Ein Energiekonzern drischt wütend auf zwei Bürger ein – und haut voll daneben
Zwei Kölner streiten mit einer WeAct-Petition gegen Braunkohle-Verfeuerung in ihrer Heimatstadt. Der Kraftwerksbetreiber RheinEnergie schlägt knallhart zurück: mit einer teuren einstweiligen Verfügung. Doch der Fall nimmt für den Konzern kein gutes Ende. Ein Gerichtsreport.
Bürger engagieren sich…
Über dem noch qualmenden Grill mal tief einatmen – kaum einer würde vermuten, das wäre gesund. Auch der Rauch von Kohlekraftwerken dürfte den meisten Menschen intuitiv nicht als besonders gesundheitsfördernd erscheinen. So mag es kaum überraschen: Die EU geht von massiven Gesundheitsschäden durch Kohlekraft aus. Das Umweltbundesamt auch. So wie zahlreiche wissenschaftliche Studien. Als die beiden Kölner Alfons Kloeck und Peter Weissenfeld von der kleinen Bürger-Initiative „Tschö Rheinenergie“ diese Tatsache übernahmen, ahnten sie vermutlich nicht, welchen Ärger sie sich dennoch damit einhandeln würden. Ende 2015 starteten sie eine Petition gegen den Braunkohle-Block des Kraftwerks Köln-Merkenich, auf WeAct, der Bürgerplattform von Campact. Und dort schrieben sie:
Die Braunkohlegewinnung in den Tagebauen und die Braunkohleverbrennung in Merkenich führen zu erheblichen Gesundheitsschäden der Atemwege und des Kreislaufs durch Feinstaub, Stickoxide, Quecksilber und andere Schwermetalle. Allein Köln-Merkenich verursacht ca. 20 vorzeitige Todesfälle pro Jahr.
Und sie belegten das ganze auch noch mit einer Quelle, einer Studie des Gesundheitsnetzwerkes Heal, in dem 70 Organisationen zusammen zum Thema Umweltgesundheit arbeiten. Aus dieser Studie haben sie, für Laien ziemlich clever, die statistischen Todesfälle für Köln-Merkenich heruntergerechnet. Die Aussage ist also durchaus wissenschaftlich unterfüttert. Doch für die RheinEnergie, die Betreiberin des Kraftwerks, kam diese Aussage einer Kriegserklärung gleich.
… und ein Konzern schlägt zurück.
Wie sehr das den Konzern geärgert haben muss, zeigt sein rabiates Vorgehen: Kein Gespräch, keine Abmahnung – die RheinEnergie griff gleich zu einer einstweiligen Verfügung. Mit Erfolg, denn das Kölner Landgericht verfügte sogleich: Wenn die beiden Kölner die Aussage nicht sofort aus dem Netz nehmen oder sie anderweitig wiederholen, würde ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro fällig. In jedem Fall aber bereits jetzt die Verfahrenskosten von ca. 2.000 Euro. Und zur Sicherheit wurde die Aussage auch gleich Campact, als Betreiber der Petitionsplattform, mitverboten.
Wie absurd und interessengetrieben das Ganze war, wurde schon in dem Antrag der RheinEnergie an das Gericht deutlich. Dort heißt es auf Seite 7:
Es gibt keinen – erst recht keinen nachweisbaren – Zusammenhang zwischen Kohlekraftwerken und daraus resultierenden Gesundheits- und Todesfolgen.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Keine. Gesundheitsfolgen. durch. Kohlekraft.
RheinEnergie schweigt sich aus – und beklagt dann schlechte Informationen
Die RheinEnergie ist zu 80 Prozent im Besitz der Stadt Köln (weitere 20 Prozent gehören RWE). Das heißt: Das Kraftwerk Merkenich gehört zum Großteil den Kölner/innen selbst. Als nun zwei von denen genaue Emissionsdaten für ihr Kraftwerk haben wollten, mauerte die RheinEnergie. Bevor die Kölner ihre Petition verfassten, hatten sie genaue Daten erbeten, um die statistische Zahl der vorzeitigen Todesfälle möglichst genau berechnen zu können. Doch die RheinEnergie verweigerte diese Daten, verwies lediglich auf den allgemein gehaltenen Umweltbericht. Auf Basis dieser Daten landeten die beiden Petitenten mit ihrer Rechnung bei „ca. 20“ vorzeitigen Todesfällen.
