sogar 85 Prozent, die die reichsten 1,5 Prozent der Bevölkerung besitzen. Und nur 141 Familien besitzen die Hälfte des gesamten Aktienvermögens.
184 Deutsche sind Milliardäre. Eine Milliarde: Das sind tausend Millionen. Zwei Familiendynastien, nämlich die um Lidl-Gründer Dieter Schwartz und der Pharma-Familienverbund Boehringer und von Baumbach, besitzen ein geschätztes Vermögen von mindestens 95 Milliarden Euro – und damit mehr als die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung.
Während die Reichen immer reicher werden, ist der Anteil der von Armut betroffenen Menschen in den letzten Jahren stark angestiegen. Das Ausmaß von Armut und sozialer Ausgrenzung stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes Deutschland, hat deshalb der Europarat im letzten Jahr bereits kritisiert. Als demokratischer und sozialer Staat muss Deutschland starker Ungleichheit entgegenwirken.
Deutschland ist Weltmeister: Im Vererben
Von Armut betroffen sind oft Arbeitslose oder Minijobber*innen, Ostdeutsche, Frauen, Alleinerziehende und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte oder einem niedrigen Bildungsstatus. Fast 70 Prozent aller Millionär*innen in Deutschland sind dagegen westdeutsche Männer über 50. Fleißige white old men? Im Gegenteil. Das Vermögen der Überreichen ist so wenig selbst erarbeitet, wie Armut selbstverschuldet ist. Es zählt also nicht, was Du zur Gesellschaft beitragen kannst, sondern in welche Familie Du geboren wurdest.
Erbschaften und Schenkungen machen mehr als die Hälfte des Vermögens aus, Tendenz steigend: 75 bis 80 Prozent des Vermögens von Milliardär*innen in Deutschland besteht aus Erbschaften und Schenkungen. In keinem Land der Welt wird so viel vererbt wie in Deutschland. Jedes Jahr werden Vermögen in unvorstellbaren Mengen weitergereicht – bis zu 400 Milliarden Euro Erbschaften aus Geld, Immobilien und Firmenanteilen.
Was hat Vermögensungleichheit mit unserer Demokratie zu tun?
Während die Kluft zwischen Armut und Reichtum wächst, sinkt das Vertrauen in die Demokratie. Soziale Gesetze und ein gerechtes Steuersystem sollten in der Bundesrepublik die Möglichkeiten demokratischer Teilhabe stärken. Dass Menschen sich heute einerseits abgehängt und nicht verstanden fühlen, während andererseits politische Entscheidungen in signifikantem Ausmaß den Wünschen der Wohlhabenderen und Reicheren entsprechen, ist mindestens kritisch.
Man könnte auch sagen: Diese Ungleichverteilung von politischem Einfluss stellt Deutschland vor ein demokratisches Legitimitätsproblem. Aufgabe des Sozialstaates ist es, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Monetär heißt das nicht nur, ein Existenzminimum für alle zu garantieren, sondern auch, gegen wachsende Ungleichheit anzusteuern und im Zweifel umzuverteilen. Das wird beim Einkommen bereits gemacht. Die Einkommenssteuer hat Optimierungsbedarf, aber sie tut, was sie tun soll: Besonders hohe Einkommen werden stärker besteuert als niedrige. So wird der Einkommensungleichheit entgegengewirkt.
Aber: Die Reichsten zahlen oft gar keine Einkommenssteuer. Sie häufen ihren Besitz nämlich nicht durch Arbeit an – das Geld arbeitet für sie. Obwohl Vermögen einen viel größeren Beitrag zum Staatshaushalt leisten würde, wird es im Gegensatz zum Einkommen nicht einmal angefasst. Im internationalen Vergleich der Vermögensungleichheit steht Deutschland auf einer Stufe mit Mexiko – einem Land, dessen Politik von Korruption und mafiösen Sturkturen geprägt ist.
Die Vermögenssteuer vertreibt Überreiche nicht
Eigentlich ist eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland für eine Vermögenssteuer. Sie trifft nicht den Mittelstand, sondern zieht die Überreichen dieses Landes in Verantwortung. Gleichzeitig hält sich hartnäckig die Sorge darüber, dass alle Überreichen samt ihrer Betriebe ins Ausland abwandern würden. Das ist ein Mythos, sagt Ungleichheitsforscherin Martyna Linartas. Denn in Deutschland wird bei persönlichem Umzug ins Ausland eine Wegzugsteuer erhoben. Und die ist nicht unermesslich.
Würde BMW-Erbin und Milliardärin Susanne Klatten beispielsweise entscheiden, ins Ausland zu ziehen, müsste sie etwa 30 Prozent ihres gesamten Vermögens an Exitsteuer zahlen: Das sind etwa 6,5 Milliarden Euro. Auch eine Unternehmensverlagerung ins Ausland wird besteuert. Steuerbetrug durch die Verlagerung von Konten ins Ausland ist außerdem durch internationale Abkommen zum Informationsaustausch von Steuerbehörden schwierig. Steuerflucht bleibt also eine leere Drohung der Finanzlobby.
Wie könnte die Vermögenssteuer aussehen?
Es gibt verschiedene Ansätze, wie eine Vermögenssteuer zukünftig gestaltet werden könnte. Gewerkschaften und linke Parteien (SPD eingeschlossen) fordern verschiedene Prozentsätze ab einem Vermögen von einer oder zwei Millionen Euro.
SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil hat sich erst kürzlich dafür ausgesprochen: Als Finanzminister sollte er seinen Worten Taten folgen lassen. Auch aus der Zivilgesellschaft sind die Stimmen laut: Die Allianz „Vermögen besteuern jetzt“, die aus 30 zivilgesellschaftlichen Organisationen besteht, fordert die Besteuerung großer Vermögen in Form einer Vermögenssteuer sowie einer Vermögensabgabe.
Petition: Unsere Demokratie ist nicht käuflich!
Milliardäre kaufen sich die Demokratie und bauen sie für ihre Zwecke um – erst in den USA und bald bei uns. Die Initiative ungleichheit.info fordert deshalb auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact: Wir müssen den Ausverkauf unserer Demokratie stoppen!
Über 170.000 Menschen unterstützen die Petition bereits. Schließ Dich ihnen an!
Weltweite Gerechtigkeit? Die Idee einer internationalen Vermögenssteuer
Selbst international wird die Abgabe von Steuern auf extrem hohe Vermögen diskutiert. Im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft hat sich Brasilien im vergangenen Jahr für eine internationale Vermögenssteuer eingesetzt, um Klimaschutz und Armutsbekämpfung weltweit gemeinsam finanzieren zu können.
Die Vermögenssteuer würde national und international die Löcher im Haushalt stopfen, die Ungleichheit bekämpfen, Projekte gegen Armut und für Klimaschutz fördern. Eine gerechtere Gesellschaft stärkt die Demokratie, verringert Ressentiments und ermutigt zu echter Teilhabe. Doch statt Reiche gerecht zu besteuern, tritt die Merz-Regierung nach den Ärmsten. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen versammeln sich hinter der Forderung nach einer Vermögenssteuer. Die Mehrheit der Bevölkerung möchte sie. Die Demokratie braucht sie.