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Wenn Journalismus zum Geschäftsmodell wird

Die großen US-amerikanischen Tageszeitungen The Washington Post und Los Angeles Times sprechen keine Wahlempfehlung aus – zum ersten Mal seit Jahren. Was das mit ihren Besitzern zu tun hat und warum deutsche Medien von einer ähnlichen Problematik betroffen sind.

Auf einer Wand im Newsroom der Washington Post steht in weißer Schrift auf blauen Grund: "Journalism is the first rough draft of history." Geprägt haben soll ihn Phil Graham, ein langjähriger Herausgeber der Washington Post.
Auf einer Wand im Newsroom der Washington Post: "Journalism is the first rough draft of history." Diesen Satz soll Phil Graham geprägt haben, ein langjähriger Herausgeber der Washington Post. Foto: IMAGO / Pond5 Images

Einiges läuft anders in den USA als in Deutschland. Zum Beispiel ist es dort normal, dass die Meinungs-Kolumnen US-amerikanischer Medien Wahlempfehlungen aussprechen. Klar kann man in deutschsprachigen Meinungsbeiträgen die politischen Präferenzen von Journalist*innen, zumindest als grobe Richtung, zwischen den Zeilen lesen. Aber in der Direktheit der US-Medien wäre das hierzulande unvorstellbar. Diese Woche sorgte die Entscheidung zweier US-Zeitungen, keine Wahlempfehlung („presidential endorsement“) auszusprechen, für große Wellen.

Nur scheinbare Neutralität

Die Los Angeles Times und die Washington Post sprachen für die US-Wahlen am 5. November keine Wahlempfehlung aus – die Los Angeles Times zum ersten Mal seit 2004, die Post wohl sogar erstmals seit 1988. Laut New York Times hätten beide Redaktionen ursprünglich die Kandidatin der Demokraten Kamala Harris empfehlen wollen, als dann die Entscheidung von „weiter oben“ kam, gar keine Empfehlung auszusprechen. Einige Journalist*innen der Zeitungen kündigten daraufhin ihre Jobs, viele Leser*innen ihre Abos.

Der Amazon-Gründer Jeff Bezos ist der Inhaber der Washington Post. Patrick Soon-Shiong, der Inhaber der Los Angeles Times, ist ebenso ein Milliardär. Am Tag der Ankündigung der Washington Post, keine Wahlempfehlung auszusprechen, trafen die Führungskräfte von Blue Origin, dem Raumfahrtunternehmen von Jeff Bezos, Donald Trump in Texas. Ob das reiner Zufall war, dass gerade die Zeitung von Bezos keinen Wahlaufruf im Sinne der Trump-Rivalin veröffentlichte? Wohl kaum.

Das ist das Problem, wenn Journalismus zum Geschäftsmodell wird; wenn Nachrichtenmedien wie ganz herkömmliche, gewinnorientierte Unternehmen agieren und geführt werden. Nachrichtenmedien gibt es nämlich, um unser Recht auf Zugang zu Informationen zu gewährleisten. Nicht, um Inhaber*innen reicher zu machen, und auch nicht, damit manche Menschen dort Karriere machen können. Darum geht es nicht, darum darf es nicht gehen.

Abhängigkeit nicht nur in den USA problematisch

Das soll jetzt gar nicht heißen, dass Zeitungen nicht viel Geld haben sollen. Guter Journalismus ist teuer. Ausführliche und sorgfältige Recherchen sind zeitintensiv, dabei muss man oft reisen, häufig sitzen mehrere Menschen an einer Geschichte. Selbstverständlich ist es wünschenswert, dass Medien die notwendigen Ressourcen für ihre Arbeit haben und Journalist*innen gut von ihren Löhnen leben können. Allerdings muss das erste Prinzip dabei das Interesse der Gemeinschaft sein, sie muss immer im Vordergrund stehen. Vor allem in unserer Zeit, in der die Grenze zwischen Informationen und Meinung immer schmaler wird und sich Falschmeldungen, Verschwörungserzählungen und Lügen schwindelerregend schnell in den sozialen Netzwerken verbreiten können – oft ohne Konsequenzen. Journalismus gibt es nicht, um reiche Geschäftsleute wie Bezos unter Tyrannen wie Trump beliebt zu machen.

Fakten statt Fake News!

Dafür sprechen sich mittlerweile über 500.000 Menschen in einem Appell an die Regierungschefs der Länder aus. Denn die planen massive Kürzungen bei den öffentlich-rechtlichen Medien.

Viele unabhängige Medien, auch in Deutschland, sind täglich mit Krisen konfrontiert. Sie haben kaum Geld, sie verschulden sich andauernd. Permanent müssen sie umbauen, sie zahlen ihren Angestellten und Freien Mitarbeitenden oft zu wenig, arbeiten ständig unterbesetzt. Das führt erstens dazu, dass überwiegend jene Menschen, die es sich leisten können, unterbezahlt zu arbeiten, Journalist*innen werden: Weil sie andere Einnahmen haben wie beispielsweise Miete oder Aktienanteile oder eine große Menge an Geld.

Das führt wiederum dazu, dass die Perspektiven der Privilegiertesten einer Gesellschaft die Medienlandschaft dominieren. Und überwiegend Menschen aus den obersten Schichten entscheiden, was Nachrichtenwert hat, was wichtig ist, was gehört und gesehen werden und was unter den Teppich gekehrt werden darf. Zusätzlich leidet die Qualität der Berichterstattung darunter, die Recherchen werden immer schlechter und einseitiger. Eigentlich ist das ein Skandal.

Guter Journalismus braucht Geld und Ressourcen

In den Journalismus muss also definitiv viel Geld hineinfließen. Gleichzeitig muss er aber auch vor Erpressung und Machteinfluss geschützt werden. Es muss ein Topf her, aus dem sich alle Medien gleichermaßen bedienen dürfen, der nicht durch direkte Personenbeiträge finanziert wird – wie es bei Abonnements oder dem Rundfunkbeitrag der Fall ist – sondern direkt von Steuern.

Es darf doch nicht sein, dass Milliardäre hoch angesehene Zeitungen aufkaufen und dann publizieren, was für ihre Geschäftsinteressen am besten ist, und dabei vom Ansehen des unabhängigen Journalismus profitieren. Der Journalismus muss also permanent und ausreichend staatlich gefördert, und gleichzeitig vor dem Einfluss von Politik und wirtschaftlichen Interessen der Wenigen geschützt werden. Wenn wir das erreichen, lösen wir gleich mehrere Probleme.

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Autor*innen

Sibel Schick kam 1985 in Antalya, der Türkei, auf die Welt und lebt seit 2009 in Deutschland. Sie ist Kolumnistin, Autorin und Journalistin. Schick gibt den monatlichen Newsletter "Saure Zeiten" heraus, in dem sie auch Autor*innen, deren Perspektiven in der traditionellen Medienlandschaft zu kurz kommen, einen Kolumnenplatz bietet. Ihr neues Buch „Weißen Feminismus canceln. Warum unser Feminismus feministischer werden muss“ erscheint am 27. September 2023 bei S. Fischer. Ihr Leseheft "Deutschland schaff’ ich ab. Ein Kartoffelgericht" erschien 2019 bei Sukultur und ihr Buch "Hallo, hört mich jemand?" veröffentlichte sie 2020 bei Edition Assemblage. Im Campact-Blog beschäftigte sie sich ein Jahr lang mit dem Thema Rassismus und Allyship, seit August 2023 schreibt sie eine Kolumne, die intersektional feministisch ist. Alle Beiträge

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