Feminismus
Sexismus im Sport: 5 Dinge, die sich ändern müssen
2024 wird ein großes Sportjahr – allein schon wegen der Olympischen Spiele in Paris. Wusstest Du, dass erst bei Olympia 2020 in Tokio alle Wettbewerbe auch für Frauen zugänglich waren? Und auch jetzt hat der Profisport in Sachen Gleichberechtigung noch einiges zu tun.
1. Ungerechte Bezahlung
Schauen wir auf Deutschlands Sportart Nummer 1: Im Fußball werden die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen besonders deutlich. Das Durchschnittsgehalt der männlichen Profis in der Nationalmannschaft betrug 2022 10,2 Millionen Euro im Jahr. Die Frauen erhielten rund 43.000 Euro – ebenfalls pro Jahr. Das ist weniger als das durchschnittliche Gehalt in Deutschland, und doch stehen sie verglichen mit anderen Bundesliga-Spielerinnen noch gut da. Viele können vom Profisport nicht leben und müssen einem weiteren Job nachgehen.
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Die langjährige Nationaltorhüterin Almut Schulte hat 2021 eine Gehaltsumfrage unter Bundesligaspielerinnen gestartet. Das ernüchternde Ergebnis: In der ersten Liga verdienten Spielerinnen durchschnittlich 1.500 Euro im Monat, in der zweiten Liga nur 900 Euro. Und das bei einer Karriere im Spitzensport, die nur bis zu einer gewissen Altersgrenze möglich ist. Danach müssen die Sportlerinnen improvisieren – wenn sie nicht sehr genau vorgeplant haben, wie sie mit der fehlenden Erfahrung in ihrem Zweitjob umgehen.
Immerhin: Es bewegt sich etwas. Zu verdanken ist das vor allem dem Protest der Spielerinnen selbst. Immer wieder kritisieren sie die ungleichen Voraussetzungen. Bei der Fußball-EM der Frauen 2022 in England erhielten die deutschen Spielerinnen 30.000 Euro für den Einzug ins Finale; für den Titel hätte es 60.000 Euro gegeben. Auf den Konten der männlichen Nationalspieler wären bei einem Turniersieg satte 400.000 Euro pro Person gelandet. Ziemlich ungerecht – und so gab es auch öffentlich laute Kritik. Der Deutsche Fußballverband reagierte und hob die Siegprämie auf 250.000 Euro an. Zwar noch kein Equal Pay, aber ein erster Schritt.
2. Sexistische Kleidungsvorschriften
Radlershorts statt Bikinihöschen: Dafür kassierten die norwegischen Beachhandballerinnen 2021 bei der EM eine Geldstrafe vom europäischen Handballverband. Die haben die Spielerinnen bewusst in Kauf genommen, um gegen die sexistischen Kleiderregeln des Verbands zu protestieren. Denn der forderte in seinen Regeln knappe, enge Bikinihosen – die Seiten maximal zehn Zentimeter breit. Die Männer spielten währenddessen in lockeren, langen Shorts und Tanktops. Shorts dürfen die Frauen nach der Protestaktion der Norwegerinnen nun auch tragen – eng sollen sie aber immer noch sein.
Kein Einzelfall. In vielen Sportarten müssen Frauen körperbetontere Kleidung tragen als ihre männlichen Kollegen. Gegen diese Sexualisierung wehren sich viele Sportlerinnen. Die deutschen Kunstturnerinnen Sarah Voss, Elisabeth Seitz und Kim Bui etwa setzten ein Zeichen, als sie bei der EM 2021 als erste in langen Turnanzügen antraten. Ein mutiger Schritt; im Turnen sind knappe Outfits Tradition. Doch die sind laut Sportlerinnen nicht nur unpraktisch, weil sie verrutschen – immer wieder tauchten nach Wettkämpfen übergriffige, sexistische Fotos von ihnen auf.
Auch was die Farbe angeht, wird oft ignoriert, welche Ansprüche Sportlerinnen selbst an die Kleidung haben. Das englische Fußballnationalteam konnte letztes Jahr durchsetzen, dass sie nicht mehr in weißen Trikots und Hosen spielen müssen. Jahrelang haben sie dafür gekämpft – nun brauchen sie sich während ihrer Periode keine Gedanken mehr über mögliche Blutflecken machen, sondern können sich ganz auf den Sport konzentrieren. Tennisspielerinnen kritisieren die Pflicht für weiße Kleidung ebenfalls: Beim berühmten Turnier in Wimbledon musste bis vor Kurzem selbst die Unterwäsche der Sportler*innen weiß sein. Nach lauter Kritik dürfen Frauen jetzt auch bunte Unterwäsche tragen.
