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AfD-Notizen: 10 Jahre Sozialfeindlichkeit (1)

Die AfD entstand vor zehn Jahren im Herbst 2012 mit der Vorläuferin Wahlalternative 2013. Heute versucht die AfD, sich als „Partei des kleinen Mannes“ darzustellen. Mit diesem mehrteiligen Beitrag möchte ich darauf hinweisen, dass die AfD als Vertreterin einer bestimmten Kapitalfraktion startete und auch heute noch sozialfeindlich ist.

AfD Potsdam Björn Höcke Vorsitzender der AfD Fraktion im Thüringer Landtag
Björn Höcke: Seine AfD ist keineswegs sozial. Quelle: IMAGO

Schauen wir uns zunächst die Wahlergebnisse aus Niedersachsen an. Laut Infratest Dimap sahen ein Drittel der AfD-Wähler*innen ihre wirtschaftliche Situation als schlecht an, das ist mehr als in anderen Parteien, auch bei der Links-Partei, wo nur jede*r Fünfte dies so sah. Die AfD erhielt insgesamt 10.9 % der Stimmen, aber von denen, die angaben, ihre wirtschaftliche Situation sei schlecht, erhielt sie 21 %. Unter den Arbeiter*innen konnte die AfD ihr Ergebnis gegenüber der letzten Wahl von 12 auf 24 % verdoppeln. Und zur Frage, welche Themen die wichtigsten seien, um die AfD zu wählen, wurden Preissteigerungen mit 39 %, Energieversorgung mit 30 % und Arbeitsplätze mit 15 % genannt.

Björn Höcke brüstet sich mit dem sogenannten „Sozialpatriotismus“ als Agenda der AfD. Interessanterweise weicht Höckes Sozialpatriotismus von dem der Kaderschmiede „Institut für Staatspolitik“ ab. Forderte dessen Vordenker Götz Kubitschek noch ein, dass man über Verstaatlichungen nachdenken müsse, lehnt Höcke diese rigoros ab, was er zuletzt am Beispiel des Gas-Unternehmens Uniper verdeutlichte: „Es gibt zwar kein Beispiel dafür, daß das jemals funktioniert hätte – aber trotzdem verfallen heillos überforderte Regierungen immer wieder erneut auf die absurde Idee, Probleme durch Verstaatlichung lösen zu wollen. Aktuell soll mit der Verstaatlichung des Gasimporteurs Uniper eine für die Verbraucher erschwingliche Versorgungssicherheit gewährleistet werden. […] Daß Planwirtschaft nicht funktionieren kann, ist fast schon ein Naturgesetz.“ Vielmehr müsse der Markt, dem man nichts ins Handwerk pfuschen dürfe, alles regeln. (Höcke am 22.09.2022)

Höcke hatte schon vor über zehn Jahren unter dem Pseudonym Landolf Ladig deutlich gemacht, dass sein Kampf gegen den Kapitalismus auf die Wiederherstellung des Wirtschaftssystems des Nationalsozialismus („organische Marktwirtschaft“) zielt, quasi auf eine NS-Postwachstumsideologie. In meinem letzten Blogbeitrag hatte ich deutlich gemacht, dass Höcke seit über einem Jahrzehnt auf den Zeitpunkt der Energieknappheit als eine Möglichkeit zum Systemumsturz hinarbeitet. Es geht ihm nicht um Umverteilung. So wie er das Kapital vor Verstaatlichung schützen will, wetterte der Lehrersohn vor genau 10 Jahren unter Pseudonym gegen einen sogenannten „Sozialfeudalismus“, gegen die „Transferrepublik“, gegen das „Alimentieren“ und „Sozialleistungen“ des „Sozial- und Betreuungsgewerbes“.[1] Das ist die Sprache des Neoliberalismus, und als Höcke im März 2013 in die AfD eintrat, tat er dies nicht trotz, sondern wegen der neoliberalen Ausrichtung, die wir uns im Folgenden noch einmal genauer anschauen möchten.