Die RheinEnergie beklagt nun im Antrag auf einstweilige Verfügung (S. 9):
Es findet keine Berücksichtigung der konkreten Situation einzelner Kohlekraftwerke, insbesondere der spezifischen Rahmenbedingungen des Kraftwerks Köln-Merkenich statt.
Erst die Zahlen den eigenen Eigentümern gegenüber nicht rausrücken, dann gerichtlich dagegen vorgehen, dass diese Zahlen nicht genutzt wurden. Noch bauernschlau oder schon dreist?
Vor Gericht
Zusammen mit der Hamburger Anwältin Roda Verheyen und den Kölnern entschieden wir uns, gegen die einstweilige Verfügung vorzugehen. Zu dünn erschien uns die Argumentation der RheinEnergie: Kohlekraft solle keine Gesundheitsschäden verursachen? Das soll ein Gericht unterstützen? Nach dem Austausch mehrerer Schriftsätze kam es schließlich am 11. Mai zur Gerichtsverhandlung. Den letzten Schriftsatz der RheinEnergie schickte ihr Anwalt weniger als eine Stunde vor Verhandlungsbeginn ans Gericht. Dort schlägt er schon ganz andere Töne an: Es ginge ja im Wesentlichen um die Berechnung der Zahlen, nicht um die Frage an sich, ob Kohlekraft Gesundheitsschäde verursacht. Wird da jemand hektisch?
Vor Gericht kam die RheinEnergie dann mit ihrer Argumentation kaum durch. Gleich zu Beginn machte der Vorsitzende Richter klar: Die Berechnung der beiden Petitenten hält er für plausibel. Und schlug kurze Zeit später einen Vergleich vor: Vor den „ca. 20 Todesfällen“ solle zur Klarstellung ein „statistisch gesehen“ eingefügt werden. So kann wirklich niemand glauben, an den „Händen der Antragsstelle klebe das Blut von jährlich rund 20 Personen“ (Anwalt der RheinEnergie), so als könne man dem Kraftwerk 20 Menschen zuordnen, die allein wegen dessen Abgase tot umgefallen wären.
Dem Vorschlag konnten wir uns sofort anschließen, schließlich änderte das an der Aussage nichts. Doch die RheinEnergie tat sich schwer, dem zuzustimmen. Sie erbat zwei Wochen Bedenkzeit – und gab uns schließlich doch recht.
Die Lösung: Der Text bleibt fast wie er ist
Der neue Text lautet fast wie der Alte, in der Substanz hat sich nichts geändert (Änderungen fett):
Die Braunkohlegewinnung in den Tagebauen und die Braunkohleverbrennung in Merkenich führen zu erheblichen Gesundheitsschäden der Atemwege und des Kreislaufs durch Feinstaub, Stickoxide, Quecksilber und andere Schwermetalle. Legt man Studien zugrunde, verursacht allein Köln-Merkenich statistisch gesehen ca. 20 vorzeitige Todesfälle pro Jahr.
Hinterlegt sind nun drei Quellen. Und die RheinEnergie übernimmt 80 Prozent der Verfahrenskosten. Wer will, kann darin ein ziemlich klares Eingeständnis erkennen: Diese einstweilige Verfügung war ein Fehlschlag – mit hohen Kosten für die RheinEnergie, sprich: Die Stadt Köln selbst.
Ein ziemlich dreister Versuch eines Kohlekonzerns, engagierte Bürger zum Schweigen zu bringen – der zum Glück gescheitert ist.
Das ist die Petition, von der die RheinEnergie wollte, dass man sich nicht unterzeichnen darf: Klick hier, um sie jetzt wieder ganz legal zu unterstützen!
Diese Petition wurde auf WeAct, der neuen Petitionsplattform von Campact, gestartet. Es ist also keine Kampagne von Campact. Da Campact aber die Ziele der Petition unterstützt, möchten wir Dich auf die Kampagne hinweisen.
Guter Bericht! Nur ein kleiner Hinweis: Petitenten durch Petenten ersetzen!
Beste Grüße
diskodirk