Die Wohnungsnot ist längst kein abstraktes Problem mehr, sondern ein Alltag, der sich in Körper einschreibt. In Deutschland fehlen Hunderttausende Wohnungen. Die Mieten steigen schneller, als viele Menschen sie bezahlen können, und jedes Jahr werden neue Zahlen zur Wohnungslosigkeit veröffentlicht – nüchterne Statistiken, hinter denen sich konkrete Lebensgefahr verbirgt. Wer keinen Platz hat, ist schutzlos. Und wer schutzlos ist, wird verletzbar. Besonders Frauen.
WeAct: Femizide stoppen
Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Jeden Tag versucht ein Mann eine Frau zu töten. Diese (versuchten) Morde sind Femizide: Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind. Fordere auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, dass diese Gewalttaten als Femizide anerkannt und verfolgt werden.
Wenn Gewalt Frauen wohnungslos macht
Der Wohnungslosenbericht 2024 zeigt, wie eng Wohnungsnot und Gewalt gegen Frauen miteinander verflochten sind. 43 Prozent der wohnungslosen Frauen berichten, seit Beginn ihrer Wohnungslosigkeit Gewalt erfahren zu haben; 27 Prozent wurden sexuell belästigt oder angegriffen. Das ist keine Randnotiz, sondern ein strukturelles Problem: Ohne sicheren Wohnraum gibt es keine Sicherheit vor Gewalt. Die Wohnkrise ist damit auch eine Frage der Femizid-Prävention und der körperlichen Unversehrtheit.
Frauenhäuser berichten seit Jahren von demselben Muster: Die Gewalt ihrer Partner zwingt Frauen, die gemeinsame Wohnung zu verlassen. Doch wenn draußen ein überlasteter Wohnungsmarkt wartet, verlieren viele nicht nur ihr Zuhause, sondern gleich die Sicherheit für ihre Zukunft. „Gewalt durch den Partner verursacht häufig die Wohnungslosigkeit von Frauen“, schreibt die Frauenhauskoordinierung. Bleiben sie, riskieren sie ihr Leben. Gehen sie, riskieren sie Armut oder Obdachlosigkeit. Eine echte Wahl ist das nicht.
Rassismus auf dem Wohnungsmarkt
Doch die Wohnkrise trifft nicht alle gleich. Frauen mit Migrationsgeschichte erleben mehrere Ebenen von Ausschluss gleichzeitig: die Gewalt, die sie zu Hause bedroht, und die Diskriminierung, die sie daran hindert, eine neue Wohnung zu finden.
Die Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigen, dass 35 Prozent der Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund rassistische Diskriminierung bei der Wohnungssuche erleben – oft in Form von höheren Mieten, abgelehnten Bewerbungen oder „unsichtbaren“ Auswahlkriterien. Mehr als die Hälfte dieser Betroffenen berichtet, eine Wohnung allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer als „fremd“ markierten Gruppe nicht bekommen zu haben.
Mehrfach-Benachteiligung im Alltag
Das bedeutet: Frauen, die vor Gewalt fliehen, sind systematisch benachteiligt, wenn sie einen neuen, sicheren Ort suchen – besonders, wenn sie als „nicht deutsch“ gelesen werden. Die Wohnungsfrage wird dadurch zum Aspekt eines intersektionalen Machtgefüges: Geschlecht, Klasse, Aufenthaltstitel und rassistische Zuschreibungen wirken gleichzeitig. Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt diese Mechanismen als „mittelbare Diskriminierung“ – etwa, wenn bestimmte Viertel „stabilisiert“ werden sollen und Menschen mit Migrationsgeschichte deshalb gar keine Chance auf eine Wohnung bekommen. Wohnpolitik wird so zu einem Ort, an dem rassistische Strukturen reproduziert werden.
Wohnpolitik, die Gewalt begünstigt
Und genau hier treffen sich Wohnkrise, Sexismus und Rassismus: im Moment der Wohnungssuche, die darüber entscheidet, ob eine Frau Schutz findet oder gefährdet bleibt. Wer in prekären Jobs arbeitet, weniger verdient, alleinerziehend ist oder keinen deutschen Pass hat, wird auf dem Wohnungsmarkt aussortiert – und landet schneller in Situationen, in denen Gewalt möglich wird. Die politische Erzählung trennt diese Themen gern: hier Wohnpolitik, dort Gleichstellung, dort Antirassismus. Doch im echten Leben überlagern sie sich unauflöslich.
Dass migrantische Frauen häufiger in vernachlässigten, überfüllten oder sozial isolierten Wohnlagen untergebracht werden, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen und wirtschaftlicher Interessen. Diese Frauen sind nicht nur ärmer, sondern werden auch weniger geschützt. Es gibt weniger Beratungsstellen mit passenden Angeboten, weniger soziale Infrastruktur – und mehr Gewalt.
Der Wohnungslosenbericht betrachtet auch jene Menschen, die in Sammelunterkünften leben, als wohnungslos. Vergangene Woche wurden Körperteile einer Frau aus Eritrea gefunden, von der Frau selbst fehlt noch jede Spur. Sie ist in einer Sammelunterkunft in Bonn angemeldet.
Wohnraum ist eine feministische Ressource
Wenn wir also über die Wohnkrise sprechen, dann sprechen wir auch über Körper. Über Schutz. Über das Recht, am Leben zu bleiben. Und über die Frage, wer überhaupt die Chance hat, ein Zuhause zu finden, in dem keine Angst wohnt. Die Realität zeigt: Wohnraum ist nicht nur ein ökonomisches Gut, sondern eine feministische und antirassistische Ressource. Wer keinen Zugang dazu hat, wird verwundbar gemacht.
Für eine ernst gemeinte Geschlechtergerechtigkeit reicht es deshalb nicht, ein paar zusätzliche Frauenhausplätze zu schaffen oder Gewaltprävention zu fördern. Die feministischste Maßnahme, die dieser Staat jetzt ergreifen könnte, wäre, genügend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und dafür zu sorgen, dass er diskriminierungsfrei zugänglich ist. Denn erst wenn alle Menschen eine Tür hinter sich schließen können, die sie schützt, ist ein Leben ohne Gewalt überhaupt möglich.