AfD – finanziert durch vererbte Milliarden

Trotz der oben dargestellten Gewinne im Arbeiter*innen-Milieu ist die AfD alles andere als sozialfreundlich, sie war und ist sozialfeindlich. Wess‘ Brot ich fress, des Lied ich sing: Ein Blick auf die Finanzierung der AfD zeigt, es handelt sich bei den Finanziers um Milliardäre, die in die Schweiz gezogen sind und so von ihrem ererbten Vermögen weniger Steuern, also auch Sozialausgaben, in Deutschland zahlen. Ich hatte bereits im Juli 2013 darauf aufmerksam gemacht, dass die Anfangsfinanzierung der AfD über den Millionen-Erben August von Finck junior (mit Sitz in der Schweiz) lief. Unter anderem Frontal und Correctiv deckten auf, dass die Finanzierung dann durch den Millionen-Erben Henning Conle (mit Sitz in der Schweiz) fortgeführt wurde. Die Erben Finck und Conle gaben sich quasi die Klinke in die Hand.

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Um die Sozialfeindlichkeit der AfD zu verstehen, wäre ein Blick in deren Entstehungsgeschichte lehrreich. Im Oktober 2011 gab es eine Strategiesitzung des wirtschaftsnahen IfO-Instituts in Bogenberg. In der dort verabschiedeten „Bogenberger Erklärung“ wurde vor allem die Forderung aus Frankreich zurückgewiesen, dass in Deutschland die Löhne erhöht werden sollten.[2] Diese Bogenberger Erklärung wurde die Grundlage eines von Bernd Lucke (AfD-Gründer, 2015 ausgeschieden) und Johannes Hüdepühl (noch immer AfD-Funktionär) gegründeten Vereins „Bündnis Bürgerwille“. Der AfD-Gründer Bernd Lucke hatte zuvor schon den Hamburger Appell mitinitiiert, in dem es hieß, dass wir uns den Sozialstaat nicht mehr leisten könnten. Die Sozialpolitik müsse „von Lohnersatzleistungen zu Lohnzuschüssen wechseln. Das deutsche System der Lohnersatzleistungen von der Sozialhilfe über das Arbeitslosengeld bis zur subventionierten Frührente erzeugt Lohnansprüche, die der Markt nicht mehr befriedigen kann.“[3]

Über das Bündnis-Bürgerwille-Mitglied Dagmar Metzger scheinen dann die Kontakte zu August von Finck geknüpft worden zu sein. Im November 2012 stellte Bernd Lucke im Münchener Nobelhotel „Bayerischer Hof“ seine im September 2012 gegründete „Wahlalternative 2013“ vor. Im Januar 2013 wurde dann mit dem Geld von August von Finck, vermittelt über Dagmar Metzger, die mit Bernd Lucke erste Sprecher*in wurde, die AfD gegründet. Zu den Sprecher*innen gehörte auch der „Welt“-Journalist Konrad Adam, der das allgemeine Wahlrecht in Frage stellte.

Degussa-Manager: Bedürftigen das Wahlrecht entziehen

Hier noch ein Wort zum inzwischen verstorbenen August von Finck: Mehrere Führungskräfte, insbesondere beim Finck-Unternehmen Degussa Goldhandel, fordern die Abschaffung des Wahlrechts für Menschen, die Geld vom Staat erhalten (Degussa Goldhandel Geschäftsführer Markus Krall) oder sogar die komplette Ersetzung von Staat und Demokratie durch eine „reine Privatrechtsgesellschaft“, in der das Gesundheits- und Bildungswesen, die Polizei, Gefängnisse, Gerichte, also alles, zu hundert Prozent privatisiert werden soll (Degussa Goldhandel Chefökonom Thorsten Polleit).

Die Forderung, Sozialhilfe-Bezieher*innen das Wahlrecht zu entziehen, wurde auch vom AfD-Mitgründer und ehemaligen Sprecher der AfD, Konrad Adam, in einem Artikel der „Welt“ verteidigt.[4] Es verwundert also nicht, dass Markus Krall, der offensiv die Abschaffung des Allgemeinen Wahlrechts fordert, bei der AfD so beliebt ist. Bereits einen Tag nach Antritt seines Jobs als leitender Geschäftsführer bei Fincks Degussa Goldhandel, am 16.9.2019, hielt Krall einen Vortrag bei der AfD-Fraktion im Landtag von Schleswig Holstein. Im Januar 2020 fordert er unter Applaus der AfD Augsburg, Sozialhilfe-Bezieher*innen das Wahlrecht zu entziehen. Auch in Sachsen erhält Krall für diese Forderung von der AfD Beifall. Und Jörg Urban, Vorsitzender der AfD Sachsen kommentiert, es sei eine anspruchsvolle Aufgabe, diese Forderung im Osten zu vermitteln.

