Drogenpolitik Gesundheit
Kein Hedonismus
Der Schauspieler Matthew Perry ist tot. Er kämpfte sein ganzes Leben gegen die Suchterkrankung. Betroffene brauchen mehr Unterstützung – und Strukturen, die sie auffangen.
Am 28. Oktober 2023 starb der US-kanadische Schauspieler Matthew Perry mit 54 Jahren. Er war vor allem für seine Rolle als Chandler in der Kultserie „Friends“ bekannt. Die Todesursache wurde bis zum Redaktionsschluss nicht bekannt gegeben. Laut der Gerichtsmedizin in Los Angeles steht das Ergebnis einer toxikologischen Analyse noch aus.
Viele Medien sprechen von einem plötzlichen Tod, allerdings war Perrys Sterben alles andere als „plötzlich“. In der Tat starb Matthew Perry jahrelang – an seiner Suchterkrankung, unter der er seit seiner Jugend radikal litt. Matthew Perrys Autobiografie „Friends, Lovers and The Big Terrible Thing“ erschien 2022 auf Deutsch bei Lübbe. Darin erzählt der Schauspieler ausführlich von seinem Kampf gegen die Suchterkrankung und den sich immer wiederholenden Niederlagen, abstinent zu bleiben. „Sucht ist wie der Joker. Sie will die Welt einfach nur brennen sehen“, schreibt er darin. Und erzählt von seiner endlosen Einsamkeit: „Ich lag im Sterben, aber ich konnte niemandem davon erzählen.“
Suchterkrankung ist eine chronische Krankheit
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Vielleicht spricht man in der Berichterstattung von einem plötzlichen Tod, und meint damit einen zu frühen. Ja, 54 ist kein besonders fortgeschrittenes Alter. Aber vor allem: Der Mann war Millionär, lebte in einem der reichsten Länder der Welt, war bestens vernetzt und dennoch konnte er sich nicht vor einem frühen Tod retten. So ist es mit suchterkrankten Menschen: Sucht wird gesellschaftlich individualisiert, obwohl es sich um eine chronische Krankheit handelt. Rückfälle werden selbst von behandelndem Fachpersonal als unvermeidbar betrachtet, was zwangsläufig Rückfälle verursacht. Süchtig zu sein wird als Hedonismus stigmatisiert und dämonisiert, anstatt mit allen Mitteln der Wissenschaft und Gesellschaft bekämpft zu werden. Es wird nicht ausreichend erforscht – als ob man Betroffene nicht retten, sondern einfach nur beschämen und verdammen möchte. Unter diesen Bedingungen ist es klar, dass Betroffene nicht darüber reden können.
Ich stand an jenem Tag auf und als ich auf mein Telefon schaute, sah ich eine Nachricht von einem guten Freund, der Friends-Fan ist: Matthew Perry ist tot, stand darin. Ich dachte mir: „Es war klar, dass er als erster stirbt.“ Was für ein trauriger, gemeiner, unsagbarer Gedanke. Dabei ging es mir aber nicht um Perry – ich hatte einfach damit gerechnet, dass er keine angemessene Hilfe bekäme. Und so kam es auch. Dabei gäbe es genug Anlass, denn den Anteil von Betroffenen darf man nicht unterschätzen. Auch in Deutschland.
Fast 8 Millionen Menschen
Das Bundesministerium für Gesundheit schreibt: „7,9 Millionen Menschen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form.“ Das ist fast 15 Prozent der Bevölkerung. Mit rund 63 Prozent in der stationären und knapp 50 Prozent in der ambulanten Suchthilfe ist die Alkoholerkrankung die mit Abstand häufigste Hauptdiagnose. Über drei Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland haben mindestens einen suchtkranken Elternteil. Während genau das als Abschreckung dienen kann, dass sich ebenjene Kinder später von gewissen Substanzen bewusst fernhalten, kann es auch normalisieren, wie es auch im Fall von Perry gewesen sein soll: „Dad trank auch. Jeden Abend kam er […] nach Hause, schenkte sich einen ordentlichen Wodka Tonic ein und verkündete: ‚Das ist das Beste, was mir heute passiert ist.‘ Das sagte er über einen Drink. Während er in Los Angeles neben seinem Sohn auf der Couch saß. Und dann trank er noch vier und nahm den fünften mit ins Bett.“
Sucht hat zwar für alle Betroffenen schwere Folgen. Für Frauen und mehrfach marginalisierte Personen können diese allerdings auch Erpressung bedeuten, für beispielsweise sexuelle Handlungen. Vor allem, wenn es sich um illegalisierte Substanzen handelt, an die sie nur schwer, gefährlicher und teuer herankommen.
Sibel Schick ist Kolumnistin, Autorin und Journalistin. Im Campact-Blog beschäftigte sie sich ein Jahr lang mit dem Thema Rassismus und Allyship, seit August 2023 schreibt sie eine Kolumne, die intersektional feministisch ist.
Wenn ein Schauspieler, der zehn Jahre lang in einer Hit-Serie die Hauptrolle spielt und mindestens in dem Produktionsland einer der berühmtesten Menschen ist, irgendeine andere Krankheit hätte, hätte er die Hilfe, die er verdient hätte, womöglich bekommen. Stattdessen sollen die anderen im Ensemble und der Produktion sehr lange geschwiegen haben, außer Jennifer Aniston, die Perry einmal gesagt haben soll: „Ich weiß, dass du trinkst. […] Wir können es riechen.“
Zehn Jahre lang spielt der Mann vor den Kameras den Clown, und kommt mehrmals dem Tode sehr nah, macht ein Jo-Jo aus Entzug und Konsummarathon, und stirbt hinter den Kameras quasi einen langsamen Tod. Zehn Jahre lang. Diese Vorstellung ist mindestens schmerzhaft.
Es ist nie zu spät
Vermutlich kennen viele von uns Menschen, die ebenso unter einer Suchterkrankung leiden. Vielleicht sind es Freund*innen, vielleicht Verwandte, vielleicht Menschen, die uns sehr wichtig sind. Ich weiß, dass ich mehrere kenne. Es ist nie zu spät, sich über die Realität der Sucht zu informieren und Betroffene angemessen zu unterstützen – vorausgesetzt, sie wünschen sich ebenjene Unterstützung. Und es ist nie zu spät, dass wir Sucht als das, was sie ist, nämlich eine unheilbare chronische Krankheit, akzeptieren, und fordern, dass Ressourcen in die Forschung fließen. Suchterkrankte Menschen brauchen keine Schuld und Scham, sondern Strukturen, die sie auffangen und auf dem Weg in die Genesung unterstützen.