Klassismus Klimakrise
Positano, Bali, Malediven – Reisen ist ein Privileg
Sommer – Sonne – Urlaubszeit. Es ist August und gerade weil das Wetter in Deutschland zurzeit nicht mitspielt, machen alle Ferien. Aber sind es wirklich alle?
Tatsächlich nicht, denn jede:r Fünfte in Deutschland kann sich keine einwöchige Urlaubsreise leisten, laut aktueller Daten des Statistikamtes der Europäischen Union. Davon sind vor allem Rentner:innen und Alleinerziehende betroffen. Unter letzteren können sich sogar gut 40 Prozent keine Urlaubsreise leisten. Aber auch generell steigen die Zahlen derer, denen der Urlaub ökonomisch verwehrt ist in Deutschland. Gleichzeitig steht das in starken Kontrast zum Reiseboom der letzten Jahre, der vor allem nach der Coronazeit noch einmal einen Höhenflug erlebt hat.
Urlaub macht Spaß – doch zu welchem Preis?
Kaum ein Tinder-Profil, in dem Reisen nicht als Charaktereigenschaft angegeben ist. Kaum ein Scroll durch Instagram ohne traumhaft-schöne und durch Filter verstärkte Urlaubsbilder von Freund:innen. Warum auch nicht? Reisen kann lehrreich sein – andere Kulturen, neue Erfahrungen und Menschen. Urlaub ist entspannend und gut für die mentale Gesundheit. Vor allem macht er aber auch einfach Spaß! Doch zu welchem Preis?
Von Luxushotels und Massentourismus
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Auf den sozialen Medien, vor allem YouTube und Instagram, hat sich schon lange ein ganzes Genre um den Urlaub im Ausland etabliert. Reiseblogger:innen zeigen ihre liebsten Orte und die entsprechenden Hashtags weisen Dir den Weg in die Luxushotels der Malediven, nach Positano und die steinige Amalfiküste zum Sonnenuntergang und in die saftig-grünen Reisterrassen auf Bali. Auffällig ist, dass hier immer die gleichen Orte bereist und als erstrebenswertes Erlebnis fotografiert werden. Ein Trend, der sich auch auf das tatsächliche Reiseverhalten auswirkt. Diese immer gleichen medialen Bucket Lists spiegeln sich auch in den tatsächlichen Reisen wider. Und auch wenn Urlaubstrends das Reiseverhalten schon immer beeinflussen, erleben sie mit Massenmedien wie Instagram und Co. nochmal eine Steigerung. In einem Interview mit dem Magazin Architectural Digest erzählt Marco De Luca, Hotelbetreiber in der dritten Generation, wie sich die Amalfiküste durch Instagram verändert hat und beschreibt sie als vor allem eins: massentouristisch überlaufen. Eine Kritik, die gerade in Bezug auf Instagrams aktuelle Lieblingsstadt Positano sehr häufig fällt. Sie ist aber auch nicht die einzige.
Was für Positano Instagram ist, ist für die kroatische Kleinstadt Dubrovnik die TV-Serie Game of Thrones. Seitdem Dubrovnik zum Schauplatz der fiktiven Stadt King’s Landing der HBO-Serie wurde, boomt der internationale Tourismus auch hier. Schätzungsweise 1,5 Millionen Touristen reisen pro Jahr an. Vor allem im Sommer tummeln sich bis zu 25.000 Menschen täglich in den kleinen Gassen der Stadt.
Lärm, mangelnder Wohnraum und Verdrängung
Das unterstützt einerseits die Wirtschaft, hat aber auch negative Folge: Die meisten Touristen bevorzugen Airbnbs in der Innenstadt. Das führt aber zu mangelnden Wohnraum und Infrastrukturen wie zum Beispiel Spielplätzen und Arztpraxen für die Bewohner:innen der Stadt. Hinzukommen massiv steigende Preise und damit Verdrängungsprozesse. Zudem sei die Lärmbelästigung so stark angestiegen, dass nun selbst die kroatische Regierung ein Aufklärungsvideo dazu veröffentlichte. Ähnliches erleben viele Regionen, die von Massentourismus betroffen sind.
Reisen als „Kolonialismus light“
Schaut man ins außereuropäische Ausland – nach Bali, Kambodscha, Vietnam, Mosambik, Kenia, Marokko, Malediven, Indien oder Sri Lanka – hat sich längst in Bezug auf das Reisen ein „Kolonialismus light“ etabliert, beschreibt Journalistin Katharina Döbler. „In Beach Resorts oder Safari Camps ‚all over the world‘ erwarten den ganz normalen Europäer dienstbare Einheimische, die ihm Handtücher hinterhertragen, den Ventilator anschalten, den Cocktail bringen, die Füße massieren oder was er sonst noch möchte.“ Auch Kolonien waren schon immer auch Wirtschaftsunternehmen, die ausbeuterische Jobs, beispielsweise als Dienstboten, Minenarbeiter, beziehungsweise Sklavenarbeit und die entsprechenden Infrastrukturen hervorbrachten. Das exotisierende und rassistische Weltbild erinnere im heutigen Urlaubsverhalten an den Blick auf die Kolonien und ihre Bewohner:innen, argumentiert Döbler: „Zu den Höhepunkten solcher Aufenthalte gehören gewöhnlich Darbietungen, die den fremden Zuschauern suggerieren, es handle sich dabei um authentische Gepflogenheiten eines schlichten, fröhlichen, wenn auch etwas rückständigen Völkchens. Ein Völkchen, dem die massenhafte Anwesenheit unzureichend bekleideter, vergnügungssüchtiger Weißer nur zum Vorteil gereicht.“
Die Folgen des menschengemachten Klimawandels sind nicht zu übersehen
Klassismus wird kleingeredet, übersehen oder gar von der politischen Rechten instrumentalisiert.
Ein kritischer Faktor des Massentourismus, über den in letzter Zeit weitaus mehr gesprochen wird, sind die Auswirkungen auf die Umwelt. Fahrrad- und vor allem Bahnreisen ins Ausland steigen in Deutschland gerade immer mehr an. Die Deutsche Bahn spricht 2022 von einem Anstieg um 30 Prozent im Vergleich zum vorherigen Rekordjahr 2019. Das ist aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Schaut man in die internationalen Top-Reiseziele, vor allem des globalen Südens, sind die Folgen des menschengemachten Klimawandels und damit einhergehend des Massentourismus kaum zu übersehen. So zieht zum Beispiel das Luxus-Reiseziel Malediven zwar mit seinen weißen Stränden etwa eine Million Tourist:innen im Jahr an. Die ökologische Kehrseite dagegen – Klimawandel, steigender Meeresspiegel und Vermüllung – tragen die Einwohner:innen.
Generell trifft der Klimawandel den globalen Süden stärker und eher, während die Industriestaaten des Nordens dafür die Verantwortung tragen. Reisen ist nur ein ganz kleiner Aspekt davon. Aber es ist auch ein globaler, der viele Ungleichheits- und Diskriminierungsformen gleichzeitig vereint, und bisher zu wenig in den Blick geraten ist. Urlaub sollte für alle möglich sein und kein unausgesprochenes Privileg bleiben. Dafür müssen sich hingegen klassische Urlaubsreisen dringend verändern und sozialer und nachhaltiger werden.