Rechtsextremismus Bildung Frieden Montagslächeln WeAct Feminismus Menschenrechte Demokratie Digitalisierung CDU

Sie ist wieder da. Sichtbar in der Öffentlichkeit. Seit vergangenem Mittwoch sagt Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht Dresden aus. Die verurteilte Rechtsterroristin aus dem Netzwerk des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) tritt als Zeugin im Prozess gegen Susann Eminger auf, eine mutmaßliche Unterstützerin des NSU.

Zschäpe wer?

Doch das Verfahren zieht kaum Aufmerksamkeit auf sich. In der öffentlichen Wahrnehmung scheinen die Taten des NSU – zehn Morde, 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle – fast vergessen. Zschäpe wer? NSU was? Alleine die persönlich Betroffenen und üblichen Verdächtigen scheinen weiterhin wissen zu wollen: Wer gehörte zum NSU? Wie wählte die Gruppe ihre Opfer aus? Und inwieweit waren die Verfassungsschutzorgane involviert?

„Sag die Wahrheit“

Zschäpe schweigt zu den entscheidenden Fragen. Zwar spricht die Überlebende des NSU-Kerntrios vor Gericht, sagt aber nichts bedeutendes. Eine Erklärung für die Morde hat die 50-Jährige nicht. „Ausländerfeindlich“ seien sie schon vorher gewesen, vielleicht aus Frustration, um sich über andere zu erheben. „Wir waren kleine Würstchen“, fügt sie hinzu. Die Opfer seien „willkürlich“ ausgewählt worden. Für die Angehörigen der Opfer kaum auszuhalten. „Dann sag die Wahrheit! Du bist verantwortlich, dass mein Vater gestorben ist. Du hast mein Leben zerstört“, ruft Gamze Kubaşık im Gerichtssaal: „Wer hat euch unterstützt?“, fragt die Tochter von Mehmet Kubaşık.

Der Nationalsozialistische Untergrund

Am 4. April 2006 erschossen Zschäpes Komplizen, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, ihren Vater in seinem Kiosk in Dortmund. Er war das achte von zehn Mordopfer des NSU, neun davon hatten einen Migrationshintergrund. Erst gut fünf Jahre später enttarnte sich das Trio selber. Nach einem gescheiterten Banküberfall in Eisenach töteten sich Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 in einem Wohnmobil. Zschäpe setzte die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand, floh und verschickte Bekenner-DVDs. Sie stellte sich später der Polizei.

2018 verurteilte das Oberlandesgericht München Zschäpe zu lebenslanger Haft. Fünf Jahre hatte sie vor Gericht nichts zur Aufklärung beigetragen. Am Ende behauptete sie in einer schriftlichen Erklärung, erst im Nachhinein von den Morden erfahren zu haben. 

In Dresden räumte Zschäpe nun ein, von den Mordvorbereitungen gewusst zu haben. Ein Geständnis, das heute für sie rechtlich irrelevant ist. Auch zu ihrer ehemaligen Freundin Eminger sagt sie wenig Belastendes. Sie will Eminger erst 2007 kennengelernt haben, als das Trio schon neun Jahre im Untergrund lebte. Emingers Mann André soll die drei schon wesentlich länger unterstützt haben. Das Oberlandesgericht München verurteilte ihn zu zweieinhalb Jahren Haft.

Zschäpe schützt ihre Freundin Eminger vor Gericht

In Dresden bestätigte Zschäpe bisher nur das, was Susann Eminger nicht abstreiten kann: Dass ihre ehemalige Freundin die Monitore der Überwachungskameras in der letzten Wohnung des Trios gesehen habe und ihr Krankenkassenkarte und Bahncard zur Verfügung stellte. 

