Immer diese Verbraucher:innen
Auf „die Verbraucher:innen“ zu schimpfen, ist leicht: Sie kaufen zu viel Fleisch, zu wenig Bio und süß wollen sie es auch noch. Dabei drängt uns die Industrie dazu – und hat dafür so ihre Tricks.
Vor zwei Wochen war ich beim „Nachhaltigkeitsforum“ der Deutschen Bahn. Auf einer Diskussionsveranstaltung durfte ich über „nachhaltige Ernährung“ diskutieren. Geladen waren Gäste aus Wirtschaft und Politik – doch wie so oft dauerte es nicht lange, bis eine im Zentrum der Diskussion stand, die gar nicht mit in der Runde saß: „die Verbraucher:in“. Drastisch weniger Fleisch essen? Naja, der Verbraucher will ja nicht so richtig. Mehr Bio-Produkte? Gerade schwierig, kauft kein Mensch. Gesunde Ernährung – na, das ist noch ein langer Weg!
Mit dem Finger auf die Verbraucher:innen zu zeigen: Ich halte das für großen Quatsch. Und an diesen drei Beispiele habe ich in der Diskussion erklärt, warum.
Von der Bahn verführt
Diesen Sommer fuhr ich mal wieder Bahn – geärgert habe ich mich aber nicht über die Verspätung. Denn der Staatskonzern lockte im Bordbistro mit einem schönen Sommer-Angebot: Mitreisende Kinder durften dort umsonst ein „Nuii“-Eis abholen. In der Standardausführung liefert ein solches Eis am Stiel bereits sechs Würfel Zucker. Wer schon mal mit einem Kind über Süßigkeiten diskutiert hat, weiß, wie die Diskussion im Bahnabteil jetzt abläuft – und wer am Ende den Kürzeren zieht. Wie soll ich meinem Kind klarmachen, dass es das kostenlose Eis leider nicht haben darf – mit dem alle Kinder im Minutentakt an unserem Sitzplatz vorbeiziehen?
Das Beispiel zeigt sehr schön: Selbst im Kleinen werden wir auf Ungesundes und wenig Nachhaltiges getrimmt. Das Speiseangebot in Kantinen, Kitas und Krankenhäusern; Subventionen für die Fleischwirtschaft; an Kinder gerichtete Werbung für Junkfood und und und: Unsere Umgebung drängt uns in Ernährungsformen, die uns und den Planeten krank machen. Und hinterher, wie ein Siegesruf der Industrie, heißt es dann: Na, schaut her, was die Konsument:innen kaufen. Gefolgt von einem Schulterzucken: Kann man wohl nichts machen.
Im Schaufenster der Fleischindustrie
Mehrere Wochen bin ich jeden Morgen an einem Riesenplakat der Rügenwalder Mühle vorbeigeradelt. Slogan: „Weil heute jeder anders isst.“ Abgebildet: Eine Leberwurst in Bio, eine in vegan. Ich dachte mir: Wow, die machen ja jetzt richtig Ernst, diese Leute von der Rügenwalder Mühle. Vielleicht sollte ich von denen mal mehr kaufen. Doch nichts da: Die Website der Rügenwalder Mühle listet in der Rubrik „Bio“ nur ein einziges Produkt in zwei Ausführungen – ausgerechnet jene Leberwurst vom Plakat. Der Rest des Sortiments ist konventionell hergestellt, was auch bei den vielen vegetarischen Produkten bedeutet: mit Eiern aus Tierqual-Produktion.
Die Bio-Leberwurst der Rügenwalder Mühle ist ein reines Schaufensterprodukt – aber hängen bleibt der Eindruck: Ach, bei denen kann ich ja beruhigt einkaufen. Und so hat inzwischen gefühlt jeder zweite Hersteller ein bis zwei „nachhaltige“ Vorzeige-Produkte im Sortiment. Für die Markenbildung ist das natürlich klasse – für uns und den Planeten bringt es nur leider gar nichts, wenn der Großteil des Sortiments sich nicht verändert.
Oft höre ich dann den Einwand: „Da müssen wir alle im Supermarkt doch genau hinschauen.“ Mal abgesehen davon, dass viele sich das gar nicht leisten können – wie realistisch ist es bitte, dass ich meine durchschnittlich 20-40 Produkte im Einkaufswagen alle so studiere wie den Vertrag für meine Berufsunfähigkeitsversicherung? Das geht zumindest an meinem Alltag komplett vorbei. Und mal im Ernst: Würde die Rügenwalder Mühle so viel Geld in Marketing stecken, wenn sie nicht auch unterbewusst wirken würde?