3. Mediale Berichterstattung
Halbfinale der Kletter-WM 2021 in Moskau: Die Österreichische Meisterin Johanna Färber steht vor der Kletterwand, geht konzentriert ihre Route im Kopf durch. Doch die TV-Bilder zeigen sekundenlang etwas anderes – ihren Po, in Nahaufnahme. Ein krasses Beispiel für sexualisierte Kameraaufnahmen von Sportlerinnen, doch bei Weitem kein Einzelfall. In einer Umfrage des SWR mit mehr als 700 Spitzensportlerinnen gaben 51 Prozent der Befragten an, dass sie sich über sexualisierte Aufnahmen ärgern – immer wieder bieten Bildagenturen Fotos an, auf denen Sportlerinnen auf Brusthöhe, unter den Rock oder in den Schritt fotografiert werden.
Hinzu kommt: Sportlerinnen werden in den Medien stark benachteiligt. Die Berichterstattung über Frauensport macht nur 10 Prozent aus – damit ist er deutlich unterrepräsentiert. Um trotzdem medial sichtbar zu sein, geht für viele Sportlerinnen kein Weg daran vorbei, sich selbst zu vermarkten. Und das funktioniert am besten über gutes Aussehen und sexuelle Attraktivität – denn in Sportredaktionen und im Sportgeschäft entscheiden vorwiegend Männer. Wer sich „gut“ (also so, dass es Männern gefällt) vermarktet, hat bessere Chancen auf Berichterstattung und ist interessanter für Sponsoren. Und die sind für viele Sportlerinnen unglaublich wichtig, wenn sie vom Sport leben wollen – womit wir wieder beim Punkt der schlechten Bezahlung sind.
4. Mehr Leistung zutrauen
Frauen werden im Sport noch lange nicht so akzeptiert wie Männer – und manche Leistungen werden ihnen schlicht nicht zugetraut. Dass das Unsinn ist, zeigten etwa die Radsportlerinnen und Aktivistinnen der Gruppe „Donnons des elles au vélo“ („Wir setzen Frauen aufs Rad“). Weil es die Tour de France, das größte Radrennen der Welt, nur für Männer gab, haben sie ihre eigene Frankreich-Rundfahrt gestartet – die 21 Etappen sind sie einfach einen Tag vor den Männern gefahren. Der Einsatz der Radportlerinnen zahlte sich aus: Seit 2022 gibt es wieder eine Tour de France für Frauen – und die kommt bei Fans und Medien richtig gut an.
Erst bei den letzten Olympischen Spielen in Tokio gab es in allen Sportarten Wettkämpfe für Männer und Frauen. Bei den Winterspielen sieht das noch anders aus – die Nordischen Kombiniererinnen warten bisher vergeblich darauf, bei Olympia teilnehmen zu dürfen …
5. Sexistische Strukturen
Fußballerinnen, die die schlechten Trainingszeiten bekommen – weil die männlichen Jugendmannschaften vorgehen. Tennisspielerinnen auf höchstem Niveau, die ihr Finale nur auf dem kleinen Court bestreiten dürfen. Und Gewichtheberinnen, die die Jacke der männlichen Kollegen anziehen müssen – denn ein Modell für Frauen gibt es nicht. Das sind nur ein paar Beispiele, wie Frauen durch sexistische Strukturen in Vereinen und Verbänden benachteiligt werden.
In der Umfrage des SWR zum Thema Sexismus im Sport gab mehr als jede dritte Befragte an, dass sie in ihrem Sport Sexismus erlebt. 60 Prozent der Befragten haben das Gefühl, mehr leisten zu müssen, um die gleiche gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten wie männliche Kollegen. Dazu passt auch, dass es zu wenig weibliche Trainerinnen und Ansprechpersonen gibt – über 77 Prozent der befragten Leistungssportlerinnen werden überwiegend von Männern trainiert.
Ein besonders düsteres Thema: Sexuelle Gewalt im Sport. Immer wieder nutzen Verantwortliche und Trainer*innen ihre Position und die Abhängigkeit der Sportler*innen aus, missbrauchen ihr Vertrauen. Eine Studie aus dem Jahr 2016 deutet an, wie groß das Problem ist: Fünf Prozent der anonym befragten Profisportler*innen gaben an, körperliche sexuelle Gewalt erfahren zu haben. Druck und Angst lassen viele Betroffene schweigen.
Du hast Gewalt im Sport erlebt oder beobachtet? Die Ansprechstelle Safe Sport berät und unterstützt alle Menschen, die im Breiten- oder Spitzensport Gewalt oder grenzüberschreitendes Verhalten erlebt oder beobachtet haben – online, am Telefon oder vor Ort.