Außerhalb des Trios sei die heute 44-Jährige ihre „wichtigste Person“ gewesen. Sie hätten sich regelmäßig getroffen, wären abends ausgegangen, oft auch mit den Kindern. Über Politisches hätte sie nicht gesprochen. Zschäpe räumt auch ein, dass Eminger mit ihrem kleinen Sohn bei der Anmietung des Wohnmobils für den letzten NSU-Überfall in Eisenach dabei war. Von den Morden soll ihre Freundin jedoch nichts gewusst haben, beteuerte Zschäpe. Und sie stritt gleich mit ab, dass weitere Helfende aus der Szene existieren würden: „Das würde ich ausschließen“. Keine relevanten Einlassungen, nirgends. „Sie versucht ihre frühere Freundin zu schützen“, zitiert die taz Kubaşık.

Zschäpes vermeintlicher Ausstieg

Die Aussagen werfen auch Fragen auf – auch zu Zschäpes angeblichem Ausstieg. Seit dem Sommer nimmt Zschäpe am Ausstiegsprogramm der Initiative Exit teil. Die vermeintliche Abkehr löste für die Öffentlichkeit noch keine sichtbaren Ermittlungen aus. Dient der Ausstieg nur dazu, die weitere Haftdauer zu verkürzen? Im November 2026 könnte das Oberlandesgericht München nach 15 Jahren Haft über eine mögliche Entlassung entscheiden. Eminger droht bei einer Verurteilung eine mehrjährige Haftstrafe. 

Eine Geschichte des kollektiven Verdrängens

Die Geschichte des rechten Terrors in der Bundesrepublik ist auch eine Geschichte des kollektiven Verdrängens. In der Mitte der Gesellschaft scheint die NSU-Vergangenheit verblasst. Ist der Grund 2025 derselbe wie 2013? Schon zu Beginn des Münchner Prozesses fragten die Rechtsanwälte Stephan Lucas und Jens Rabe: „Liegt das daran, dass es eine schwache Bevölkerungsgruppe trifft, die Migranten?“ Sie vertraten Semiya und Kerim Şimşek. Ihren Vater Enver Şimşek erschoss der NSU am 9. September 2000 in Nürnberg. Er war das erste Todesopfer des Terrornetzwerks. 


Auf Campacts Petitionsplattform WeAct fordern Semiya Şimşek, Mandy und Michalina Boulgarides und Gamze Kubaşık den sofortigen Ausschluss von Beate Zschäpe aus dem Aussteigerprogramm „Exit“, solange sie ihr Wissen nicht lückenlos offenlegt, und die eine angemessene Unterstützung der Hinterbliebenen und Überlebenden der Mord- und Anschlagsserie des NSU und aller Opfer rechter Gewalt. 

Unterzeichne hier die Petition „Keine Unterstützung für NSU-Terroristin Beate Zschäpe!“
TEILEN

Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über Rechtsextremismus und rechte Milieus. Alle Beiträge

Auch interessant

AfD Juli Katz Die treuen Gehilfen der Rechtsextremen Mehr erfahren
AfD Campact-Team Familienunternehmer-Verband: Wer die Mitglieder sind – und wer wegen der AfD geht Mehr erfahren
Demokratie Matthias Meisner Wenn die bürgerliche Mitte mit Neonazis paktiert Mehr erfahren
AfD Campact-Team Worst of AfD-Zitate Mehr erfahren
Demokratie Campact-Team Angriffe auf NGOs: Was steckt dahinter? Mehr erfahren
Bildung Campact-Team Rechtsextremismus an Schulen: Wenn Hass das Klassenzimmer erreicht Mehr erfahren
Demokratie Andreas Speit Rechts trendet Mehr erfahren
Demokratie Campact-Team Dog Whistle – Wie umgehen mit Hundepfeifenpolitik? Mehr erfahren
Erinnern WeAct-Team „Der NSU ist Teil unserer Gegenwart“ Mehr erfahren
LGBTQIA* Campact-Team Rechtsextreme Angriffe auf CSDs: Der Regenbogenschutzfonds stärkt queere Sichtbarkeit Mehr erfahren