Lucke ging als Transatlantiker

Zurück zu den Anfängen: Zwar schied Lucke 2015 aus der Partei aus, aber an dieser Stelle sei daran erinnert, dass der erste Streit der AfD sich nicht an Fragen des Neoliberalismus entzündete, sondern an der Krim-Frage. Russland hatte die Krim besetzt und es gab Boykott-Forderungen gegenüber Russland. Während im Sommer 2014 der Parteitag Gauland folgte und Sanktionen ablehnte, stellte sich die AfD-Fraktion im Europa-Parlament hinter die Santkionspolitik.

4. Ausserordentlicher AfD-Parteitag: v.l.n.r. Bernd Lucke, Frauke Petry, Konrad Adam, Alexander Gauland nach der Wahl von Frauke Petry zur AfD-Vorsitzenden
4. Außerordentlicher AfD-Parteitag: v.l.n.r. Bernd Lucke, Frauke Petry, Konrad Adam, Alexander Gauland nach der Wahl von Frauke Petry zur Vorsitzenden. Quelle: IMAGO

Der Konflikt zwischen Gauland auf der einen und Lucke und Henkel auf der anderen Seite nahm im folgenden Jahr an Schärfe zu. Die als „Transatlantiker“ bezeichnete AfD-Fraktion, die sich für die Russland-Boykott-Politik aussprachen, unterlagen den eher Putin-freundlichen Teilen der AfD und verließen im Sommer 2015 die Partei.

Neoliberale wie Jörg Meuthen (für den das Wort „sozial“ ein Unwort sei und am besten gar nicht mehr verwendet werden dürfe), Marcus Pretzell, Alice Weidel (die aufgrund ihres Doktorvaters Peter Oberender, der das Gesundheitswesen stärker privatisieren und u.a. den Organhandel erlauben wollte, in die AfD eintrat) und Beatrix von Storch standen bereits in den Startlöchern. Und noch immer ist die Neoliberale Alice Weidel Parteichefin, während Beatrix von Storch soeben als Delegierte für den nächsten Parteitag nominiert wurde. Auf Beatrix von Storch und ihr noch immer unterschätztes aristokratisches Netzwerk werde ich im nächsten Beitrag eingehen.


[1] Landolf Ladig: Die Krise des Liberalismus. Ökologie und Postwachstumökonomie, in: Volk in Bewegung 1/ 2012, S.13

[2] Bogenberger Erklärung: Sechzehn Thesen zur Situation der Europäischen Währungsunion, https://www.ifo.de/DocDL/ifosd_2011_23_1.pdf

[3] Funke, Michael /Lucke, Bernd/ Straubhaar, Thomas: Hamburger Appell, Link: https://www.hwwi.org/uploads/tx_wilpubdb/Hamburger_Appell.pdf

[4] Andreas Kemper: AfD: Wahlrecht für Arbeitslose abschaffen? https://andreaskemper.org/2013/04/15/afd-wahlrecht-fur-arbeitslose-abschaffen/

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Autor*innen

Andreas Kemper recherchiert als freischaffender Soziologe zu Netzwerken der Ungleichheit und analysiert deren Ideologien. Seine kritischen Analysen zu Klassismus/Neoliberalismus (klassismus.de), Rassenbiologie und organisiertem Antifeminismus (diskursatlas.de) führten bereits im Juli 2013 zu seinem Buch „Rechte Euro-Rebellion“ zur AfD als Sammelbecken dieser Strömungen. Es handelte sich hierbei um die mit Abstand erste kritische Buchpublikation zur AfD. Kemper warnte hier nicht nur vor der Entstehung einer rechten Partei, sondern konnte auch als erster die Anschubfinanzierung durch die Finck-Gruppe genau bestimmen. Nicht zuletzt seine profunden Recherchen zu Björn Höcke (alias Landolf Ladig) führten zur Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz. Aktuell ist Kemper Mitherausgeber des 'Dishwasher-Magazins' für Arbeiter*innenkinder und recherchiert zu totalitär-kapitalistischen Privatstadtprojekten. Alle Beiträge

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