Lebensmittelverschwendung mit dem Sparschäler
Letztes Beispiel: In der Diskussion kamen wir dann auch auf das Thema Lebensmittelverschwendung. Für Unternehmen ist das ein schönes Thema, weil man sich da betroffen geben kann. Und das Problem ist in der Tat sehr groß: Vermutlich landen in der EU mehr Lebensmittel in der Tonne als wir importieren. Den offiziellen Zahlen des Landwirtschaftsministeriums zufolge tragen die privaten Haushalte mit ganzen 60 Prozent zu dieser Verschwendung bei. Also doch: Ertappt, liebe Verbraucher:in!
Doch diese Zahlen sind frisiert. Ein Beispiel: In Deutschland verenden jedes Jahr 13 Millionen Schweine im Stall. Sie werden vor der Schlachtung getötet und entsorgt. Bei der Lebensmittelverschwendung zählen sie nicht mit. Ganz anders bei mir zu Hause: Wenn ich nur eine etwas angegammelte Möhre ausschneide und esse, dann zählen Schale und Schnitt im Müll als: Tada, Lebensmittelverschwendung!
Dabei wird gerade im Handel viel zu viel entsorgt. Der WWF rechnet vor, dass ein Drittel der in Deutschland angebotenen Backwaren in der Tonne landet – in Zeiten der Weizenknappheit ein echtes Problem. Nur liegt das vor allem daran, dass die Bäckerei-Filialen in den Supermärkten vertraglich verpflichtet sind, das gesamte Sortiment bis kurz vor Ladenschluss anzubieten – und selbst dann noch aufbacken, wenn Feierabend und damit die Mülltonne nahen.
Lasst die Verbraucher:innen in Ruhe
Über Anmerkungen und Feedback freut sich die Redaktion unter: blog@campact.de
Zugespitzt läuft es also so: Die Industrie drängt uns systematisch in wenig nachhaltiges Essverhalten. Wenn wir uns beklagen, setzt sie uns ein paar Schaufensterprodukte vor. Und systematische Probleme werden so verschleiert, dass am Ende doch wir Verbraucher:innen wieder Schuld sind.
Das ist inzwischen tief bei uns allen drin. Auch ich erlebe das selbst in Diskussionen immer wieder. Viele, die im Biomarkt einkaufen, nicht bei Amazon bestellen, auf Fleisch verzichten, sind schnell dabei, auf die anderen Verbrauchenden zu schimpfen. Und ich kann das auch irgendwie verstehen: Immerhin meint man ja, mit dem Einkaufskorb so einiges für die Rettung der Welt zu tun – und wenn die anderen dann nicht mitziehen, ist das frustrierend.
Nur geht es eben am Kern des Problem vorbei: Lasst uns aufhören, über die Verbraucher:innen zu meckern. Lasst uns das System anpacken und verändern: nicht weniger Fleisch konsumieren, sondern weniger produzieren; nicht weniger Zucker kaufen, sondern weniger Zucker verarbeiten.
Vielen Dank für diesen Beitrag Herr Dr. Methmann,
ich glaube, dass sie damit „den Nagel auf den Kopf getroffen haben“.
Zum Stichwort „….den Planeten krank machen“ hätte ich noch eine Anmerkung. Ich bin nun über 50 Jahre alt und habe festgestellt, dass Gebrauchswaren außerhalb der Nahrungsmittelindustrie ( z.B. Elektrogeräte) gegenüber früher, nur noch kurze Zeit (oftmals nicht einmal die Garantiezeit von 2 Jahren) überstehen oder gar von Anfang an nicht für den bestimmungsgemäße Gebrauch geeignet sind. Hierbei habe ich festgestellt, dass einige Hersteller sogenannte „Sollbruchstellen“ einbauen, damit die Waren schneller kaputt gehen und sie somit mehr verkaufen können. Ich denke, dass man die Garantiezeit deutlich verlängern sollte. Des weiteren plädiere ich dafür, dass alle Artikel (inkls. aller Verpackungen) möglichst zu 100 % und ohne großen Aufwand trennbar und recycelbar sein müssen. Zudem ist es notwendig, dass alle nicht unbedingt notwendige Verpackungen verboten werden und die Einführung Alternativen, z.B. Komposttierbare Verpackungen ernsthaft geprüft werden sollte. Durch die genannten Maßnahmen würden wir die Ressourcen schonen, weniger Müll produzieren und die Umwelt schonen. Dieses ist dringend und unbedingt nötig um den Planet Erde – und damit auch uns – zu retten!!!